Bewertet am 1. August 2016
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Hitzewellen oder Überschwemmungen verringern die Produktivität nicht nur in den jeweils betroffenen Regionen, sondern wirken sich aufgrund des zunehmenden weltweiten Handels auch immer stärker auf andere Länder aus, berichtet der Deutschlandfunk. Dabei stützt er sich nur auf eine einzige Quelle.

Zusammenfassung

Der Radiobeitrag in der Sendung „Forschung aktuell“ des Deutschlandfunks basiert auf einer Studie am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Darin wurde für einen 20-Jahreszeitraum untersucht, wie sich höhere Temperaturen und die Intensität des globalen Handels auf die Produktivität der Weltwirtschaft auswirken. Der Beitrag lässt die Studienautorin zu Wort kommen und erläutern, wie sehr Extremwetterlagen aufgrund des Klimawandels die internationalen Warenströme betreffen und damit auch entfernt liegende Regionen in Mitleidenschaft ziehen können.

Weiteren Quellen zur Einordnung der Ergebnisse zieht der Beitrag nicht heran. Er stützt sich weitgehend auf die Pressemitteilung des PIK und verzichtet auf Nachfragen zu interessanten Punkten. So bleibt offen, welche Substitutionsmöglichkeiten es gibt, wenn einzelne Waren fehlen oder knapp werden. Dass durch die Vielfalt an Lieferregionen die Versorgungssicherheit in der Praxis durchaus auch zugenommen hat, wird nicht zu den Risiken der Globalisierung in Bezug gesetzt.

Welche Handlungsansätze es gibt, die Wirtschaft bzw. auch einzelne Unternehmen gegen die Risiken von Wetterextremen in Lieferländern abzusichern, kommt nicht zur Sprache. Ebenso wenig werden die regional unterschiedlichen Effekte (Globalisierungsgewinner und -verlierer) thematisiert.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Radiobeitrag stellt eine Studie von Leonie Wenz und Anders Levermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vor. Im Hörfunkbeitrag werden, wie im Fachaufsatz, die temperaturbedingten und die globalisierungsbedingten Einflussfaktoren auf die Wirtschaft beschrieben. Es wird sachlich referiert, dass in der Dekade 2001 bis 2011 regionale Hitzewellen stärker als zuvor auch globale Auswirkungen hatten. Der Tenor der Studie ist damit korrekt wiedergegeben. Dass auch Gegenstrategien möglich sind, die die Auswirkungen begrenzen, wird allerdings am Ende nur in einem Satz angesprochen, daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird zunächst verständlich referiert, wie die Forscher vorgegangen sind: mit mathematischen Simulationen, die „Daten zur Temperatur, zur Bevölkerung und zum ökonomischen Netzwerk kombiniert aus der Vergangenheit“ genutzt haben und „mithilfe des Modells geschaut (haben), wie sich diese Produktionsverluste durch Hitzestress weiter ausbreiten“. Im Detail allerdings bleibt im Beitrag vieles unklar. Warum wurde gerade Indien als Beispiel gewählt, und welche konkreten Auswirkungen hat eine Hitzewelle dort auf die Wirtschaft in Alaska? Hier wäre ein Beispiel nötig gewesen. Globale Aussagen, wie „Mit jedem Grad mehr sinkt die Produktivität.“ sind kaum nachvollziehbar, weil der Effekt sicherlich von der Klimazone abhängig ist. In manchen Regionen dürfte die Produktivität der Landwirtschaft zunächst sogar steigen (siehe auch Kriterium 8). Unklar ist auch die Aussage, die Anfälligkeit der globalen Wirtschaft für Hitzestress habe sich „im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt“. Wie wurde „Anfälligkeit“ definiert und gemessen, was genau also hat sich verdoppelt? Und schließlich: Sind in die Berechnungen auch Ausweichstrategien des globalen Handels eingegangen? Dazu fehlt jede Aussage.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Einzige Quelle ist eine aktuelle Studie des PIK. Besondere Interessenskonflikte, die zu erwähnen wären, sehen wir nicht. Bei der Studie handelt es sich um die Doktorarbeit von Leonie Wenz, die im Radiobeitrag dazu befragt wird. Dass die Ergebnisse in einem Fachaufsatz in Science Advances publiziert wurden, wird in der Anmoderation erklärt. Weitere, in diese Studie nicht involvierte Forscher kommen nicht zu Wort. Auch sonst bezieht der Beitrag keine zweite Quelle ein (wie z.B. vorausgehende Arbeiten).

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Im Beitrag kommen verschiedene Punkte vor, die zu diskutieren wären. So gibt es durchaus Debatten darüber, wie hoch die ökonomischen Schäden durch den Klimawandel sind bzw. künftig sein werden. Auch die die Aussage, in Zeiten des Klimawandels erhöhe sich das Risiko durch die Globalisierung, ist gar zu einseitig dargestellt. Denn je mehr Lieferländer ein Hersteller oder ein Importland hat, um eine Ware einzukaufen, umso geringer sollten die Abhängigkeiten von einem Lieferanten sein. Der Hinweis, dass die Versorgung durch internationalen Handel also auch sicherer werden kann, fehlt. Das wäre dann der größeren Betroffenheit von Ereignissen in weit entfernten Regionen gegenüberzustellen. Zwar heißt es im Radiobeitrag kurz: „Unter normalen Umständen erhöht diese Globalisierung die Effizienz der Wirtschaft. In Zeiten des Klimawandels aber erhöht sie auch die Risiken.“ Doch wie diese Faktoren gegeneinander abzuwägen sind, wird nicht erläutert. Auch der Gesichtspunkt, dass es Globalisierungsgewinner und -verlierer gibt, kommt im Beitrag nicht vor.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag stützt sich auf eine Pressemittelung des PIK Potsdam zu einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Science Advances. Zwar enthält der Radiobeitrag O-Töne der Autorin. Doch werden dabei keine zusätzlichen Aspekte eingebracht, der Inhalt des Radiobeitrags geht über den Inhalt der Pressemitteilung nicht wesentlich hinaus.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag berichtet, dass die Auswirkungen von Hitze auf die Arbeitsproduktivität bereits früher untersucht wurden. Er macht deutlich, dass jetzt ein neues Modell entwickelt wurde, um die Ausbreitung solcher Effekte zu berechnen, und dass verstärkte globale Auswirkungen seit Beginn des 21. Jahrhunderts festgestellt wurden. Es fehlt allerdings der Hinweis, dass über die ökonomischen Folgen und Kosten des Klimawandels seit mindestens zehn Jahren diskutiert wird (so erschien 2006 der „Stern-Report“). Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Zwar wird die Studie selbst mit den Worten zitiert, dass „ohne Anpassung“ hohe wirtschaftliche Schäden zu erwarten seien. Aber der Radiobeitrag befasst sich nicht mit der Frage, worin eine solche Anpassung bestehen könnte. Auch in der Studie selbst wird dieser Punkt kaum behandelt (es werden lediglich Lagermöglichkeiten genannt). Hier hätte der Radiobeitrag zusätzliche Quellen heranziehen müssen. Im letzten Satz verweist der Beitrag auf künftige Forschungsarbeiten, die zeigen sollen, wie sich die Anfälligkeit globaler Lieferbeziehungen verringern lässt. Eine kurze Internetrecherche zeigt, dass es längst Wissenschaftler gibt, die sich mit der Frage befassen, wie die Wirtschaft an Resilienz gewinnen kann, also an Fähigkeit, Störungen durch den Klimawandel zu verkraften (z.B. klimanavigator.de/dossier). Diese Arbeiten werden im Beitrag nicht erwähnt.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Die Forscher des PIK haben untersucht, wie sich regionale Ereignisse, die durch den Klimawandel häufiger werden könnten – etwa Hitzewellen – auf globale wirtschaftliche Zusammenhänge auswirken. Das wird im Beitrag zutreffend referiert. „Sie betrachteten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen 186 Ländern und 26 Industriesektoren“, heißt es dazu. Als Beispiel wird genannt, dass Klimaereignisse in Indien sich auf die Wirtschaft in Alaska auswirken, ohne dies allerdings plausibel zu erklären. Der Beitrag unterlässt es, die Leidtragenden von klimabedingten Ernte- oder Arbeitsausfällen zu benennen. Es ist lediglich von der globalen Wirtschaft die Rede; dabei sind Länder und Regionen mehr oder weniger stark einerseits vom Produktionsverlusten durch den Klimawandel betroffen (siehe z.B. hier oder hier), andererseits unterschiedlich von globalen Wirtschaftsbeziehungen abhängig. Auch eine branchenspezifische Differenzierung findet nicht statt. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass die Studie einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet. Die zwei Dekaden von 1991 bis 2001 und 2001 bis 2011 sind der Untersuchungszeitraum, es wird über unterschiedliche Ergebnisse aus den beiden Dekaden berichtet.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag stellt eine Studie vor, die sich mit den wirtschaftlichen Folgen und Kosten des Klimawandels befasst. Diese werden in der Studie nicht in Geldwerten sondern in Produktivitätsverlusten dargestellt. Das ist im Radiobeitrag allerdings nicht genau nachvollziehbar. Es fehlt an Beispielen, wie sich bestimmte Engpässe – etwa bei dem im Beitrag genannten Kokosöl ­– auf die Wirtschaft auswirken, welche Zusatzkosten etwa entstehen, oder ob bestimmte Produkte teurer werden usw. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist relevant und der Beitrag berichtet über eine aktuell erschienene Studie. Er greift damit einen Aspekt auf, der in der Berichterstattung zur Klimadebatte bisher noch nicht so stark im Vordergrund stand.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag ist verständlich, leistet aber kaum mehr, als die Pressemitteilung zu referieren und einige O-Töne der Studienautorin einzufügen. Es fehlt an Nachfragen, etwa dazu, was genau gemessen wurde (Was etwa bedeutet „Anfälligkeit“?), oder ob die negativen Effekte auf die Wirtschaft durch geeignete Maßnahmen zu verringern wären. Ein potenziell interessanter und überraschender Punkt wird nur kurz angerissen und bleibt dabei unverständlich – die Auswirkung von Hitzewellen in Indien auf die Wirtschaft in Alaska. Hier hätte es einer Schilderung der konkreten Folgen bedurft. Unklar bleibt, warum es auch bei Produkten, die aus vielen Ländern importiert werden können, zu Engpässen kommt, wenn ein Land von einer Hitzewelle oder Überschwemmung betroffen ist. Auch hier fehlt eine Erklärung. Wichtig wären Beispiele gewesen, die den Alltag der Hörerinnen und Hörer berühren. Könnten bestimmte Waren durch den Klimawandel – zumindest zeitweise – aus den Regalen verschwinden, oder aber teurer werden? In welchen Produkten steckt z.B. Kokosöl? Der Beitrag versäumt es, solche Zusammenhänge für Hörerinnen und Hörer anschaulich zu machen.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Beitrag enthält eine ungenaue Aussage: „Diese Verbindung ist linear. Mit jedem Grad mehr sinkt die Produktivität.“ Dies kann offensichtlich nur für einen bestimmten Temperaturbereich gelten – erst oberhalb einer bestimmten Temperatur leidet die Produktivität, laut der zugrundeliegenden Studie besteht ein linearer Bezug ab 27 Grad Celsius. Ansonsten haben wir keine Faktenfehler gefunden. Wir werten daher „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Da vier der fünf erfüllten umweltjournalistischen Kriterien nur knapp erfüllt sind, werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar