Bewertet am 15. September 2017
Veröffentlicht von: dpa | Stuttgarter Zeitung

Die Stuttgarter Zeitung berichtet über zwei Studien, die bestätigen, dass bestimmte Insektenvernichtungsmittel – Neonicotinoide – auch Bienen und Hummeln schaden. Dies ist insbesondere bemerkenswert, weil eine der Studien von Herstellern dieser Insektizide finanziert wurde. Der Artikel zieht verschiedene Quellen heran und ordnet die Ergebnisse in die seit Jahren andauernden Diskussionen ein. Es fehlt indes ein Hinweis auf den wirtschaftlichen Kontext.

Zusammenfassung

Der kurze Artikel in der Stuttgarter Zeitung, der auf einem längeren Text der dpa basiert, nimmt zwei aktuelle Studien zum Anlass, über die Auswirkungen von bestimmten Insektenvernichtungsmitteln – den Neonicotinoiden –- auf nützliche Insekten wie Bienen und Hummeln zu berichten. Leserinnen und Leser erfahren, dass beide Studien, die im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschienen sind, negative Auswirkungen der Mittel auf Bienen fanden. In aller Kürze gibt der Artikel einen gut verständlichen Überblick über das Thema. Es wird deutlich, dass Experten über die Schädlichkeit der Neonicotinoide für Bienen und andere nützliche Insekten streiten, und dass derzeit in der EU ein Moratorium für bestimmte Neonicotinoide gilt. Neben den genannten Studien werden weitere Experten zur Einordnung der Ergebnisse herangezogen, auch „methodische Schwächen“ werden angesprochen, ohne diese allerdings zu erläutern. Wie die Studien durchgeführt wurden, und wie die Ergebnisse im Detail aussehen, erklärt der Artikel nicht. Ebenso fehlt eine Einordnung des Themas in den wirtschaftlichen Kontext. Der zugrunde liegende dpa-Beitrag liefert hier mehr Informationen, auch die online-Version der Stuttgarter Zeitung enthält mehr Details sowohl zu den Studien als auch zur Kritik daran. Es wäre aus unserer Sicht wünschenswert gewesen, auch der Printversion etwas mehr Raum zu geben und so das interessante Thema noch präziser darzustellen.

Hinweis: Das Gutachten bezieht sich auf den Artikel in der Druckausgabe, die Online-Fassung ist länger und detailreicher, noch ausführlicher ist der zugrunde liegende dpa-Text. Der Originalbeitrag ist online leider nicht mehr abrufbar. 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Artikel wählt eine sachliche Überschrift und stellt im weiteren Verlauf die z.T. widersprüchlichen Studienergebnisse zur Wirkung der Neonicotinoide (NNI) eher vorsichtig dar, ohne dabei zu verharmlosen oder zu dramatisieren. Es wird deutlich, dass die Studien keinen Grund zur Entwarnung geben, es werden aber auch keine Horrorszenarien entworfen.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Artikel zitiert verschiedene Studien und nennt deren Ergebnisse. Er stellt fest, dass es eine Tendenz in eine Richtung gibt – es wurden negative Auswirkungen der Neonicotinoide gefunden, wenn auch nicht in allen Fällen – aber noch keine Erklärungen für alle Phänomene. Wie die Forscher vorgegangen sind, erfährt man indes nur in sehr groben Zügen. So wird im Zusammenhang mit der britischen Studie von „Freilandversuchen“ gesprochen, ohne zu erläutern, welche Art von Versuchen oder Messungen genau gemacht wurden. Das Ergebnis wird nur recht allgemein berichtet: „In Großbritannien und Ungarn sank die Überwinterungsfähigkeit von Honigbienen neben NNI-Feldern.“ Wie groß dieser Effekt war – minimal oder sehr drastisch? – bleibt dabei offen. Weiter wird erwähnt, dass Wissenschaftler „methodische Schwächen“ der Studie kritisieren. Anders als im zugrunde liegenden dpa-Text wird hier nicht erläutert, welche Schwächen das sind, und wie sie das Ergebnis beeinflussen. Da solche Erklärungen im Rahmen eines so kurzen Beitrags nur schwer möglich sind, werten wir noch „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Beitrag beschäftigt sich vor allem mit zwei Studien und nennt dabei die Autoren und im Fall der britischen Studie auch die Geldgeber „Bayer CropScience und Syngenta“. Diese Information ist hier wichtig, da diese Firmen die untersuchten Insektizide herstellen, ein negatives Ergebnis also besonders bemerkenswert ist. Die Glaubwürdigkeit der Studie wird damit unterstrichen. Zusätzlich erwähnt der Artikel weitere Untersuchungen, z.B. des Neurobiologen Randolf Menzel. Am Ende wird außerdem der Experte „Brühl“ zitiert, gemeint ist der Ökotoxikologe Carsten Brühl, wie aus der Onlineversion des Beitrags hervorgeht. Da der Name aber im Printbeitrag vorher nicht vorgekommen ist und nicht eingeordnet wird, können die Leserinnen und Leser mit dieser Namensnennung nichts anfangen.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Die umfangreiche Debatte um die Schädlichkeit der Neonicotinoide für Bienen und andere nützliche Insekten kann in einem so kurzen Beitrag nicht aufgerollt werden, sie wird aber zumindest erwähnt„Die Frage, inwieweit dies den Nutzinsekten schadet, bewegt die Gemüter seit Langem. Studien, die negative Auswirkungen fanden, gibt es zuhauf.“ Der Artikel berichtet, dass einige Studien deutlich negative Effekte zeigen, andere dagegen keine oder nur geringfügig negative Auswirkungen. Es wird klar, dass es einen Expertenstreit gibt, allerdings ohne dass Leserinnen und Lesern Informationen zur Bewertung und Gewichtung dieses Streits an die Hand gegeben werden. So heißt es beispielsweise, dass Kritiker bemängeln, „die Studien seien nicht unter realistischen Bedingungen erfolgt“. Ob diese Aussage nun stimmt oder nicht, erfährt man nicht. Auch wie die beiden aktuellen Studien in der Hinsicht zu bewerten sind, wird nicht klar. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag fasst die Ergebnisse zweier Studien zusammen und stellt diese in den Kontext der laufenden Auseinandersetzung um Neonicotinoide. Zusätzlich wurden mit Randolf Menzel und Carsten Brühl Experten befragt, die nicht zu den Studienautoren gehören. Damit geht der Beitrag klar über die Pressemitteilungen zu den Studien hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Artikel berichtet, dass die Debatte um die Schädlichkeit der Neonicotinoide bereits seit längerem läuft. Es wird klar, dass zahlreiche Studien zu diesem Thema vorliegen, die 2013 zu einem zeitlich befristeten Moratorium der EU für einige Neonicotinoide geführt haben. In diesen Zusammenhang werden die beiden aktuellen Studien eingeordnet, die kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschienen sind.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Als einzige Lösungsmöglichkeit erwähnt der Beitrag das Moratorium der EU, also ein vorläufiges Verbot, und schließt dann mit der Bemerkung: „Ob die Daten zu einem dauerhaften Verbot der Substanzen führen, ist indes offen.“ Interessant wäre hier zu erfahren, ob Alternativen zu Neonicotinoiden existieren. Können sie durch biologische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden? Sind bestimmte Anbauformen besonders anfällig, und könnte man hier etwas verändern? Da es ja mittlerweile seit vier Jahren ein Moratorium in der EU gibt, wäre es interessant zu erfahren, wie sich dieses ausgewirkt hat, und welche Alternativen genutzt wurden. Da diese Infos fehlen, werten wir „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Artikel macht klar, dass Neonicotinoide kein regional begrenztes Problem sind, sondern überall dort zu Problemen führen können, wo sie eingesetzt werden. Die Studie des britischen Wissenschaftlers Ben Woodcock und seiner Kollegen hat zum Beispiel die Belastung in drei verschiedenen Ländern untersucht und kam dabei jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es wird berichtet, dass die Ursachen für diese regionalen Unterschiede noch unklar sind. Anders als in dem längeren dpa-Text werden keine möglichen Ursachen dafür diskutiert.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Leserinnen und Leser erfahren nicht, wann und über welchen Zeitraum Daten für die beiden vorgestellten Studien erhoben wurden. Der Artikel erläutert auch nicht, wie langlebig die Neonicotinoide sind, wie lange ihre negative Wirkung also anhält. Genausowenig erfährt man, wie massiv die Bienen geschädigt werden, und wie lange es dauert, bis sich eine Population wieder erholt hat.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der politische Kontext wird mit Erwähnung des Moratoriums zumindest gestreift. Indes fehlt der wichtige wirtschaftliche Hintergrund völlig: Honigbienen, vor allem aber auch Wildbienen und Hummeln, erfüllen eine wichtige Rolle als Bestäuber. Auf den Wert dieser Ökosystemleistungen geht der Beitrag nicht ein. Auch sonst werden Kosten in keiner Weise berücksichtigt, was bei diesem Thema aber ein entscheidender Aspekt ist: Wie hoch sind die Ernteschäden bei Verzicht auf Neonicotinoide? Wie hoch fallen umgekehrt die Schäden aus, wenn Bestäuber fehlen? Und was bedeutet der Verlust für Imker? Anders als im zugrunde liegenden dpa-Text wird keiner dieser Punkte auch nur exemplarisch einbezogen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema ist hochrelevant und mit den zwei aktuellen Studien liegt ein guter Anlass vor, um über das Thema zu berichten. Dass sogar eine von Neonicotinoidherstellern bezahlte Studie zu solchen Ergebnissen kommt (und dies auch publiziert wird), ist besonders interessant.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text ist gut lesbar geschrieben und nachvollziehbar strukturiert. Er macht auch für Leserinnen und Leser, die sich mit diesem Thema noch nicht weiter beschäftigt haben, klar, worum es geht. Sehr unglücklich ist es allerdings, das der zitierte Experte „Brühl“ im Printtext nicht eingeführt wird.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Faktenfehler haben wir nicht festgestellt.

Umweltjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar