Bewertet am 15. August 2016
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Der Gipfel des Kohleverbrauchs könnte in China überschritten sein – das berichtet der Deutschlandfunk in einem gelungenen Radiobeitrag, der in aller Kürze die wichtigsten Informationen vermittelt und die Nachricht durch einen unabhängigen Experten einordnen lässt.

Zusammenfassung

In der Sendung „Forschung aktuell“ des Deutschlandfunks informiert ein routinierter, gut verständlicher Radiobeitrag über ein Thema, das die meisten Hörerinnen und Hörer überraschen dürfte: China, das Land mit den höchsten CO2-Emissionen weltweit, hat laut einer Publikation im Fachmagazin „Nature Geoscience“ seinen Kohleverbrauch gesenkt und könnte damit zu einem Vorbild für andere Schwellen- und Entwicklungsländer werden. Es wird deutlich, dass die verfügbaren Zahlen für eine solche Trendwende sprechen. Man hätte allerdings gerne mehr über die Validität der verwendeten statistischen Daten erfahren. Mit interessanten O-Tönen eines nicht an der Studie beteiligten Experten vermittelt der Beitrag, dass der Gipfel des Kohleverbrauchs zwar wahrscheinlich überschritten ist, es aber noch Schwankungen geben kann. Auch wird klar, dass der sinkende Kohleverbrauch noch nicht mit verringerten CO2-Emissionen einhergeht. Insgesamt vermittelt der Beitrag in viereinhalb Minuten viele relevante Informationen und die „gute Nachricht“ wird sorgfältig eingeordnet.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

In sachlichem Ton berichtet der Radio-Beitrag über eine kürzlich erschienene Publikation in „Nature Geoscience“, derzufolge der Verbrauch von Kohle in der VR China in den vergangenen beiden Jahren zurückgegangen sei – das könne ein Anzeichen für einen längerfristigen Trend sein. Dies seien „überraschend gute Nachrichten“ heißt es, denn bislang wurde der Höhepunkt des Kohleverbrauchs ,„Peak Coal“, erst nach 2020 erwartet. Der Beitrag fragt aber auch kritisch nach, ob eine zwei Jahre andauernde Verringerung des Kohleverbrauchs schon als Trend gelten könne („Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer…“) und zitiert die „vorsichtige Zustimmung“ eines Experten (siehe dazu auch Kriterium 4). Außerdem wird betont, dass diese Entwicklung noch nicht mit einem Rückgang der CO2-Emissionen verbunden ist. Es wird klar, dass hier wahrscheinlich eine positive Entwicklung zu beobachten ist, aber auch Einschränkungen werden genannt.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der dargestellte Trend – der Rückgang des Kohleverbrauchs in China und die Verringerung des Anteils von Kohle am Gesamtenergiemix – wird anhand von wenigen Zahlen deutlich gemacht, etwa durch den Vergleich mit dem Kohleverbrauch für die Stromerzeugung aus dem Jahr 2007. Es wird auch gesagt, dass es sich um eine „Einschätzung“ der Forscher handelt. Allerdings erwähnt der Beitrag nicht, dass zumindest für ältere Verbrauchsangaben die korrekte Ermittlung der Daten fraglich ist. Auf dieses Problem weisen die Autoren der zugrunde liegenden Veröffentlichung in „Nature Geoscience“ selbst hin. Sie bemerken dazu : „There are ambiguities in the accuracy of China’s coal use data, which have implications for China’s energy and emissions policy. However, the government has retrospectively revised statistics on the basis of more accurate accounting; these values are used here and refer to the raw volume of coal use.” Es sei letztlich auch nicht so wichtig, ob 2013 oder 2014 das Jahr des höchsten Kohleverbrauchs war, so die Autoren, entscheidend sei die Trendumkehr. Ein Hinweis auf diese Unsicherheit im Beitrag fehlt.
Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es wird klar, dass der Beitrag auf einer aktuellen Publikation in „Nature Geoscience“ basiert. Der Beitrag lässt einen chinesischen Wissenschaftler, der an der Publikation beteiligt war, zu Wort kommen, sowie einen Forscher aus Großbritannien, der nicht zu den Autoren des Fachbeitrags gehört. Bei einem Bericht über ein derart überraschendes Thema hätte man sich gewünscht, noch etwas Genaueres über die befragten Wissenschaftler zu erfahren. Bei dem Ökologen „Ye Qi, Professor für Umweltpolitik an der Tsinghua Universität in Peking“ hätte deutlicher werden können, dass es sich offenbar um einen der führenden Experten Chinas auf diesem Gebiet handelt; er ist Direktor der „Climate Policy Institute School of Public Policy and Management“, die Teil der Tsinghua University ist. Qi ist u.a. verantwortlich für einen jährlichen Bericht zum „low-carbon development“ in China. Zu Michael Grubb wäre zu erwähnen gewesen, dass er in der Vergangenheit mit der Tsinghua Universität zusammengearbeitet hat. Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Radiobeitrag hinterfragt, ob es sich bei dem beobachteten Rückgang des Kohleverbrauchs in der VR China tatsächlich um einen belastbaren Trend handelt. Dazu wird ein nicht an der Veröffentlichung beteiligter Wissenschaftler interviewt, der ausführt, dass es sich tatsächlich um einen „Peak Coal“ in China handeln kann, dies allerdings noch nicht mit letzter Sicherheit feststeht. Es wird allerdings nicht erwähnt, ob es auch Experten gibt, die diesen Trend generell anzweifeln. Wir haben jedoch keine Anhaltspunkte für eine solche Kontroverse unter Klimawissenschaftlern gefunden, die hier hätte dargestellt werden müssen.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Radiobeitrag geht weit über die Pressemitteilung zur Publikation hinaus. Es werden Zahlen aus der Fachveröffentlichung zitiert, die nicht in der Pressemitteilung vorkommen, und es wird einer der Autoren befragt sowie ein weiterer Wissenschaftler, der nicht an der Veröffentlichung beteiligt war.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag macht klar, dass bislang ein späterer Zeitpunkt für den Gipfel des Kohleverbrauchs in China angenommen wurde und sich die Einschätzung aufgrund der Zahlen aus den vergangenen zwei Jahren nun geändert hat.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Im Radiobeitrag wird deutlich, dass der weltweit größte Kohleverbraucher und CO2-Emittent, die VR China, das Wirtschaftswachstum vom Kohleverbrauch abgekoppelt zu haben scheint. Es werden mehrere Gründe genannt, die zu dieser Entwicklung beitragen: Der Rückgang sei nicht nur auf ein geringeres Wirtschaftswachstum zurückzuführen, sondern auch auf den verstärkten Einsatz von anderen fossilen und regenerativen Energiequellen und eine striktere Luftreinhaltepolitik, die auch den Kohleverbrauch beeinflusst. Damit sind wichtige Handlungsansätze genannt, um in näherer Zukunft die CO2-Emissionen in China und möglicherweise auch in anderen Schwellenländern zu reduzieren.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass der Kohleverbrauch in China und dessen Entwicklung von weltweiter Bedeutung ist. Denn China verbraucht derzeit so viel Kohle wie alle anderen Länder der Welt zusammen. Der Beitrag spricht am Ende auch kurz an, dass die Abkopplung des Kohleverbrauchs vom Wirtschaftswachstum beispielgebend für andere Schwellenländer wie Indien und Südafrika sein kann. Insgesamt wird klar, dass die Reduzierung des chinesischen Kohleverbrauchs ein gutes Zeichen für die internationale Klimaschutzpolitik ist.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Die Abnahme des Kohleverbrauchs wird durch die Angabe von Vergleichsjahren deutlich. Der Radiobeitrag geht ausführlich auf die Frage ein, ob es sich beim beobachteten Rückgang um ein vorübergehendes Phänomen handelt oder um einen stabilen Trend. Mit dem O-Ton von Michael Grubb wird diese Frage, soweit derzeit möglich, beantwortet („Ich würde auf jeden Fall die nächsten Jahre im Auge behalten. Es könnte sein, dass die Zahlen noch einmal hochgehen oder ein wenig hin-und herspringen. Aber das ist ganz normal, bevor sich ein Trend endgültig bestätigt. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass sich das Blatt in China tatsächlich wendet und der Kohle-Verbrauch des Landes zurückgeht.“) Darüber hinaus wird die Einschätzung der Experten deutlich, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre auch zu einer Verminderung der CO2-Emissionen kommen wird.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

In dem Radiobeitrag werden kurz die wirtschaftlichen und politische Rahmenbedingungen benannt, die zum „Peak Coal“ in der VR China geführt haben: der Rückgang des Wirtschaftswachstums von zweistelligen Wachstumsraten auf fünf bis sieben Prozent pro Jahr, der Ausbau anderer Energiequellen und eine Umweltpolitik, die aufgrund der enormen Luftverschmutzung notwendig geworden ist. Dieser Trend könnte eine gute Nachricht für die weltweiten Bemühungen im Klimaschutz sein. Man hätte zwar gerne noch mehr über die chinesische Energie- und Wirtschaftspolitik erfahren, etwa zu den volkswirtschaftlichen Kosten der Umstellung wie auch zu dem erwarteten Nutzen einer verringerten Luftverschmutzung. Im Rahme eines solch kurzen Beitrags sehen wir das Kriterium aber noch als erfüllt an.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist angesichts der kurz zuvor veröffentlichten Fachpublikation aktuell, für die Klimapolitik sehr relevant und in seiner inhaltlichen Aussage überraschend.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Radiobeitrag ist gut verständlich und vermittelt in aller Kürze die Bedeutung der Trendwende im Kohleverbrauch für die weltweite Klimaschutzpolitik. Es gibt eine klare Struktur und einen roten Faden – wie die VR China, die derzeit noch die höchsten CO2-Emissionen hat, womöglich zum Hoffnungsträger der Klimaschutzpolitik werden kann. Die O-Töne sind sehr gut eingesetzt. Der Beitrag wirkt dadurch abwechslungsreich und fundiert.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen. Problematisch finden wir allerdings, China als „größten Klimasünder“ zu bezeichnen. Auch wenn es zutrifft, dass China die höchsten CO2-Emissionen hat, liegt es bei den Pro-Kopf-Emissionen weit hinter den USA, ebenso, wenn man den Beitrag zum Klimawandel über die letzten zweihundert Jahre betrachtet.

Umweltjournalistische Kriterien: 10 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar