Bewertet am 7. April 2020
Veröffentlicht von: Süddeutsche Zeitung

Die Erderwärmung führt dazu, dass neue Flächen für die Landwirtschaft nutzbar werden. Doch die Ausweitung des Ackerbaus hätte gravierende Folgen für Biodiversität und Klima, ermittelt eine Studie, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Zusammenfassung

Ein informativer Beitrag in der Süddeutschen Zeitung berichtet über eine Studie, die analysiert, wie sich Vegetationszonen auf der Erde durch den Klimawandel verschieben, und welche Bedeutung das für die Agrarwirtschaft und damit für die Welternährung hat. Es wird ein erheblicher Zuwachs an nutzbaren Agrarflächen prognostiziert. Dem gegenübergestellt werden die möglichen negativen Folgen für Biodiversität und Klima. Unsicherheiten in den Prognosen spricht der Text zumindest knapp an. Ob es Handlungsoptionen gibt, die Anbaufläche auszuweiten, ohne die genannte Maximalmenge an gebundenem Kohlenstoff freizusetzen, erfahren Leserinnen und Leser dagegen nicht.

Der Artikel referiert weitgehend die Studienergebnisse; Angaben zur Finanzierung der Studie fehlen. Es wird kurz ein Vertreter der Welternährungsorganisation FAO als zweite Quelle zitiert. Interessant wäre es gewesen, auch einen Experten aus Deutschland zur hiesigen Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels zu befragen. Der Beitrag macht deutlich, in welchen Weltregionen welche Wirkungen zu erwarten sind, wobei jedoch eine Einordnung in den politischen Kontext zu kurz kommt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Text berichtet über eine neue Studie zur Verschiebung der Vegetationsgrenzen durch die globale Erwärmung. Er stellt sachlich dar, welche Auswirkungen dies auf die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen hat und welche Veränderungen der Agrarwirtschaft durch den Klimawandel bevorstehen. Im Text werden die Vorteile – rund 30 Prozent mehr landwirtschaftlich nutzbare Flächen im hohen Norden – den Flächenverlusten im Tropengürtel gegenüber gestellt. Der Beitrag benennt negative wie positive Aspekte gleichermaßen; er warnt auch vor den Folgeschäden durch Landwirtschaft in bisher unberührten Gebieten.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Studie ist weitgehend korrekt wiedergegeben. Es wird erläutert, dass es sich um eine „Modellierung auf Basis von mehreren Dutzend Klimamodellen“ handelt. Auch Unsicherheiten werden angesprochen (Entwicklung der Niederschlagsmengen in Grenzregionen von Wüsten). Zahlen nennt der Beitrag nur wenige; bei denen, die genannt werden, hätten wir uns eine Einordnung gewünscht, etwa die Zahl von 177 Gigatonnen gebundenen Kohlenstoffs, die laut der referierten Studie bei voller Ausnutzung aller Gebiete maximal zusätzlich freigesetzt würden. Wie genau kann man das wissen? Hängt es nicht auch von der Art der Landwirtschaft ab, die dann dort betrieben wird (siehe Kriterium 7)?

Der letzte Absatz des Beitrags schreibt der Studie eine Bewertung zu, die darin so nicht enthalten ist, nämlich, dass die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche die Welternährung verbessern könnte. Das wird in der Studie differenzierter diskutiert. Dort wird darauf hingewiesen, dass eine höhere Quantität nicht unbedingt zu einer höheren Ernährungssicherheit insbesondere von marginalisierten Communities führt („…it is important to recognize that food insecurity in remote communities is rarely a function of food production alone and is more often associated with a complex legacy of colonialism, education, and socio-cultural disconnects“).Insgesamt werten wir noch „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die Quellen sind korrekt benannt. Neben der Studie, die dem Text zugrunde liegt, wird, wenn auch nur kurz, ein Experte der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aus einem Text der Thomson Reuters Stiftung zitiert. Doch Angaben zur Finanzierung, die der Studie zu entnehmen sind, fehlen. Einer der Geldgeber ist ein großer Umweltverband, Conservation International. Da dies nicht erwähnt wird, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es gibt unseres Wissens keine wissenschaftliche Kontroverse, die im Beitrag hätte dargestellt werden müssen. Zur Vegetationsverschiebung durch den Klimawandel gibt es keine Gegenposition.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag fasst im Wesentlichen die Ergebnisse einer einzigen wissenschaftlichen Publikation zusammen, geht dabei allerdings über die Pressemitteilung in einigen Punkten hinaus. Außerdem wird im Text Ronald Vargas von der FAO zitiert.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag macht deutlich, dass die Veränderung der landwirtschaftliche Produktion durch den Klimawandel bereits begonnen hat („Der Klimawandel hat die Palette der in Europa angebauten landwirtschaftlichen Produkte bereits heute kräftig erweitert“). Damit wird zumindest ansatzweise deutlich, dass die Thematik nicht völlig neu ist. Wir hätten uns aber genauere Angaben dazu gewünscht, inwieweit es sich bei den hier vorgestellten Daten um neue Erkenntnisse handelt bzw. wo frühere Untersuchungen bestätigt oder widerlegt werden. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag spricht Lösungsansätze, die die beschriebenen negativen Folgen für das Klima verringern könnten, nur sehr knapp und allgemein an („stärkeres Umsteuern hin zu vegetarischer Ernährung“). Wir hätten uns gewünscht, dass konkrete Handlungsoptionen dort beschrieben werden, wo es um die Klimafolgen durch vermehrte Agrarproduktion geht. Ließe sich die zusätzliche Kohlenstofffreisetzung auf den neuen Ackerflächen durch eine entsprechend angepasste Agrarwirtschaft minimieren? Mit welchen landwirtschaftlichen Methoden könnte der Humusaufbau gefördert werden (siehe z.B. hier) ? Da solche Optionen gar nicht erwähnt werden, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag benennt Regionen, in denen künftig bestimmte Kulturen möglich werden, die bislang dort nicht wuchsen. Es wird deutlich, in welchen Weltregionen welche Wirkungen zu erwarten sind. Die Größe der neu zu bewirtschaftenden Flächen wird benannt: Ausweitung um fast ein Drittel, in Russland und Kanada „jeweils mehr als vier Millionen Quadratkilometer neues Nutzland“. Auch die Überlappung mit besonders artenreichen Regionen spricht der Beitrag an.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Eine zeitliche Einordnung des Klimawandels halten wir für verzichtbar, da das Thema häufig in den Medien ist und auch globale und regionale Temperaturentwicklungen immer wieder dargestellt werden. Der Hinweis darauf, dass die dargestellten Ausweitungen der Agrarflächen „in wenigen Jahrzehnten realistische Szenarien“ seien, halten wir daher für ausreichend.
Der Beitrag spricht auch den wichtigen Aspekt der Rückkopplung an: Mehr Landwirtschaftsflächen führen zu weiterer Kohlenstofffreisetzung in die Atmosphäre und damit weiterer Erwärmung. (Siehe dazu aber auch Kriterium 7.)

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag verbindet, wie die zugrundeliegende Studie, verschiedenen Aspekte – er stellt die künftige Ausweitung von Agrarflächen in den Kontext von Ernährungssicherheit einerseits und den zu erwartenden Folgen für Biodiversität und Klima andererseits. Auch die Gefährdung des Trinkwassers durch Agrarchemikalien wird angesprochen.

Die wichtige Frage, wer von der Verschiebung der Anbaugrenzen wirtschaftlich profitiert, wer die negativen Folgen zu tragen hat, und welche geopolitischen Auswirkungen dies haben könnte, klammert der Beitrag dagegen aus. In der Studie selbst wird dies durchaus thematisiert: „Namely, it must be noted that two countries–Canada and Russia–contain 56% of the global frontier area. Frontier cultivation may have significant economic, food security and trade benefits for these countries, providing significant incentives favoring development. However, the likely environmental cost, especially related to climate change, will be felt internationally, with disproportionate impact on poor nations” (Hannah et al. S.12). Wir werten daher „knapp nicht erfüllt”.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Sowohl der Klimawandel als auch die globale Ernährungssicherheit sind relevante Themen. Der Artikel erschien drei Wochen nachdem die Studie online publiziert wurde, für eine Tageszeitung also relativ spät. Sonderlich überraschend ist das Ergebnis der Studie nicht. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text ist nachvollziehbar aufgebaut und gut verständlich geschrieben.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar