Das journalistische Rüstzeug, um die nächste „Weltsensation!“ diagnostischer Tests zu verhindern

Eine „Weltsensation“! So kündigte die BILD-Zeitung am 21. Februar einen „revolutionären“ Test der Uniklinik Heidelberg und einer ausgegründeten Firma an. Der Bluttest entdecke Brustkrebs vergleichbar gut wie die Mammographie, aber ohne die unangenehmen Begleiterscheinungen der Röntgenmethode. Viele Medien stiegen darauf ein, selbst der 20:00 Uhr-Ausgabe der ARD-Tagesschau war dies eine kurze Meldung wert. (Links dazu siehe hier im Medien-Doktor Blog „Sprechstunde“.

Erst allmählich wurde erkennbar, dank akribischer Recherchen einzelner Medien und Journalisten und kritischer Anmerkungen aus dem Medizin- und Wissenschaftsbereich, dass das Ganze eine ziemliche Luftnummer ist, deren Hintergründe immer noch nicht ganz geklärt sind.

Klar erscheint indes, dass es kein Zufall ist, dass sich ein solcher Fall ausgerechnet mit einem medizinisch-diagnostischen Test ereignet. Man denke nur an einen der größten Wirtschaftsskandale der USA (Theranos), bei dem es ebenfalls um solche diagnostischen Bluttests geht und bei dem Journalistinnen und Journalisten über Jahre kräftig mitgeholfen haben, die Firma, die Chefin Elizabeth Holmes und ihre Diagnosemaschinen hochzuschreiben, anstatt sie kritisch zu begleiten. Auch hier war es ein einzelner Journalist, der das ganze Gebäude zum Einsturz brachte (TV-Interview mit John Carreyrou, Journalist des Wall Street Journal, Autor von Bad Blood).

Diagnostische Tests unterliegen keiner strengen Kontrolle

Dass dies künftig immer wieder und möglicherweise auch häufiger passieren könnte (angesichts der Fortschritte in Molekularmedizin und Genetik), liegt auch daran, dass der medizinische Bereich von Zulassung und Anwendung solcher Tests erhebliche Schwächen aufweist. Diagnostische Tests unterliegen als Medizinprodukt nicht den strengen Zulassungs- und Überwachungsverfahren wie Medikamente. Damit scheinen großspurige Ankündigungen und Tests von zweifelhaftem Nutzen kaum zu verhindern zu sein (siehe dazu etwa diesen wichtigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung von Christina Berndt).

Letztlich hängt die Schwierigkeit und die Herausforderung für Journalistinnen und Journalisten bei der Berichterstattung über diagnostische Tests auch an der Verquickung von hoffnungsvollen Versprechungen, eine mitunter tödliche Erkrankung rechtzeitig zu entdecken, und der tatsächlichen Komplexität solcher Vorhersagen. Es gibt eine Menge Fallstricke, wie auch die Begutachtungen der vergangenen Jahre hier beim Medien-Doktor gezeigt haben.

Das Wissen der Fachjournalisten für alle

Dem wollen wir mit unserem MEDIATE-Projekt etwas entgegensetzen. Damit das Aufdecken Schwarzer Schafe und übertriebener Versprechen nicht nur von der Expertise und dem Können einzelner Fachjournalisteninnen und -journalisten abhängt, sondern auch Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ressorts schon bei der Auswahl der Themen checken können, was von den Aussagen zu einem angebotenen medizinisch-diagnostischen Test zu halten ist.

„Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche Krankheit bekommen.“
Karl Lauterbach, SPD Gesundheitsexperte

Wir befassen uns hier am Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund seit Oktober 2017 innerhalb des vom BMBF-finanzierten Projekts genau mit dieser Form der Berichterstattung, gemeinsam mit dem Institut für Evidenz in der Medizin, dem wissenschaftlichen Kooperationspartner der Cochrane Deutschland Stiftung, am Uniklinikum Freiburg.

Wir haben in dieser Zeit in Workshops mit jungen Wissenschaftsjournalistinnen und- journalisten der TU Dortmund und angehenden Medizinerinnen und Medizinern der Uni Freiburg über die Tests und ihre Darstellung in konkreten Fällen diskutiert. Haben uns über ethische und soziale Folgen solcher Tests von Experten aus verschiedenen Bereichen berichten lassen, und darüber gesprochen, worauf es bei der Berichterstattung über solche Tests ankommt.

Bewertungen, Blogposts, Podiumsdiskussion

An konkreten Fallbeispielen erklären wir in den kommenden Wochen und Monaten in unserem bewährten Gutachtenformat entlang festgelegter Kriterien, wie man über solche Themen gelungen berichtet oder was dabei schiefgehen kann.

Als Besonderheit ergänzen wir die Beurteilungen des erfahrenen Medien-Doktor Gutachterteams durch Urteile von Gesundheitswissenschaftlerinnen und Gesundheitswissenschaftlern und den studentischen Teams aus Dortmund und Freiburg. In Blogbeiträgen hier im Mediate-Blog geben wir darüber hinaus konkrete Tipps für die Berichterstattung, aber auch Anregungen für Themen, Perspektiven und die Recherche.

Wir hoffen, dass wir mit diesem neuen Medien-Doktor Angebot im Rahmen des Medien-Doktor-Projektes, freien Kolleginnen und Kollegen ebenso wie in den Redaktionen, aber auch in den Pressestellen, das nötige Rüstzeug an die Hand geben, sich kompetent mit dem Thema medizinisch-diagnostischer Tests auseinanderzusetzen.

Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, prophezeite im April im Bundestag in der Debatte um die Kostenübernahme des Schwangeren-Bluttests auf Trisomie 21: „Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche Krankheit bekommen.“ Diese Entwicklung kritisch zu begleiten, ist die Aufgabe des Journalismus. Damit ‚Weltsensationen‘ wie die der BILD nicht die Regel werden.