Bewertet am 20. April 2021
Veröffentlicht von: ZDF (online)

Inzwischen stehen viele verschiedene Impfstoffe zur Prävention einer Covid-19-Erkrankung zur Verfügung. Doch an wirksamen Therapien gegen das neue Coronavirus mangelt es weiterhin. Ein Artikel des ZDF (online) greift nun eine aktuelle Studie zu einem Kortison-Spray auf, das womöglich das Risiko schwerer Krankheitsverläufe reduzieren kann. Leider werden jedoch der Nutzen und auch das Design der Untersuchung nicht ausreichend erklärt.

Zusammenfassung

Der aktuelle journalistische Beitrag des ZDF (online) greift ein aktuelles und wichtiges Thema auf: Im Fachblatt „The Lancet“ berichten Wissenschaftler, dass ein Spray mit dem Kortison-Präparat Budesonid das Risiko für schwere Covid-19-Verläufe senken könnte. Dabei ist die Struktur des Artikels vorbildlich, viele verschiedene Aspekte des Themas werden aufgegriffen, auch unabhängige Experten kommen im Beitrag zu Wort. Ebenso werden Schwachstellen der wissenschaftlichen Studie erwähnt und mögliche Interessenkonflikte angesprochen. Schade nur, dass die Hauptaussage der Studie nicht deutlich genug herausgearbeitet wird, die Studienergebnisse im journalistischen Beitrag nicht quantifiziert sind. So bleiben Leser*innen im Unklaren, welche Erkenntnisse nun hauptsächlich aus der Studie gezogen werden können – und wie hilfreich das Spray in der Prävention schwerer Krankheitsverläufe tatsächlich sein könnte.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen wird im journalistischen Beitrag folgendermaßen beschrieben: „Bei Covid-19-Patient*innen, die im Schnitt sieben Tage lang mit Budesonid behandelt wurden, beobachtete die Uni Oxford Folgendes: Bei ihnen verkürzte sich die Dauer der Behandlung im Vergleich zu jenen Covid-19-Erkrankten mit der üblichen Behandlung ohne Budesonid. Sie litten im Schnitt weniger Tage unter Fieber als die Vergleichsgruppe. Sie hatten nach zwei Wochen seltener anhaltende Symptome als die Vergleichsgruppe. Sie waren für eine kürzere Zeit auf fiebersenkende Medikamente angewiesen.“ Schließlich heißt es noch: „Das Fazit der Forschenden: Der frühzeitige Einsatz eines Budesonid-Inhalators könnte die Wahrscheinlichkeit verringern, dass eine dringende medizinische Versorgung erforderlich ist.“ Das Problem bei dieser Auflistung: Es wird nicht klar, was der primäre Endpunkt der Studie war. Die Wissenschaftler wollten nämlich herausfinden, ob Patienten, die das Kortison-Spray bekamen, seltener eine Notaufnahme aufsuchen oder ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten als andere. Wie die Forscher berichten, war dies bei zehn Teilnehmern (14 Prozent) der Vergleichsgruppe der Fall, jedoch nur bei einem Teilnehmer der Gruppe mit Kortison-Spray. Diese Hauptaussage der Studie wird im journalistischen Beitrag zwar aufgeführt (siehe oben), aber nicht ausreichend dargestellt, und die Studienergebnisse nicht quantifiziert. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Das Mittel Budesonid gilt als gut erforscht, einfach anwendbar und sicher. Das gibt der Artikel wieder und räumt den Nebenwirkungen trotzdem genügend Raum ein: „Nur sieben Prozent der damit behandelten Covid-19-Erkrankten hätten der Oxford-Studie zufolge über unerwünschte Nebenwirkungen geklagt.“ Auch der unabhängige Experte Stefan Kluge wird mit der Aussage zitiert, die Nebenwirkungen seien „überschaubar“. Nur Menschen mit schweren Entzündungen im Mund-Rachenraum könne man es nicht verschreiben.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Im Text wird schon früh erwähnt, dass das Präparat als Asthma-Medikament „weithin verfügbar“ ist. Auch wird deutlich, dass die Anwendung zur Prävention schwerer Krankheitsverläufe von Covid-19 bislang noch experimentell ist.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es werden leider keine Alternativen bei der Prävention schwerer Covid-19-Verläufe erwähnt.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Im Text steht, das Mittel sei „kostengünstig“. Ein genauer Preis wird allerdings nicht genannt. Deshalb werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Beitrag ist von einer nüchternen Sprache geprägt. Es werden keine Ängste geschürt und keine unangemessenen Hoffnungen geweckt. Zur Ausgangsfrage der Studie heißt es: „Die britischen Forschenden haben untersucht, ob die Verabreichung eines Budesonid-Sprays Covid-19-Erkrankten mit milden Symptomen in einem frühen Krankheitsstadium helfen kann.“

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag ist in seiner Einordnung zurückhaltend und geht auf die Grenzen des Studiendesigns ein. Schon die Überschrift ist mit einem Fragezeichen versehen, der Vorspann gibt die Richtung vor: „Ein Asthma-Spray könnte den Durchbruch bei der Behandlung von Covid-19 bedeuten. Das lässt eine britische Studie vermuten. Experten sehen die Ergebnisse aber kritisch.“  An mancher Stelle allerdings ist die Kritik nicht nachvollziehbar, etwa unter dem Punkt: „Wie ist die Studie zu bewerten?“. Konkret wird angemerkt, es habe in der Studie keine Kontrollgruppe mit einem Placebo gegeben, also einem Scheinpräparat. Es gab jedoch durchaus eine Kontrollgruppe, allerdings nicht mit einem Placebo, sondern mit der derzeit üblichen Standardbehandlung. Und dies stellt sogar einen anspruchsvolleren Vergleich dar als ein Scheinpräparat. Zumal es bei einer Covid-19-Erkrankung ethisch kaum vertretbar wäre, einem Teil der Probanden ein wirkungsloses Scheinpräparat zu geben.

Weiterhin geht der journalistische Beitrag auf das Problem der geringen Anzahl von Studienteilnehmern ein. Auch wenn die Zahl der Probanden nicht genannt wird, ist das ein wichtiger Punkt, der auch im Kommentar der Fachzeitschrift herausgehoben wird. Im journalistischen Beitrag wird der Intensivmediziner und Pneumologe Stefan Kluge aus Hamburg damit zitiert, die Studie sei zu klein angelegt. „Insofern müssen größere Studien durchgeführt werden, um diese Ergebnisse zu bestätigen, bevor man diese inhalative Kortison-Therapie empfehlen kann.“ Auch Klaus Friedrich Rabe, Leiter der LungenClinic in Großhansdorf, sieht die Studie kritisch: „Sein Fazit: Solche Studien hätten es in Zeiten vor Corona wohl nicht in so ein renommiertes Journal wie „The Lancet“ geschafft.“ Dabei bleibt die Kritik allerdings etwas diffus. Es wird zum Beispiel nicht erklärt, warum die geringe Anzahl der Probanden ein Problem darstellen könnte. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden zwei Experten für Lungenkrankheiten zitiert, die nicht an der Studie beteiligt waren: Klaus Friedrich Rabe, Leiter der LungenClinic in Großhansdorf, und Stefan Kluge, Intensivmediziner und Pneumologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Wie am Ende der wissenschaftlichen Veröffentlichung zu lesen ist, wurde die Studie u.a. durch den Budesonid-Hersteller AstraZeneca finanziert: „Funding: National Institute for Health Research Biomedical Research Centre and AstraZeneca.“ Das wird im journalistischen Beitrag aufgegriffen und sogar noch von einem Experten kommentiert: „Klaus Friedrich Rabe, Leiter der LungenClinic in Großhansdorf, sieht die Studie kritisch. (…) Zudem sei die Tatsache, dass die Studie von AstraZeneca gesponsort wurde, ‚zumindest erwähnenswert‘. So stammte der verwendete Budesonid-Inhalator von dem schwedisch-britischen Pharmaunternehmen.“ Insgesamt könne die Untersuchung „eigentlich nur als Startpunkt für weitere Studien gelesen werden“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird klar, dass noch weitere Studien notwendig sind: „ ‚Dieser Artikel schreit nach einem größeren Studien-Design und kann eigentlich nur als Startpunkt für weitere Studien gelesen werden´, sagt Rabe.“ Es hätte aber noch deutlich gemacht werden können, dass zumindest unter normalen Umständen nach einer erfolgreichen Phase-2-Studie ohnehin eine Studie der Phase 3 folgt.  Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im journalistischen Beitrag wird noch auf die Auswirkungen des Kortison-Sprays auf Long-Covid eingegangen: „Die Forschenden beobachteten, dass diejenigen, denen das Mittel verabreicht wurde, seltener an langwierigen Symptomen litten als Erkrankte, die konventionell behandelt wurden. ‚Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Behandlung mit einem inhalativen Glukokortikoid die Rate der hartnäckigen Langzeitsymptome bei Covid-19 (Long Covid) beeinflussen könnte´, heißt es in der Studie.  Hier wünschen sich die Forschenden noch mehr Untersuchungen.“ Tatsächlich wird das im Fachartikel in „The Lancet“ beschrieben, allerdings etwas vorsichtiger formuliert. Zudem hätte im journalistischen Artikel noch deutlich werden können, dass die Forscher diesen Zusammenhang in ihrer Studie gar nicht direkt gemessen haben. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

In diesem Fall liegen sogar zwei Pressmitteilungen der Universität Oxford vor. Doch der journalistische Beitrag geht mit den Einschätzungen von Lauterbach, Kluge und Rabe weit über das Pressematerial hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die Erklärungen und Einordnungen sind sehr gut strukturiert und mit Zwischenüberschriften versehen. Der Tweet von Karl Lauterbach ist als Screenshot eingefügt.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Nur wenige Fachbegriffe kommen im journalistischen Beitrag vor – und werden gleich erklärt. So heißt es im Text „…Einsatz von sogenannten ,inhalativen Glukokortikoiden’ – etwa in Form von Asthma-Sprays“. Und später heißt es „Budesonid ist ein Arzneistoff, der zur Wirkstoffgruppe der sogenannten Glukokortikoide gehört – auch als Kortikoide oder Kortison bezeichnet. Es wird Patienten mit Lungenerkrankungen, zum Beispiel Asthma und COPD, und auch bei Rhinitis verabreicht.“ Daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Alle Therapiemöglichkeiten sind in der aktuellen Pandemie wichtige Themen. Die Einordnung der Evidenz ist derzeit besonders wichtig, da die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen rasant steigt und längst nicht alle Studien von hoher Qualität sind.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar