Bewertet am 11. Februar 2021
Veröffentlicht von: Bild der Frau

Ein Nebeneffekt des Diabetes-Mittels Metformin könnte sein, dass es bei betroffenen DiabetikerInnen die Sterblichkeit im Falle einer Covid-19-Erkrankung senkt, berichtet „Bild der Frau“. Der Artikel macht deutlich, dass das Ergebnis zwar auch in anderen Studien zu sehen ist, dass trotzdem nicht sicher ist, ob dies nicht auch an anderen Faktoren liegt.

Zusammenfassung

Auch Arzneimittel, die für die Behandlung anderer Krankheiten als Covid-19 eingesetzt werden, haben möglicherweise positive Effekte im Kampf gegen die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung. Über einen solchen Verdacht berichtet „Bild der Frau“ auf ihrer Webseite. Demnach könnten Menschen, die ihren Diabetes mit Metformin behandeln, ein geringeres Sterberisiko durch das Coronavirus haben als Menschen, die etwa Insulin nutzen. Die positiven Effekte berichtet der Beitrag noch ausreichend, auch wenn die Zahlenangaben nicht zu den in der Studie berichteten Daten passen. Risiken und Nebenwirkungen werden nicht konkret beschrieben, auch wenn es ausreichend viele Warnungen im Artikel gibt, das Mittel ohne Absprache mit dem Arzt einzunehmen. Es wird deutlich, dass eine Therapie mit Metformin einen größeren Effekt auf die Sterblichkeit haben könnte als Insulin und es wird auch deutlich, dass es sich um ein verschreibungspflichtiges, bewährtes Mittel handelt. Leider gibt es keinerlei Angaben zu den Kostenaspekten. Der Text erklärt verständlich, dass der kausale Zusammenhang nicht sicher ist, und es möglich wäre, dass der beobachtete Effekt auch durch andere Parameter entstehen kann. Zwar weist der Text wiederholt darauf hin, dass das Ergebnis noch unsicher ist, stellt den Zusammenhang indes im Titel und einem Zwischentitel als sicher dar. Es handelt sich zwar um einen auf den ersten Blick interessantes und aktuelles Thema, vor allem für Betroffene, doch stellt sich die Frage, wie relevant dies tatsächlich ist, angesichts der Tatsache, dass der Zusammenhang unsicher ist, möglicherwiese gar nicht vorhanden und auch keinerlei Handlungsoption daraus folgt.

Diese Bewertung wurde mit Mitteln des Projektes CEOsys – Das Covid19-Evidenz-Ökosystem ermöglicht.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der positive Effekt von Metformin scheint deutlich: Während Diabetes die Sterblichkeit in der zitierten US-Studie deutlich erhöhte („67 Prozent der im Zusammenhang mit der Krankheit Covid-19 Verstorbenen litten an der Zuckerkrankheit“, siehe dazu aber auch das Kriterium Krankheitsübertreibung), war bei Diabetes-Patienten, die schon vor Infektion mit Metformin therapiert wurden, „die Sterblichkeit durch Covid-19 um 23 Prozent geringer als bei solchen, die andere Therapien nutzten, etwa Insulin.“ (Der Effekt erscheint laut Fachartikel indes größer, siehe Kriterium Fakten).

Der Text kommuniziert die Aussichten vorsichtig („Zumindest bei Menschen mit noch nicht allzu weit fortgeschrittener Diabetes-Erkrankung und ohne weitere Begleiterscheinungen wie starker Adipositas können möglicherweise von einer Metformin-Gabe profitieren. Wie gesagt: Weitere Untersuchungen sind hier dringend notwendig“) und geht zudem auf einen zusätzlichen Aspekt ein: „Wichtig dabei: Selbst, wenn der Diabetes bei Patienten mit Insulin-Therapie gut eingestellt war, war deren Covid-19-Sterblichkeit höher als bei Metformin-Patienten.“ Es wird auch erwähnt, dass hier weitere Studien nötig seien und dass nicht „hundertprozentig ausgeschlossen“ werden könne, dass „nicht andere Eigenschaften ausschlaggebend für die geringere Sterberate“ in der Studie waren – „etwa eine bessere Versorgung oder die Tatsache, dass sich die Patienten erst im Frühstadium der Diabetes-Erkrankung befanden.“ Insgesamt werten wir jedoch nur knapp „erfüllt“, weil es sich nur um relative Angaben handelt. Durch die Darstellung in Prozentwerten kann der Nutzen überschätzt werden.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Etwas salopp heißt es: „Metformin bringt wie jedes Medikament Nebenwirkungen mit sich und nicht für jeden Diabetes-Erkrankten ist es geeignet“. Leider werden diese Nebenwirkungen nicht konkret benannt. Wir werten indes nur knapp „nicht erfüllt“. Denn es wird der wichtige Hinweis gegeben, dass die neuen Erkenntnisse „einen breiten Einsatz bei bisher noch nicht damit behandelten Patienten nun noch nicht“ rechtfertigen. Ungewöhnlich ist der danach folgende appellative Charakter: „Hinweis: Sollten Sie oder jemand in Ihrem Haushalt an Diabetes Typ 2 erkrankt sein und Metformin nutzen, erhöhen Sie bitte unter keinen Umständen einfach so die Dosis! Auch sollten Sie ohne explizite Verschreibung niemals einfach so Metformin oder andere Medikamente einnehmen. Metformin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, dessen Einnahme immer ärztlich kontrolliert erfolgen muss!“ Wir begrüßen die Warnungen, hätten aber die Beschreibung konkreter Risiken und Nebenwirkungen für wichtig gehalten.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Die Verfügbarkeit des Mittels wird deutlich: „Metformin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, dessen Einnahme immer ärztlich kontrolliert erfolgen muss!“ Zudem wird das Mittel selbst auch erklärt: „Metformin wird als orales Antidiabetikum bei Diabetes Typ 2 insbesondere in frühen Stadien eingesetzt, wenn sich der Blutzuckerspiegel durch Ernährungsumstellung und körperliche Betätigung nicht ausreichend senken lässt.“

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im Beitrag wird deutlich, dass in der Gruppe der mit Metformin behandelten Diabetiker mehr Menschen überleben als in der Gruppe, die mit Insulin behandelt wurden. Darüber hinaus gibt es kurze Hinweise auf Artikel über andere Mittel, die entweder auch einen ähnlich unerwarteten Effekt hatten, oder direkt der Behandlung von Covid-19 dienen oder als Impfung eingesetzt werden können. Auch wenn dies am Ende des Artikels eigentlich nur Lesetipps zu anderen Artikeln im Medium sind, vermitteln sie doch, dass der Kampf gegen SARS-CoV-2 an vielen Fronten angegangen wird.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten des Mittels werden nicht thematisiert, dass es sich um ein vergleichsweise günstiges Mittel handelt, wird nicht erwähnt. Unter welchen Umständen das Mittel von den Krankenkassen übernommen wird, bleibt offen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Darstellung der Erkrankung für Diabetiker finden wir problematisch: „Insbesondere Diabetes erhöhte die Sterblichkeit enorm: 67 Prozent der im Zusammenhang mit der Krankheit Covid-19 Verstorbenen litten an der Zuckerkrankheit.“ Dabei wird hier nicht klar, wie viele Diabetes-Patienten in der Studie vertreten waren, sodass nicht klar wird, wie viele der infizierten Diabetiker letztlich verstorben sind. Dass der hohe Anteil auch durch einen starken altersabhängigen Effekt entstehen kann, hätte man auch erklären können. Menschen mit Diabetes macht diese Darstellung Angst, daher hätten diese Analysen besser eingeordnet werden müssen.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Leserinnen und Leser erfahren zur Studie, dass sie auf „elektronischen Gesundheitsdaten von insgesamt 25.326 Covid-19 Patienten“ beruht.

Wichtig für die Einschätzung der Ergebnisse ist diese Information: „Außerdem ist noch nicht hundertprozentig ausgeschlossen, dass nicht andere Eigenschaften ausschlaggebend für die geringere Sterberate war, eine bessere Versorgung oder die Tatsache, dass sich die Patienten erst im Frühstadium der Diabetes-Erkrankung befanden.“ Das ist eine wichtige Information, denn das verdeutlicht, dass die Studie den kausalen Zusammenhang gar nicht nachweisen kann, weil es sich nur um eine Korrelation handelt (auch wenn dies nicht explizit erklärt wird).

Ebenso wichtig ist daher auch folgende Aussage: „Möglich wäre daher auch, dass diese Risikofaktoren bei den mit Metformin behandelten Patienten nicht so ausgeprägt waren. Metformin wird als orales Antidiabetikum bei Diabetes Typ 2 insbesondere in frühen Stadien eingesetzt, wenn sich der Blutzuckerspiegel durch Ernährungsumstellung und körperliche Betätigung nicht ausreichend senken lässt.“ Positiv finden wir auch, dass versucht wird, das Ergebnis in eine Studienlandschaft einzuordnen, indem auf andere Untersuchungen verwiesen wird, die ein ähnliches Ergebnis hatten. Leider wird dabei nicht auf Untersuchungen verwiesen, die widersprechende Ergebnisse hatten, wie etwa diese hier, nach der Metformin mit einem schwereren Verlauf einer Covid-Erkrankung verbunden sein könnte.

Letztlich macht der Beitrag aber klar, dass auch diese drei Untersuchungen nur einen Verdacht schüren: „Wie gesagt: Weitere Untersuchungen sind hier dringend notwendig.“

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden zwar andere Studien zitiert (und auch verlinkt), ein Experte zur Einordnung der vorliegenden Arbeit wird aber nicht herangezogen. Damit knapp nicht erfüllt.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Mögliche Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, die Autoren geben im Fachartikel aber auch keine an. Laut Pressemitteilung und Studien-Paper wurde die Arbeit öffentlich gefördert. „Diese Studie ist Teil eines neuen Precision Diabetes Program, einer Zusammenarbeit zwischen dem UAB Comprehensive Diabetes Center und dem dem Hugh Kaul Precision Medicine Institute an der UAB.”

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag macht deutlich, dass der Fund zwar neu ist, Metformin könne womöglich für Covid-19-Patienten mit Diabetes hilfreich sein, aber nicht alleine dasteht, und dass weitere Forschung nötig sei, um diese Erkenntnis abzusichern. Nicht erwähnt wird allerdings, dass es auch gegenteilige Stimmen gibt, siehe z.B. hier. Positiv ist, dass deutlich wird, dass all dies im Zusammenhang mit Forschung steht, die verstehen will, welche Auswirkungen Covi-19 hat, und nicht, weil gezielt danach gesucht wurde. In diesem Zusammenhang kann man auch die Ankündigungen am Ende des Artikels von anderen Artikeln im Medium begreifen, in denen deutlich gemacht wird, dass auch andere Medikamente möglicherweise solche Effekte zeigen, und dass auch tatsächlich Medikamente für eine Therapie gegen Covid-19 entwickelt werden.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Hier zeigen sich einige Ungenauigkeiten. Die Zahlen zum Nutzen (23% geringere Sterblichkeit) haben wir nicht nachvollziehen können. Im Fachartikel steht: „Wir fanden heraus, dass die Einnahme von Metformin vor der Diagnose von COVID-19 mit einem 3-fachen Rückgang der Sterblichkeit (…) bei Probanden mit Diabetes verbunden war.“ Auch im Vergleich zur Gruppe mit einer Therapie mit Insulin ist die Sterblichkeit erniedrigt: „Interestingly, while prior insulin use did not seem to affect mortality risk, metformin use significantly reduced the odds of dying (OR 0.38; 95% CI 0.17–0.87; p=0.0221). In fact, with 11% the mortality of metformin users was comparable to that of the general COVID-19-positive population and dramatically lower than the 24% mortality observed in subjects with diabetes and not on metformin.”

Vor allem heißt es fälschlicherweise im Text, „dass Afroamerikaner sowie Patienten mit Adipositas, Hypertonie und Diabetes einem deutlich höheren Risiko eines schweren Covid-Verlaufes ausgesetzt waren“. In der Pressemitteilung dagegen wird deutlich differenziert: „Die Forscher fanden heraus, dass Schwarze, die nur 26 Prozent der Bevölkerung von Alabama ausmachen, 52 Prozent derjenigen waren, die positiv auf COVID-19 getestet wurden, und nur 30 Prozent derjenigen, die negativ getestet wurden. Im Gegensatz dazu waren nur 36 Prozent der COVID-19- positiven Probanden weiß, während Weiße 56 Prozent der negativ Getesteten ausmachten, was den ethnischen Unterschied weiter unterstreicht. Einmal COVID-19-positiv, wurde jedoch kein signifikanter ethnischer Unterschied in der Sterblichkeit beobachtet.“ Für die Afroamerikaner war also offenbar nur das Ansteckungsrisiko mit COVID-19 erhöht, nicht jedoch die Sterblichkeit.

Weiterer Fehler: Die Studie der chinesischen Wissenschaftler erschien nicht in der Fachzeitschrift Diabetologica, sondern im American Journal of Tropical Medicine and Hygiene.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Durch eigene Formulierungen und Verweise auf andere Studien geht der Beitrag klar über die Pressemitteilung hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Auch wenn der Artikel insgesamt in einem hoffnungsvollen Grundton geschrieben ist, und zugleich immer wieder versucht, diese Stimmung ein wenig zu dämpfen, schießt der Text im Titel über das Thema hinaus, wenn ganz eindeutig formuliert wird, obwohl dieser Zusammenhang gar nicht so eindeutig ist: „Dieses Diabetes-Medikament reduziert das Covid-19-Sterberisiko“. Dass die Überzeile als Frage formuliert ist, verwirrt Leserinnen und Leser zugleich. Während im Artikel dann immer wieder einschränkend formuliert wird, heißt es dann in einer der Zwischentitel erneut: „Metformin: Diabetes-Arznei senkt Covid-Sterberisiko“. So sehr wir begrüßen, dass im Artikel wiederholt darauf verwiesen wird, dass der Effekt möglicherweise gar nicht vorhanden ist, und auch davor gewarnt wird, aufgrund solcher Meldungen auf Metformin umzusteigen, so sehr finden wir die Darstellung im Titel und den Zwischentiteln problematisch.

Lobenswert finden wir zwar, dass am Ende des Artikels, die drei angesprochenen Studien mit Titel und Magazin verlinkt sind, alles in allem werten wir indes knapp „nicht erfüllt“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel ist durchweg verständlich. Die Tatsache, dass Metformin aber offenbar bei leichteren Diabetes-Stadien eingesetzt wird und damit dies die eigentliche Ursache für den beobachteten Effekt sein könnte, hätte weiter oben im Artikel erscheinen müssen. Eine kurze Erklärung dazu, wie Mediziner sich erklären, wie Metformin diesen Effekt auslöst, wäre sicherlich interessant gewesen.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Diabetes betrifft viele Menschen, sodass ein solcher Effekt auch für viele Leserinnen und Leser interessant und relevant sein kann. Da mehrere Studien sich mit Metformin befassen und die besprochene Studie aus dem Januar stammt, ist das Thema auch aktuell. Wir finden es indes auch der Diskussion wert, ob ein solches Ergebnis, das möglicherweise gar nicht besteht, weil der Effekt durch andere Parameter ausgelöst sein kann, und es für Diabetiker auch gar keine Handlungsoption gibt (davor wird ja sogar gewarnt) wirklich berichtet werden müsste.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar