Eine Frage der Qualität

Analysen von Pressemitteilungen aus der Wissenschaft

Wie lässt sich die Qualität der Pressemitteilungen von Forschungseinrichtungen systematisch untersuchen? Forschungsansätze dazu gibt es nicht nur in früheren Projekten des Medien-Doktors (z.B. im Projekt INKA), sondern auch international (u.a. Schwartz et al. 2012; Sumner et al. 2014). Doch sind diese Ansätze bisher weder so ausgereift wie die Qualitätsforschung zum Journalismus, noch kann man sie auf Seiten der Wissenschaft mit bisherigen Vorschlägen zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ vergleichen. Gleichwohl gibt es einige praktische Empfehlungen (etwa die Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR 2016) oder erste Bemühungen des Pressemitteilungsportals idw um eine Qualitätssicherung.

Um Pressemitteilungen aus der Wissenschaft zu verbessern, wurde in einer Forschungsarbeit zur Qualität der Wissenschafts-PR am Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund ein Katalog von Qualitätskriterien entwickelt (Mühle 2019). Die Kriterien stammen aus der wissenschaftlichen Literatur ebenso wie aus der Branche; für die Systematik wurden Ansätze etablierter journalistischer Kriterienkataloge berücksichtigt. Auf dieser Grundlage haben wir zunächst eine Inhaltsanalyse von Pressemitteilungen aus Medizin und Umwelt vorgenommen, die der idw selbst in seinen „Wochen der Qualität“ bereits genauer betrachtet hatte.

Fünf Qualitätsdimensionen für gute Pressemitteilungen

Auf Basis einer Literaturrecherche zur „Qualität von Wissenschafts-PR“ sowie einer nicht-repräsentativen explorativen Befragung von 26 Mitarbeitern der Pressestellen von Forschungseinrichtungen wurden fünf Qualitätsdimensionen abgeleitet, die eine gute Pressemitteilung ausmachen können: Relevanz, Sachgerechtigkeit, Transparenz, Vermittlung und Vielfalt.

Die ersten vier Dimensionen werden explizit auch in Empfehlungen zur guten Wissenschafts-PR gefordert. „Vielfalt“ ist darüber hinaus fester Bestandteil in Kriterienkatalogen aus der journalistischen Qualitätsforschung (Überblick u.a. bei Engesser 2013: 183 ff.). Alle fünf Qualitätsdimensionen lassen sich in einzelne Kriterien unterteilen, mit denen die Qualität von Pressemitteilungen inhaltsanalytisch untersucht werden kann. Eine wesentliche Quelle für die Operationalisierung der Kriterien sind die Arbeiten von Voigt 2016 und u.a. Hagen 1995, Jungnickel 2009, Langer et al. 2002 sowie Lilienthal et al. 2014.

Qualitätsdimension 1: Relevanz

„Gute Wissenschafts-PR wirkt darauf hin, aus der Fülle der Informationen diejenigen herauszuarbeiten, die relevant für die Gesellschaft sind“ („Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“). Relevanz kann sich auf zwei Aspekte beziehen: 1. Ist das Thema der Pressemitteilung an sich von Bedeutung? 2. Enthält die Mitteilung jene Aspekte, die für eine angemessene Information jeweils relevant sind? Die hier vorgestellten Kriterien konzentrieren sich auf die Informationsauswahl. Um zu untersuchen, ob die Informationen in einer Pressemitteilung relevant sind, wird die Dimension in drei Kriterien unterteilt: Aktualität, Vollständigkeit und Analytische Qualität.

Informationen können als relevanter betrachtet werden, wenn sie auch eine gewisse Aktualität besitzen. Wie aktuell ein dargestelltes Thema ist, wird untersucht, indem die Veröffentlichungsdaten von Pressemitteilung und Anlass (oft einer wissenschaftlichen Publikation) verglichen werden.

Eine Pressemitteilung gewinnt auch an Relevanz, wenn die präsentierten Informationen möglichst vollständig sind. Da eine Pressemitteilung in vielerlei Hinsicht einer Nachrichtenform ähnelt und von der Wissenschafts-PR mitunter sogar als „Nachricht“ deklariert wird, wurde das Kriterium Vollständigkeit mithilfe von W-Fragen (Wer, Was, Wann, Wo) erfasst: Untersucht wird, ob Informationen zum Hauptakteur, dem Hauptergebnis, dem zeitlichen Anlass und dem Ort der Publikation möglichst zu Beginn angesprochen werden.

Schließlich wird in der Dimension Relevanz bewertet, ob die Pressemitteilung es ermöglicht, die Bedeutung eines Themas einzuordnen. In Anlehnung an u.a. Hagen (1995: 98 ff.) soll mit dem Kriterium Analytische Qualität gemessen werden, ob relevante Hintergründe erwähnt sind (zum wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kontext, zu Auswirkungen und Folgen eines Forschungsergebnisses). So wird zum Beispiel erhoben, ob die Pressemitteilung in Abgrenzung zum bisherigen Forschungsstand erklärt, was das Neue ist, und ob sie einen Bezug zur Gesellschaft oder zum Alltagsleben herstellt. Bei Medizin-Themen gehören dazu Aspekte wie Kosten, Verfügbarkeit sowie Risiken und Nebenwirkungen. Im Kontext von Umwelt-Pressemitteilungen sind Informationen gemeint, die beispielsweise eine räumliche oder zeitliche Einordnung des Hauptergebnisses ermöglichen (vgl. Rögener & Wormer 2015).

Qualitätsdimension 2: Sachgerechtigkeit

„Effektive Kommunikation orientiert sich an den grundlegenden Kriterien der sachlichen Richtigkeit (…) Sachlich richtige und wahrhaftige Kommunikation lässt es z.B. nicht zu, um kurzfristiger Publizität willen falsche Hoffnungen zu wecken oder übertriebene Ängste zu beschwören“ – heißt es schon 1995 in den Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz zur Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen. Ähnliche Forderungen finden sich vielfach in der Literatur. Die Qualitätsdimension Sachgerechtigkeit bezieht sich auf die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden: Werden die Fakten in der Pressemitteilung sachlich-neutral geschildert, oder sind Informationen eher missverständlich, unsachlich oder tendenziös (etwa im Vergleich zu einer zugehörigen Fachpublikation) präsentiert? Um zu untersuchen, ob die Informationen in der Pressemitteilung sachgerecht aufbereitet werden, werden folgende Kriterien erfasst: Plausibilität, Genauigkeit und Faktenbezogenheit.

Plausibilität bedeutet konkret, dass beim ersten Lesen keine logischen Unstimmigkeiten auffallen. Zudem wird erfasst, ob die wesentlichen Sachangaben in einer Pressemitteilung mit jenen aus einer zugrundeliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichung übereinstimmen.

Mit Genauigkeit ist gemeint, wie genau und nachvollziehbar quantitative Aussagen in einer Pressemitteilung beschrieben sind: Werden beispielsweise Nutzen- und Risikoangaben mit absoluten und relativen Zahlenwerten belegt?

Pressemitteilungen werden als sachgerecht („faktentreu“) bewertet, wenn ihre wesentlichen Aussagen jene in der wissenschaftlichen Veröffentlichung widerspiegeln. Dazu gehören z.B. Angaben zur Aussagekraft einer Studie: Wird in der Pressemitteilung ein neues Medikament für den Menschen beschrieben oder gibt sie Handlungsempfehlungen, obwohl die Forschungsresultate bislang nur auf Zell- oder Tierversuchen beruhen? Ist die Mitteilung sprachlich neutral formuliert oder gibt es eine Emotionalisierung oder Dramatisierung? (Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass – jenseits von besonders offensichtlichen Fällen – eine schon in der Fachveröffentlichung auftretende Tendenz zu einem Hype auf diese Weise nicht erfasst werden kann.)

Qualitätsdimension 3: Transparenz

„PR- und Kommunikationsfachleute sorgen dafür, dass der Absender ihrer Botschaften klar erkennbar ist. Sie machen ihre Arbeit offen und transparent“, heißt es im „Kommunikationskodex“ des Deutschen Rates für Public Relations. Auch in den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR steht: „Gute Wissenschafts-PR macht Grenzen der Aussagen und Methoden von Forschung sichtbar. Die Wissenschafts-PR benennt Quellen und Ansprechpartner. Sie macht Interessen und finanzielle Abhängigkeiten transparent.“ Transparenz wird hier daran bewertet, wie nachvollziehbar die Herkunft von Informationen ist. Dazu wird die Dimension in drei Kriterien untergliedert: Überblick, Quellen und Methodik.

Unter Überblick wird erhoben, ob und wie über Rahmenbedingungen der Forschung informiert wird. Das umfasst Angaben zur Finanzierung und zu Kooperationspartnern bei einer Studie ebenso wie die Nennung von Interessenkonflikten (wenn diese in der zugehörigen Fachpublikation angegeben sind) sowie Angaben zur Quelle der Publikation selbst und die Kontaktdaten von Wissenschaftlern und Pressestelle.

Pressemitteilungen setzten die Transparenzvorgabe um, wenn sie ihre Quellen offenlegen und Fakten (insbesondere die Hauptergebnisse der Studie) damit überprüfbar machen.

Angaben zur Methodik sind für wissenschaftliche Publikationen Pflicht. Transparente Pressemitteilungen legen diese Informationen ebenfalls offen – indem sie zumindest Angaben zu wichtigen Kenngrößen wie Design, Größe und Dauer einer Studie machen. Gleichzeitig weisen sie auf Grenzen der Aussagekraft hin.

Qualitätsdimension 4: Vermittlung

„Kommunikation muss verständlich sein. Auch für Dialog und Partizipation ist Informationsvermittlung eine Voraussetzung“ (Weitze & Heckl 2016: 55). Die Dimension Vermittlung konzentriert sich darauf, wie Informationen strukturiert und formuliert sind. In Anlehnung an das Verständlichkeitsmodell von Langer, Schulz von Thun & Tausch (2002) unterteilt sich die Dimension in fünf Qualitätskriterien: Verständlichkeit, Prägnanz, Gliederung, Rechtschreibung und Anregende Zusätze.

Informationen werden gut vermittelt, wenn sie einfach dargestellt und in verständlicher Sprache präsentiert werden. Konkret wird der Satzbau einer Pressemitteilung und die Wortwahl untersucht. In einem weiteren Schritt wird bewertet, ob die wesentlichen Informationen prägnant auf den Punkt gebracht werden, ob bestimmte Aspekte zu kurz kommen oder zu weitschweifig geschildert werden.

Das Kriterium Gliederung bezieht sich auf die Struktur und Ordnung der Informationen im Text: Ist ein roter Faden zu erkennen oder gibt es inhaltliche Sprünge? Enthält die Pressemitteilung Absätze und Zwischenüberschriften, die den Lesefluss lenken? Bewertet werden zudem Rechtschreib- und Grammatikfehler sowie Zusätze, die den Inhalt der Pressemitteilung für den Leser interessanter gestalten. Darunter fallen Zitate, Vergleiche mit Alltagsbezug oder erklärende Bilder.

Qualitätsdimension 5: Vielfalt

“Can you get a ‘second opinion’ about the significance of the work or the claims being made?” – die Frage nach einer zweiten Expertenmeinung führt das britische Netzwerk für Wissenschafts-PR (Stempra) im “Guide to Being a Media Officer” (2017) zum Punkt “Verantwortungsvolle Kommunikation” auf. Die Mehrzahl der Publikationen zur guten Wissenschafts-PR führen diese in der journalistischen Qualitätsforschung unter der Dimension „Vielfalt“ selbstverständliche Forderung allerdings nicht explizit als Empfehlung auf – wenngleich sie durchaus diskutiert wird (vgl. auch Wormer 2017). Die Dimension Vielfalt wird hier auf die Ebene der Informationsbezüge bezogen und in zwei Kriterien unterteilt: Meinungsvielfalt und Quellenvielfalt.

Das Kriterium Meinungsvielfalt erfasst, ob Experten das Hauptergebnis der Pressemitteilung bewerten. Dabei wird unterschieden, ob Experten der eigenen Institution oder von Kooperationspartnern angeführt werden oder ob auch von der Studie unabhängige Experten zu Wort kommen. Beim Kriterium Quellenvielfalt geht es hingegen um die Frage, welche Quellen (eigene oder fremde) in einer Pressemitteilung genannt werden.

Literaturauswahl:

Engesser, S. (2013): Die Qualität des Partizipativen Journalismus im Web Bausteine für ein integratives theoretisches Konzept und eine explanative empirische Analyse. Wiesbaden: Springer VS.

Hagen, L. (1995): Informationsqualität von Nachrichten Meßmethoden und ihre Anwendung auf die Dienste von Nachrichtenagenturen. Wiesbaden: Springer VS.

Jungnickel, K. (2009): Nachrichtenqualität aus Nutzersicht Eine Untersuchung zur Korrespondenz zwischen normativen Qualitätsansprüchen und Nutzerqualitätsbewertungen. (Nicht-veröffentlichte Magisterarbeit). Technische Universität Dresden.

Langer, I., von Thun, S., Tausch, R. (2002): Sicher verständlich ausdrücken. Anleitungstexte. Unterrichtstexte. Vertragstexte. Gesetzestexte. Versicherungstexte. Wissenschaftstexte. Weitere Textarten. 7. Auflage. München: Ernst Reinhardt Verlag. doi: 10.1007/978-3-658-00584-9

Lilienthal, V., Reineck, D., Schnedler, T. (Hrsg.) (2014): Qualität im Gesundheitsjournalismus. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Mühle, E. (2019): Gute Wissenschafts-PR. Ein Modell eines inhaltsanalytischen Instrumentes zur systematischen Untersuchung von Qualitätskriterien in wissenschaftllichen Pressemitteilungen. Masterarbeit am Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus, TU Dortmund.

Rögener, W., Womer, H. (2015): Defining criteria for good environmental journalism and testing their applicability: An environmental news review as a first step to more evidence based environmental science reporting. In: Public Understanding of Science, 1-16. Doi: 10.1177/0963662515597195

Schwartz, L., Woloshin, S., Andrews, A., Stukel, T. (2012): Influence of medical journal press releases on the quality of associated newspaper coverage: retrospective cohort study. In: BMJ 2012;344:d8164, doi: 10.1136/bmj.d8164

Sumner, P., Vivian-Griffiths, S., Boivin, J., Williams, A., Venetis, C…Chambers, C. (2014): The association between exaggeration in health related science news and academic press releases: retrospective observational study. In: BMJ 2014;349:g7015, doi: 10.1136/bmj.g7015

Wissenschaft im Dialog, Bundesverband Hochschulkommunikation (Hrsg.) (2016): Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR. Abgerufen von: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/fileadmin/user_upload/Trends_und_Themen/Dokumente/Leitlinien-gute-Wissenschafts-PR_final.pdf

Wormer, H. (2017): Vom Public Understanding of Science zum Public Understanding of Journalism. In: Bonfadelli et al. (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S.429-451.

Voigt, J. (2016): Nachrichtenqualität aus Sicht der Mediennutzer. Wie Rezipienten die Leistung des Journalismus beurteilen können. Wiesbaden: Springer Fachmedien. doi: 10.1007/978-3-658-12041-2

Inhaltsanalysen und mehr

Die gleichen Pressemitteilungen, die wir im Forschungsprojekt „Inhaltsanalysen“ untersuchen, werden von professionellen Journalisten anhand der Medien-Doktor Kriterien begutachtet. Diese Gutachten finden sich im „Medien-Doktor PR-Watch“.

Auch in unserem Citizen Science Projekt „Medien-Doktor Citizen“ beschäftigen wir uns mit Pressemitteilungen zu Umweltthemen – hier aus Sicht journalistischer Laien.