Bewertet am 1. Juni 2015
Veröffentlicht von: Stuttgarter Nachrichten

Die Stuttgarter Nachrichten berichten unter Verwendung von zwei dpa-Meldungen über die Folgen des Klimawandels für den Bodensee. Wissenschaftler rechneten mit einem weiteren Anstieg der Wassertemperaturen, was aber zu verkraften sei. Worauf solche Prognosen beruhen, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

Zusammenfassung

Der Beitrag in den Stuttgarter Nachrichten stellt ein Phänomen dar, das einen Blick auf die komplexen Zusammenhänge von Ökosystemen und Klimawandel eröffnet: Steigende Wassertemperaturen beeinflussen die Zirkulation im Bodensee, diese den Sauerstoffgehalt, und dieser wiederum Algenwachstum und Schadstoffgehalt im Wasser. Ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt ist der Anlass der Berichterstattung. Dass es kürzlich abgeschlossen wurde, ist dem Beitrag jedoch nicht zu entnehmen. Außerdem bezieht sich der Artikel auf ein Strategiepapier der Landesregierung, über dessen Inhalte aber kaum Nennenswertes berichtet wird.

Insgesamt spricht der Beitrag viele Aspekte an, ohne diese aber zu vertiefen. Banalitäten, wie „Es sei jedoch wichtig, die Entwicklungen genau zu beobachten“, oder „der Klimawandel beeinflusst aber auch zahlreiche andere Lebensbereiche im Südwesten“, machen die Lektüre etwas mühsam; stattdessen hätte man gerne Genaueres zu den Ergebnissen des Projekts und dessen Methoden erfahren. Der Beitrag beschränkt sich auf Informationen aus regierungsnahen Institutionen und der Wasserwirtschaft. Interessant wäre es gewesen, hierzu auch Umwelt- und Naturschutzverbände zu befragen, die sich mit dem Thema Seeökologie beschäftigen. Insgesamt ist es ein aktueller Artikel zu einem interessanten Thema, der aber deutlich hinter dem zurück bleibt, was in diesem Kontext möglich gewesen wäre. Daher reicht es am Ende auch nur knapp zu drei Sternen.

Der überwiegende Teil des Beitrags ist die Übernahme einer dpa-Meldung, die am Ende gekürzt wurde. Der letzte Absatz ist dann anhand einer weiteren dpa-Meldung verfasst, von der jedoch nur ein kleiner Bruchteil Verwendung fand. Unser Gutachten bezieht sich auf den von den Stuttgarter Nachrichten zusammengestellten Text.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag beschreibt, dass der Klimawandel bereits Auswirkungen auf die Wasserzirkulation im Bodensee hat. Die Erwärmung des Oberflächenwassers habe zur Folge, dass die Sauerstoffversorgung tieferer Wasserschichten leidet, was das Algenwachstum begünstige. Dies wiederum könne eines Tages ein Problem für die Trinkwasserversorgung aus dem Bodensee werden. In den kommenden 50 bis 80 Jahren rechneten die Experten mit einer weiteren Erwärmung des Sees um „zwei bis drei Grad”, die der See aber zusätzlich zur bereits erfolgten Erwärmung um plus 0,9 Grad „verkraften“ könne, wenn der Nährstoffgehalt niedrig bleibe. Der Text zitiert einen Experten, der darauf hinweist, dass es derzeit noch keine Probleme mit dem Trinkwasser gebe, und aus Sicht der Wasserversorgung auch noch kein akuter Handlungsbedarf bestehe, man müsse die Entwicklung aber genau beobachten. Insgesamt wird ein Umweltproblem beschrieben, das eines Tages dramatisch werden könnte, ohne die Risiken zu übertreiben.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag beschreibt Zusammenhänge – etwa den Einfluss der Oberflächenerwärmung auf die Zirkulation des Seewassers – verständlich, nennt dabei aber nur wenige harte Fakten. Eine der wenigen konkreten Angaben – die Wassertemperatur „am Bodensee“ sei um 0,9 Grad gestiegen – ist so nicht korrekt, gemeint ist die Oberflächentemperatur (siehe auch allgemeinjournalistisches Kriterium 3, Faktentreue). Zu den angeführten Einschätzungen der Experten wird nicht erläutert, worauf diese genau beruhen (z.B. auf Modellrechnungen). Woraus ergibt sich beispielsweise, dass der erwartete weitere Temperaturanstieg unproblematisch sei? Belege für diese Aussage werden nicht genannt. Zu anderen Punkten fehlen konkrete Angaben, etwa zum „Nährstoffgehalt des Sees in seinen natürlichen Grenzen“ und zur Position der Fischer, die eine Erhöhung des Phosphatgehaltes fordern. Ist dieser unter den natürlichen Gehalt zurückgegangen? Gibt es andere Gründe für sinkende Fangerträge? Hier bleibt der Text Informationen schuldig, ebenso auch zur Gefährdung des Trinkwassers – welche konkreten Risiken bestehen? Zu der am Ende angeführten Aufzählung von Lebensbereichen, die „vom Klimawandel betroffen“ sind, fehlen jegliche Erläuterungen und Belege (in der diesem Absatz zugrundeliegenden dpa-Meldung sind dagegen weiterführende Informationen enthalten).

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel nimmt Bezug auf das Klimaforschungsprojekt Klimawandel am Bodensee (KlimBo). Die Ergebnisse werden zutreffend referiert, allerdings nur indirekt als Äußerungen des Vorsitzenden der Internationale Gewässerschutzkommission (IGKB), die Auftraggeber der Studie ist. Bei welcher Gelegenheit die Äußerungen fielen (Tagung der IGKB), erfahren Leserinnen und Leser nicht. Die zweite Quelle, der Entwurf zu einer Klimaanpassungsstrategie für Baden-Württemberg, wird nur im Vorspann und im letzten Absatz knapp erwähnt. Auf Seite 79 des Strategiepapiers findet sich das Kapitel Bodensee, das im Artikel jedoch nicht zum Tragen kommt.

Es werden im Beitrag zwei Experten genannt: der Vorsitzende der Gewässerschutzkommission und ein Vertreter der Bodensee-Wasserversorgung. Doch ist dem Text nicht zu entnehmen, dass die Wasserwerke am Forschungsprojekt KlimBo beteiligt waren.
Wünschenswert wäre außerdem eine Erläuterung zur IGKB wäre gewesen. So wird dem Leser  nicht klar, ob es sich um ein wissenschaftliches Gremium handelt, oder – wie es tatsächlich der Fall ist – um ein Gremium, das von der Politik gelenkt wird. (Es besteht aus Vertretern der Verwaltungen der Mitgliedsländer.)

Die im Beitrag verwerteten Informationen stammen fast ausschließlich aus dem regierungsnahen Umfeld, namentlich der IGKB. Interessant wäre gewesen, auch Umweltverbände zu befragen, etwa die Bodensee-Stiftung, den Global Nature Fund oder das Netzwerk Living Lakes, die alle einen Sitz in Radolfzell am Bodensee haben.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Beim einzigen Punkt, der verschiedene Meinungen erwähnt, der Frage des Phosphors im Bodenseewasser, wird mit jeweils einem Satz die jeweilige Position beschrieben. Die Berufsfischer fordern schon seit Jahren, dass die Kläranlagen mehr Phosphor im Wasser lassen sollen oder dass sogar gezielt Phosphor in den See gekippt wird, damit sich mehr Algen bilden, die Fische mehr zu fressen und sie mehr Fische im Netz haben. Das Baden-Württembergische Umweltministerium lehnt das ab (Link nicht mehr verfügbar).

Im Beitrag werden „die Forscher“, aber niemand Bestimmtes, mit der Einschätzung zitiert, der See halte noch eine weitaus höhere Temperatur aus, wenn der Nährstoffgehalt niedrig bleibe. Ob es dazu andere Einschätzungen gibt, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

Wir werten insgesamt „knapp erfüllt.“

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Text ist anlässlich einer Tagung der Gewässerschutzkommission – mutmaßlich nach einem Pressegespräch – erschienen. Eine Pressemitteilung der IGKB stand erst nach Erscheinen des Artikels online zur Verfügung. Der Beitrag geht über diese Pressemitteilung hinaus, indem er beispielsweise die Fischereidebatte sowie das Strategiepapier des Umweltministeriums zumindest knapp erwähnt und einen Vertreter der Wasserversorger zitiert.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag berichtet hautsächlich über die Ergebnisse des Forschungsprojekts KlimBo, das Ende 2014 abgeschlossen wurde. Dieses Projektende wird nicht erwähnt. Ob die Ergebnisse nun in Bregenz erstmals öffentlich vorgestellt wurden, oder schon länger bekannt sind – etwa in Form wissenschaftlicher Veröffentlichungen – macht der Beitrag nicht deutlich. Wesentliche Inhalte (Erwärmung des Oberflächenwassers um etwa 1 Grad Celsius, seltenere Durchmischung des Bodensees) sind bereits auf der IGKB-Tagung im Vorjahr berichtet worden, wie aus eine Pressemitteilung vom Mai 2014 hervorgeht. Auch die Notwendigkeit, den Nährstoffgehalt niedrig zu halten, wurde darin bereits betont. Was demgegenüber an neuen Ergebnissen vorliegt, arbeitet der Beitrag nicht genug heraus.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Text konzentriert sich vor allem auf die örtlichen Konsequenzen, also die Vorsorge zum Erhalt der Wasserqualität im Bodensee. Der wesentliche Lösungsansatz, nämlich den Nährstoffgehalt im See auf niedrigem Niveau stabil zu halten, wird genannt. Andere Handlungsoptionen, die die Bodenseekommission wie die Landesregierung nennen, vor allem die Nutzung der Wärme aus dem Bodensee für Heizzwecke, werden nicht angesprochen. Die klimabedingten Probleme der Flachwasserzonen, die Auswirkungen von vermehrtem Niedrig- oder Hochwasser auf die Artenvielfalt werden im Text ebenfalls nicht aufgeführt, entsprechend werden auch keine Handlungsoptionen genannt. Auch die Frage, welche Rolle die Landwirtschaft in Bodenseenähe für die Wasserqualität spielt, und in welchem Maße diese womöglich noch ihren Stoffeintrag in den Boden senken müsste, bleibt außen vor. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Text legt dar, wie der Klimawandel als globales Phänomen sich regional auswirkt – mit dem Bodensee ist diese Region präzise abgegrenzt. Innerhalb des Sees geht es um den vertikalen Wasseraustausch, der ausreichend verständlich beschrieben wird.
Da der Beitrag zugleich darauf hinweist, dass 320 Gemeinden vom Bodensee versorgt werden, ist auch das Thema Umland-Wasserversorgung in räumlicher Hinsicht ausreichend beschrieben. Die regionale Bedeutung der Bodensee-Wasserversorgung hätte man noch unterstreichen können, wenn man darauf hingewiesen hätte, dass sogar Stuttgart Bodenseewasser erhält.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag berichtet über den bisherigen Temperaturanstieg (0,9 Grad während der letzten 50 Jahre) und benennt die zu erwartende Entwicklung: Der See könnte sich in den kommenden 50 bis 80 Jahren noch einmal um zwei bis drei Grad erwärmen. Auch die Veränderungen im Jahreslauf (Absinken des kühlen Wassers im Herbst und die dadurch ausgelöste Durchmischung) werden kurz beschrieben, verbunden mit der Angabe, die Wasserschichten würden „immer häufiger nicht durchmischt“. Konkrete Informationen dazu fehlen im Beitrag. Hilfreich wäre hier eine Grafik gewesen – etwa analog S. 79 in der Anpassungsstrategie des Landes Baden-Württemberg. Daraus geht hervor, dass zwischen 1960 und 2006 eine Gesamtdurchmischung des Bodensees 34 Mal stattfand; von 2007 bis 2012 gab es dagegen nur ein Jahr mit einer guten Durchmischung.

Auch weitere zeitliche Aspekte wären interessant gewesen, etwa: Mit welcher Verzögerung schlägt die Erwärmung auf die Wasserqualität durch? Wie hat sich der Nährstoffgehalt entwickelt? Ist der Aufwand für die Wasseraufbereitung in den letzten Jahren angestiegen?  Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag erwähnt, dass die Folgen des Klimawandels für den Bodensee bisher noch „verkraftbar“ seien, ohne dies näher zu begründen. Ein wirtschaftlicher Aspekt wird angesprochen – der Wunsch der Fischer nach mehr Phosphat im Wasser, um die Fangerträge zu steigern. Allerdings fehlt hier eine Erläuterung, die dieses Ansinnen verständlich machen könnte (dagegen ist in der zugrundeliegenden dpa-Meldung zumindest eine kurze Erklärung enthalten), und jede Einordnung – um welche wirtschaftlichen Dimensionen geht es hier, wie haben sich die Erträge konkret entwickelt?

Das Thema Wasserreinhaltung wird betont, ohne dabei die Kosten anzusprechen. Wie steht es um die Qualität der Abwässer im Bodenseeraum? Werden die Kläranlagen weiter verbessert und wie teuer wird das? Welche Rolle spielt die Landwirtschaft für den Eintrag von Schadstoffen?

Dass der gesellschaftliche Kontext des Klimawandels in einem solchen Beitrag nicht umfassend abgehandelt wird, ist verständlich. Die Aufzählung der „besonders vom Klimawandel betroffene(n) Bereiche“ am Schluss ist dagegen nichtssagend und nicht geeignet, das Problem für Leserinnen und Leser einzuordnen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Text hat offenbar einen aktuellen Anlass – eine Sitzung der Bodensee-Gewässerschutzkommission in Bregenz. Zugleich hat die Landesregierung ihren Entwurf zur Anpassungsstrategie vorgestellt. Beides sind hinreichende Gründe für die Berichterstattung.
Mit der Beschreibung des Zusammenhangs von Klimawandel, Wassertemperatur, Durchmischung und Wasserqualität wird zudem ein relevantes Thema behandelt, das in der Öffentlichkeit noch nicht allzu bekannt sein dürfte.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Einstieg ist etwas unvermittelt, doch ist die einleitende Passage, die den vertikalen Wasseraustausch erklärt, verständlich und anschaulich. Der nachfolgende Text ist dagegen eine eher oberflächlich Aneinanderreihung von Aussagen ohne nachvollziehbare Struktur. Etliches hätte hier der Erklärung bedurft – was etwa haben Erfahrungen mit Hochwasser und Trockenperioden mit dem Thema zu tun? Der letzte Absatz wechselt das Thema und nennt Stichworte aus der Anpassungsstrategie der Landesregierung. Diese Passage, die einer anderen dpa-Meldung entnommen ist, wirkt sehr unvermittelt angefügt, der Zusammenhang mit dem Vorausgehenden bleibt vage.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Unzutreffend ist die Aussage, die Wassertemperatur „am Bodensee“ sei um 0,9 Grad gestiegen. Tatsächlich geht es nicht um die durchschnittliche Temperatur des Seewassers, wie man aufgrund dieser Formulierung annimmt, sondern um die Temperatur an der Oberfläche des Sees – eine für den Sachverhalt wichtige Differenzierung. Bei den weiteren Ausführungen zu künftigen Temperaturerhöhungen um weitere  2 bis 3 Grad geht es mutmaßlich ebenfalls um die Oberflächentemperatur, hier fehlt zumindest die korrekte Angabe.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar