Bewertet am 13. Mai 2016
Veröffentlicht von: dpa | stern.de

Wildschweine, Füchse, sogar Biber leben in Berlin. Ein Beitrag auf Stern.de schildert das Phänomen der Wildtiere in der Großstadt anhand mehrerer Personen, die sich beruflich damit beschäftigen. Zahlen zur räumlichen und zeitlichen Einordnung fehlen in der ansonsten gelungenen Reportage.

Zusammenfassung

Stern.de übernimmt eine Reportage von dpa, die das Leben der Wildtiere in Berlin beschreibt und verschiedene Forschungsprojekte dazu vorstellt. Der Beitrag geht auf das gute Nahrungsangebot im urbanen Raum ein, das Tiere vorfinden, beschreibt allerdings nicht die Verschlechterung der Lebensbedingungen für viele Arten im Umland. Ängste und Vorbehalte der Stadtbewohner werden angesprochen, zugleich legt der Text nahe, dass kaum ernsthafte Gefahren drohen. Es werden verschiedene Forschungsansätze vorgestellt, die beispielsweise die Routen der Tiere, ihr Futter, mögliche Parasiten und die genetische Zugehörigkeit der Individuen analysieren. Informationen dazu, seit wann Wildtiere in diesem Umfang in Berlin zu beobachten sind, und wie sich die Zahlen entwickeln fehlen jedoch ebenso, wie ein Vergleich mit anderen Städten. Insgesamt handelt es sich um einen eher beschreibenden als analytischen Beitrag. Die lebhaft geschriebene Reportage gibt einen schönen Einblick in das Thema.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Online-Beitrag beschreibt ohne ausdrückliche Wertung das Vorkommen von Wildtieren in Berlin. Er stellt die Situation relativ neutral vor: Verschiedene Begegnungen und Situationen werden geschildert, auch solche, die einige Menschen als bedrohlich empfinden, ohne aber die Lage zu dramatisieren, oder umgekehrt Wildtiere als „Kuscheltiere“ zu verniedlichen. Eine ökologische Bewertung oder eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten fehlt weitgehend. So werden zwar am Rande beispielsweise Waschbären (als invasive Art ein umstrittener Fall) oder Wanderfalken (früher stark gefährdet) erwähnt, ohne aber die unterschiedliche ökologische Bedeutung einzuordnen. Überwiegend beschäftigt sich der Text mit Füchsen und Wildschweinen, die als eher unproblematisch dargestellt werden. Insgesamt ein eher beschreibender als analytischer Text.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt nur wenige Zahlen und harte Fakten. Geschätzte 20.000 Tier- und Pflanzenarten gebe es in Berlin, heißt es – eine Zahl, die für Leserinnen und Leser kaum einzuordnen ist. Allein 17.000 davon sind Insekten (Link nicht mehr verfügbar), diese Information hätte die Dinge schon klarer gemacht. Hilfreich wäre auch ein Vergleich gewesen: Wie viele Arten gibt es im Umland oder in anderen Großstädten?
Die im Beitrag genannten Studien laufen noch. Der Beitrag schildert, welche Fragestellungen untersucht werden und wie die Wissenschaftlerinnen dabei vorgehen. Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die zitierten Experten – der Berliner Wildtierexperte Ehlert, eine Vertreterin des Nabu und Wissenschaftlerinnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) – werden klar zugeordnet. Interessenkonflikte, die hier zu erwähnen wären, sind für uns nicht erkennbar.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag erwähnt mehrfach Vorbehalte der Berliner gegen Wildtiere und Probleme, die im Umgang mit ihnen auftreten können, ebenso wie die eher positive Grundhaltung von Senatsverwaltung und Naturschützern. Allerdings warnt etwa der Naturschutzbund Deutschland (NABU), dass die Masse der Wildschweine mit ihrer Wühlerei die Bodenzusammensetzung verändert und Bodenbrütern und Amphibien schadet; diese Problematik spricht der Beitrag nicht an. Das ist jedoch in einer solchen Reportage auch nicht zwingend zu erwarten.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Die Reportage beschreibt eine Tour der Autorin durch Berlin auf den Spuren von Wildtieren, greift also nicht auf eine Pressemitteilung, Studie oder ähnliches zurück.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Dass es in Berlin viele Wildtiere gibt, ist nicht neu. Es fehlt hier jede Information, seit wann z.B. Wildschweine oder Füchse vermehrt im Stadtgebiet auftreten.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag beschreibt die Entwicklung eher als Phänomen, als dass er sie problematisiert. Man hätte sicher einige Handlungsoptionen nennen können (z.B. könnten Bewohner ihren Garten sichern, oder den Müll nicht offen herumstehen lassen; für Vogelarten könnte man zusätzliche Nistplätze schaffen). Insgesamt aber geht es in dem Beitrag nicht um Probleme, für die Lösungswege gefunden werden müssten, daher wenden wir das Kriterium nicht an.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Im Beitrag geht es ausschließlich um die Situation in Berlin. Es wird nicht deutlich, ob Wildtiere in ähnlicher Weise auch in anderen deutschen oder europäischen Großstädten leben. Der Beitrag erweckt (z. B. auch durch den Schluss) den Eindruck, dies sei ein singulär in Berlin auftretendes Phänomen. Tatsächlich werden aber schon lange z.B. Füchse in London beobachtet oder Dachse in Wien. Auch in mittelgroßen Städten werden Wildtiere heimisch, bekannt ist z.B. die Waschbären-Plage in Kassel. Trotz des sehr szenischen Aufbaus des Beitrags wäre ein kurzer Blick über die Stadtgrenzen Berlins hinaus angebracht gewesen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag bietet eine Momentaufnahme und beschreibt die gegenwärtige Situation. Auch wenn diese im Vordergrund steht, vermisst man beim Lesen doch Informationen dazu, wie sich die Lage entwickelt. Zumindest für einige Arten hätten wir dazu exemplarische Angaben erwartet. Nimmt z.B. die Zahl der Wildschweine weiter zu oder stagniert sie? Könnten daraus künftig Probleme erwachsen? Seit wann gibt es in Berlin sogar Biber – und sind sie hier dauerhaft heimisch geworden?

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag beschreibt die Hintergründe der Entwicklung kaum. Das üppige Futterangebot in der Stadt wird zwar als eine Ursache deutlich, jedoch bleibt außen vor, dass die Entwicklung zugleich auch mit den Veränderungen im ländlichen Raum zu tun haben dürfte: Die intensivere Landwirtschaft und die Monokulturen und die Zerstörung von Naturlandschaft kommen nicht zur Sprache, ebenso wenig der in der Stadt verminderte Jagddruck. Es wird weder erwähnt, in welchem Umfang Wildtiere Schäden anrichten, noch wer für diese aufkommt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Zusammenleben von Menschen und Wildtieren ist grundsätzlich ein interessantes und wichtiges Thema, das viele Leserinnen und Leser interessieren dürfte und für die Berliner sicher relevant ist. Für Leser anderer Städte gibt es indes keine Informationen, wodurch die Relevanz dieses Beitrags in einem bundesweit erscheinenden Onlinemagazin eingeschränkt wird. Die genannten Forschungsprojekte sind neu bzw. laufen noch.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag beschreibt anhand mehrerer Personen, die beruflich mit dem Phänomen zu tun haben, die Präsenz der Wildtiere in Berlin. Die Reportage bleibt dabei zunächst weitgehend auf der beschreibenden Ebene und schildert facettenreich, wo wilde Tiere in Berlin leben und wie Menschen auf die Tiere reagieren. In der zweiten Hälfte leitet sie zu Forschungsfragen über, denen Wissenschaftlerinnen in verschiedenen Projekten nachgehen. Anders als sonst oft geht es dabei nicht um die Präsentation fertiger Ergebnisse, sondern der Beitrag stellt Verfahren vor, mit denen nach Antworten auf offene Fragen gesucht wird. Hier hätten wir uns an einigen Punkten noch genauere Informationen gewünscht: Wie etwa sollen sich die Berliner „auf die Spuren der besenderten Stadtfüchse“ begeben? Insgesamt aber eine ungewöhnlich lebendige Darstellung, die Beschreibung der Situation und Vorstellung der Forschungsansätze gut verbindet.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen, nur ein Tippfehler: „Der Artenreichtum an Tieren und Pflanzen wird auf ganze 20.000 geschützt“ ,wo es „geschätzt“ heißen müsste (wie es korrekt in dpa-Text steht).

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Wegen der gelungenen Darstellung werten wir um einen Stern auf.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar