Bewertet am 13. März 2017
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau
Über unerwartet hohe Schadstoffkonzentrationen in Tiefsee-Krebsen berichtet die Frankfurter Rundschau. Es wird vermutet, dass die Gifte aus dem Plastikstrudel im Nordpazifik stammen könnten, doch macht der Beitrag auch deutlich, dass dies Spekulation ist und es hier noch Wissenslücken gibt.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der Frankfurter Rundschau, der auf einem dpa-Text beruht, berichtet über den Fund von menschengemachten Schadstoffen in Flohkrebsen aus der Tiefsee. Es wird deutlich, dass unerwartet hohe Konzentrationen an Polychlorierten Biphenylen (PCB) und anderen, inzwischen verbotenen Chemikalien gemessen wurden, und dass die Forscher für diese hohen Werte bislang keine Erklärung haben. Eine im dpa-Text vorhandene Passage macht deutlich, dass hier auch methodische Mängel vorliegen könnten. Diese wichtige Einschränkung wurde im Artikel der FR jedoch herausgekürzt, so dass die Aussagekraft der Ergebnisse unzureichend eingeordnet ist.

Es wird klar, dass erstmals solche Messungen an Organismen aus dem Marianengraben und dem Kermadecgraben vorgenommen wurde, da diese Tiefseeregionen noch immer weitgehend unerforscht sind. Die Ergebnisse werden Forschungsarbeiten aus anderen Regionen gegenübergestellt, und es werden Kommentare von Wissenschaftlern zitiert, die nicht an der vorgestellten Forschungsarbeit beteiligt waren. Diese betonen vor allem, wie überraschend die Ergebnisse sind. Da es zur Herkunft der Schadstoffe keine gesicherten Erkenntnisse gibt, und nur vermutet wird, dass sie aus dem Plastikmüll im Meer stammen, kann der Text keine konkreten Aussagen zu Lösungsansätzen machen.

Hinweis: Der Beitrag ist online leider nicht mehr abrufbar. 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag berichtet über unerwartet hohe Konzentrationen bestimmter Schadstoffe in Flohkrebsen aus der Tiefsee. Es wird klar, dass es sich prinzipiell um besorgniserregende Substanzen handelt („Viele dieser POP haben hormonähnliche Wirkung, gelten als krebserregend und reichern sich zudem in der Nahrungskette an“), und dass der Fund bestätigt, wie weit verbreitet derartige Stoffe sind. Doch wird keine unmittelbare Gefahr heraufbeschworen, sondern die Ergebnisse werden eher neutral dargestellt.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Zahlen zur Schadstoffbelastung der Flohkrebse werden durch Vergleiche mit Organismen aus anderen Gewässern verdeutlicht. Hilfreich für Leserinnen und Leser wären Erkenntnisse über die gefundenen Stoffe in anderen Zusammenhängen, z.B. in Lebensmitteln, gewesen – gibt es Grenzwerte für Fische oder Meeresfrüchte?
Der Artikel macht zwar deutlich, dass die hohen Werte überraschend sind. Wissenslücken werden knapp angesprochen („Woher die Schadstoffe genau stammen und warum die PCB-Konzentrationen im Marianengraben höher sind als im sehr abgeschiedenen Kermadecgraben wissen die Forscher nicht.“) Aber es fehlen jegliche Hinweise auf mögliche methodische Mängel, wie sie im Originaltext der dpa enthalten sind. Dort heißt es z.B. „Zur Genauigkeit der Analyse gibt es unterschiedliche Ansichten. ‚Die Autoren verwenden ein bewährtes und validiertes Verfahren für die Analytik der zu untersuchenden PBC und PBDE‘, meint Ralf Ebinghaus vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht. (…) Eric Achterberg vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (Geomar) bemängelt dagegen die Qualität der Studie. So hätten die Forscher keine Referenzproben und keine Fehlerbalken angegeben, dabei sei beides wichtig, um die Genauigkeit der Messungen zu zeigen.“ Da dieser wichtige Aspekt im FR-Beitrag fehlt werten wir „knapp nicht erfüllt.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Bei allen zitierten Quellen benennt der Artikel, welchen Organisationen sie angehören. Neben der zitierten aktuellen Fachpublikation und deren Autoren wird der Kommentar im Fachjournal angeführt und es wird eine Wissenschaftlerin befragt, die nicht an der Studie beteiligt war. Zudem werden ältere Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler einbezogen. Hinweise auf besondere Interessenkonflikte haben wir nicht gefunden.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es werden Messungen vorgestellt, die bisherigen Annahmen widersprechen – das macht der Beitrag deutlich. Es wird klar, dass die Forscher die gefunden Werte bislang nicht ausreichend erklären können. Offenbar gibt es auch Zweifel an der Korrektheit der Methoden, auf die der gekürzte Beitrag nicht hinweist (siehe dazu Kriterium 2). Eine darüber hinausgehende wissenschaftliche Kontroverse, die hier hätte dargestellt werden müssen, können wir aber nicht erkennen, wir wenden das Kriterium daher nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Die Ergebnisse der vorgestellten Publikation werden mit einer unbeteiligten deutschen Expertin besprochen und es werden weitere Forschungsarbeiten anderer Wissenschaftler zum Vergleich herangezogen. Damit geht der Beitrag deutlich über vorliegende Pressemitteilungen hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird klar, dass es sich um neue, so zuvor noch nicht gemessene Daten handelt, und dass insgesamt nur relativ wenige Messergebnisse aus diesen Tiefen vorliegen. Zugleich wird hinreichend klar, dass die Anreicherung der genannten organischen Verbindungen ein bekanntes Problem ist, dass diese Stoffe aber erst jetzt erst in Organismen aus den beiden Tiefseegräben nachgewiesen wurden.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Als mögliche Erklärung für die Herkunft der organischen Stoffe übernimmt der Beitrag die Mutmaßung aus der Fachveröffentlichung: „Es könne an den Industrieregionen am Nordwestpazifik liegen oder an einem riesigen Strudel aus Plastikmüll“. Diesen aus dem Meer zu fischen scheint derzeit unrealistisch, insofern kann der Beitrag auch keine praktikablen Handlungsoptionen nennen (außer der, den Plastikeintrag in Zukunft zu minimieren – was mit dem Schlusssatz zumindest anklingt). Wir wenden das Kriterium nicht an.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

In der Studie, die den Anlass für den Artikel bietet, geht es um den Marianengraben im Westpazifik und um den Kermadecgraben bei Neuseeland. Zum Vergleich werden andere Meeresregionen herangezogen, speziell die arktische Tiefsee. Der Originaltext der dpa spricht außerdem Forschungsarbeiten zu Plastikmüll im Kamschatkagraben an – eine Information die im FR-Beitrag fehlt. Insgesamt wird klar, dass es sich um ein globales Problem handelt, zu dem jetzt neue Ergebnisse aus relativ unerforschten Regionen vorliegen.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Artikel berichtet, dass Stoffe gefunden wurden, die schon geraume Zeit verboten sind, und macht dazu am Beispiel PCB nähere zeitliche Angaben. Die Zunahme des Plastikmülls im Meer wird exemplarisch anhand von Untersuchungen in der arktischen Tiefsee dargestellt. Auch der langsame Abbau von Kunststoffen wird mit dem Beispiel des wiedergefundenen Plastikfetzens angesprochen, allerdings ohne dazu Zahlen zu nennen. Insgesamt wird klar, dass es sich um ein sehr langfristiges Problem handelt, und dass die Belastungen sicher nicht schnell verschwinden oder sich beseitigen lassen.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Artikel bleibt allein auf der wissenschaftlich beschreibenden Ebene, andere Kontexte spricht er nicht an. Der Beitrag stellt das Phänomen dar, erläutert aber nicht, was der Fund bedeutet, außer dass der Mensch seine Spuren auf dem Planeten hinterlässt. Derzeit ist es zwar noch schwierig, die Bedeutung der Ergebnisse genau einschätzen, dazu ist der Befund an sich zu unsicher. Daher lässt sich auch nichts Verlässliches zu Fragen sagen wie: Welche Quellen sind verantwortlich? Was bedeuten die Ergebnisse für die Nahrungskette? Wir hätten es hier aber wichtig gefunden, auf diese Wissenslücken stärker hinzuweisen. Stellungnahmen von Experten außerhalb der Wissenschaft, etwa von Umweltorganisationen oder aus der Umweltpolitik, kommen im Beitrag nicht vor.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema ist aufgrund des kurz zuvor publizierten Papers aktuell. Der Artikel berichtet über unerwartete Ergebnisse und Messungen aus weitgehend unerforschten Lebensräumen – insofern auch ein eher ungewöhnlicher Beitrag zum allgemein relevanten Oberthema „Globale Verbreitung von Umweltchemikalien im Meer“. Die Relevanz der aktuellen Ergebnisse ist noch nicht abschließend zu beurteilen.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Test ist flüssig zu lesen und verständlich; er verzichtet weitgehend auf Fachvokabular, Zahlen werden durch Vergleiche fassbar gemacht. Die Struktur und Dramaturgie ist im Großen und Ganzen nachvollziehbar. Etwas unglücklich platziert ist allerdings aus unsere Sicht der Einschub zu Tiefseegräben und deren Unerforschtheit im Allgemeinen. Damit werden die erste Information zum aktuellen Paper und die nähere Darstellung der Ergebnisse auseinandergerissen. Bei der Schlusspassage zu den Verhältnissen in der arktischen Tiefsee hätte man gerne gewusst, ob Erkenntnisse dazu vorliegen, dass mit der Zunahme des Plastikmülls auch erhöhte Schadstoffwerte in den dort lebenden Organismen einhergehen – das hätte einen schlüssigeren Bezug zum aktuellen Paper von Jamieson et al. hergestellt. Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 8 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar