Bewertet am 25. Mai 2016
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau

Eng an eine Pressemitteilung des Senckenberg Forschungszentrums in Frankfurt angelehnt berichtet die Frankfurter Rundschau über invasive Algenarten, die mit Frachtschiffen beispielsweise aus China in die Nordsee gelangen können. Worin die Risiken genau bestehen, erfährt man dabei nicht, ebenso wenig, wie sich daraus entstehende Kosten errechnen.

Zusammenfassung

Ein Artikel in der Frankfurter Rundschau berichtet (basierend auf einem Artikel der Nachrichtenagentur AFP) über eine Studie, die ein mathematisches Modell zur Ausbreitung von Meeresalgen in neue Regionen vorstellt. Aus den Schifffahrtsrouten und Umweltveränderungen (wie den steigenden Wassertemperaturen durch den Klimawandel) prognostizieren die Forscher, welche Arten aus den Meeren rund um Asien in gemäßigte Zonen, wie die Nordsee, einwandern. Der Beitrag erläutert das Vorgehen der Forscher kaum. Risiken und Kosten werden erwähnt; jedoch bleibt offen, wie etwa „Hochrisikoarten“ definiert sind. Wodurch Schäden von „mehreren Milliarden Euro“ in der EU konkret verursacht werden, und wie sich diese errechnen, erläutert der Beitrag nicht. Jede zeitliche Einordnung fehlt – wann etwa „verstärkt mit neu eingeschleppten invasiven Pflanzen- und Tierarten aus asiatischen Gewässern zu rechnen“ ist, oder seit wann invasive Arten schon in der Nordsee zu beobachten sind, wird nicht klar. Der Text ist stark an die Pressemitteilung angelehnt und vermittelt keine wesentlich darüber hinausgehenden Informationen; eine zweite Quelle fehlt. Welche Ansätze es gibt, die Ausbreitung invasiver Meeresorganismen zu verhindern, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Zudem enthält der Text etliche sachliche und sprachliche Ungenauigkeiten und Fehler.

Da der Beitrag in der FR nicht frei online verfügbar ist, verlinken wir auf eine fast wortgleiche Fassung  des Agenturtextes in „Kleine Zeitung“.

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Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag weist zutreffend auf Risiken durch invasive Arten in der Nordsee hin, ohne diese allerdings konkret zu beschreiben. Nur recht allgemein ist davon die Rede, dass invasive Arten einheimische Arten verdrängen und hohe Schäden verursachen können. Worin diese bestehen, erläutert der Artikel nicht, ebenso wenig, was unter „Hochrisiko-Arten“ zu verstehen ist. Es ist von wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe die Rede – doch erfährt man nicht einmal ansatzweise, worin diese bestehen könnten. Auch wenn die Risiken nicht unbedingt übertrieben dargestellt sind, hätten wir doch wenigsten eine knappe Darstellung erwartet, welche konkreten Auswirkungen die invasiven Arten haben. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Im Beitrag erfährt man, dass es sich um „neue Modellierungsmethoden“ handelt. Was dabei in die Berechnungen einging (Klimadaten, Schiffsrouten), wird nicht ausreichend deutlich. Hier ist die Pressemitteilung sehr viel informativer, die einen Wissenschaftler mit der Aussage zitiert: „Für unsere Simulationen benutzen wir ein mathematisches Modell, welches Daten über Schiffsbewegungen und Schiffsgrößen mit Wassertemperaturen und Salzgehalt des Wassers verbindet, um die Wahrscheinlichkeit einer Invasion zu bestimmen.“ Auch zur Genauigkeit der Vorhersagen fehlt im Artikel jede Angabe (bezogen auf Vorgänge in der Vergangenheit, die im Modell nachvollzogen wurden, betrug die Vorhersagegenauigkeit 77 Prozent). Die Schätzung des finanziellen Schadens in Höhe von „mehreren Milliarden Euro“ in der EU wird lediglich aus der Pressemitteilung übernommen; in der Studie findet sich diese Angabe nicht, somit bleibt offen, wie sie zustande kommt.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die Quelle – ein Fachbeitrag in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ – wird benannt. Für Interessenkonflikte liegen uns keine Anhaltspunkte vor. Da im Artikel nur ein Autor der vorgestellten Studie zu Wort kommt, und jede Einordnung durch eine zweite, unbeteiligte Quelle fehlt, ist das Kriterium nicht erfüllt.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Im Artikel wird ein Modell angesprochen, das die Wanderung invasiver mariner Arten prognostizieren soll. Dazu ist uns keine Gegenposition bekannt. Darüber, dass invasive Arten Probleme in fremden Ökosystemen verursachen können, herrscht weitgehend Konsens. Die z.T. kontrovers diskutierte Frage, wie bedrohlich einzelne eingewanderte Arten sind, ist nicht Gegenstand des Beitrags. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag ist in Aufbau und Sprache sehr dicht an die Pressemitteilung angelehnt und enthält keine wesentlich darüber hinausgehenden Informationen. Selbst eine sprachlich misslungene Passage („…erklärt Dr. Hanno Seebens vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt und Hauptautor der Studie“) wird unverändert aus der Pressemitteilung übernommen.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Text erweckt den falschen Eindruck, die zugrunde liegende Studie hätte das vermehrte Auftreten invasiver Arten in der Nordsee untersucht, und die Zunahme eingewanderter Arten sei ein neues Ergebnis. Tatsächlich wird, wie in der Studie auch zitiert, eine solche Zunahme seit längerem beobachtet. Neu ist das Modell, mit dem die Forscher prognostizieren, mit welchen einwandernden Arten in welchen Regionen künftig zu rechnen ist. Zwar ist im Beitrag von neuen Modellierungsmethoden die Rede, doch wird nicht ausreichend deutlich, dass das Phänomen selbst seit langem bekannt ist.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag spricht Handlungsoptionen nicht an. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, die Verbreitung invasiver Algen einzudämmen, zum Beispiel über Ballastwasser-Kontrolle. Dafür gibt es eine bereits 2004 formulierte Konvention der internationalen Meeresorganisation IMO (Link nicht mehr verfügbar), die aber noch nicht von ausreichend vielen Staaten ratifiziert wurde und daher bislang nicht in Kraft getreten ist. Zumindest einen kurzen Hinweis darauf hätten wir erwartet.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es wird ausreichend klar, dass der globale Schiffsverkehr eine wesentliche Rolle für das Problem spielt. Der Beitrag benennt Regionen, aus denen invasive Arten stammen, und Regionen, die von der Einwanderung fremder Arten betroffen sein könnten.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag liefert keinerlei zeitliche Orientierung. Leserinnen und Leser erfahren nicht, seit wann das Problem der invasiven Meeresalgen beobachtet wird, ob und wenn ja in welchen Ausmaß es sich beschleunigt oder welche mögliche Langzeitfolgen diese Entwicklung haben könnte. Wann könnten die angesprochenen Probleme an der US-Westküste auftreten? In welchem Zeitraum ist in der Nordsee verstärkt mit eingeschleppten Arten zu rechnen? Macht das Modell der Forscher dazu überhaupt Aussagen? Im Artikel bleiben diese Fragen offen.
Da jeder zeitlichen Bezug fehlt, bleibt der Satz „In der Nordsee gibt es den Angaben zufolge inzwischen bereits zwei weitere neue Algen, die als ‚Hochrisiko-Art‘ identifiziert wurden.“ unverständlich. Wieso „inzwischen bereits“? Auf welchen früheren Stand bezieht sich diese Aussage?

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag spricht Kosten an, wenn auch sehr pauschal und ohne Beleg. Es ist von Schäden in Milliardenhöhe die Rede – doch in welchem Zeitraum diese für wen entstehen, erfährt man nicht. Der Zusammenhang mit den Welthandelsbeziehungen wird klar, ohne dass der Beitrag dazu allerdings nähere Informationen liefert. Welche Kosten würde es beispielsweise verursachen, die Einwanderung von marinen Arten in die Nordsee einzudämmen? Angesichts der Kürze des Beitrags werten wir noch „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Die Studie ist jüngst erschienen, das Thema aktuell und relevant, wenn auch die Relevanz im Beitrag nicht klar herausgearbeitet wird.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel beschreibt das dargestellte Problem nur sehr vage. Zwar sind die einzelnen Aussagen einigermaßen verständlich, doch fehlt ein roter Faden, der ein wirkliches Begreifen der Zusammenhänge ermöglichen würde. So wird erst im fünften Absatz erklärt, was „invasive Arten“ – das zentrale Thema des Beitrags – überhaupt sind. Die Erklärung ist zudem missverständlich – der Unterschied zwischen lediglich gebietsfremden Arten und invasiven Arten wird nicht klar. Siehe dazu z.B. hier. Begriffe wie „Hochrisikoarten“ werden nicht erläutert.
Hinzu kommen etliche grammatische Fehler und sprachlich sehr unschöne Formulierungen, etwa wenn es heißt: „Ähnlichen Bedingungen in den Gewässern rund um China und Japan auf der einen sowie der Nordsee auf der anderen Seite schaffe optimale Bedingungen für die Einwanderung von Arten…“. Zwei Redewendungen (das seine beitragen /ein Übriges tun) werden vermengt, Temperaturen sind kalt statt niedrig usw.

Der Beitrag lässt zudem keine eigenständige journalistische Leistung erkennen, sondern übernimmt alle wesentlichen Informationen allein aus der Pressemitteilung, die jedoch deutlich verständlicher und informativer ist.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Beitrag enthält einige Ungenauigkeiten, etwa bei der Erklärung des Begriffs „invasive Arten“ (siehe Kriterium journalistische Darstellung). Auch wird die Alge Sargassum muticum fälschlich als „Sorte“ bezeichnet, statt korrekt als Art (im Beitrag zudem falsche Großschreibung „Sargassum Muticum“). Durch die Aussage, „Nach Angaben der Forscher richteten solche einwandernden Arten allein in der EU jährlich Kosten von mehreren Milliarden Euro an“, kann der falsche Eindruck entstehen, dies sei ein Ergebnis der Studie (siehe auch umweltjournalistisches Kriterium 2). Wir werten nur „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Abwertung um einen Stern, weil zwei der drei erfüllten umweltjournalistischen Kriterien nur „knapp erfüllt“ sind.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar