Bewertet am 20. Januar 2016
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau

Eine dieselähnliche Flüssigkeit könne Wasserstoff binden und so als Energiespeicher dienen, berichtet die Frankfurter Rundschau. Doch weder erfährt man Näheres zur Funktionsweise dieser schon seit einigen Jahren diskutierten Lösung des Speicherproblems, noch werden unabhängige Experten dazu befragt.

Zusammenfassung

Der Artikel in der Frankfurter Rundschau stellt ein Verfahren vor, mit dem Wasserstoff gespeichert werden kann, der durch Einsatz von Strom aus regenerativen Quellen gewonnen wird. Die Speicherung von Energie stellt in der Tat ein relevantes Problem bei der Energiewende dar. Doch im Beitrag fehlen nachvollziehbare Fakten über die vorgestellte Technologie ebenso, wie eine Einschätzung durch externe Fachleute. Zu Wort kommen allein die am Projekt beteiligten Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und des dort von dort ausgegründeten Unternehmens Hydrogenious Technologies, die die Vorteile des von ihnen entwickelten Verfahrens herausstellen, dabei aber nicht erklären, wie es eigentlich funktioniert. Mögliche negative Umweltfolgen durch die als Liquid Organic Hydrogen Carriers (LOHC) bezeichneten Chemikalie, die als Speichermaterial dient, werden nicht diskutiert. Informationen zur Nachhaltigkeit – lässt sich die Flüssigkeit z.B. recyceln? – enthält der Beitrag nicht. Weder erfährt man etwas zum Entwicklungsstand noch zu den Kosten.
Auch wenn sich der Beitrag nicht direkt auf eine Pressemitteilung bezieht, liest sich der Artikel insgesamt eher wie ein werblicher Text, da jede kritische Einordnung der vorgestellten Technologie fehlt.

Hinweis: Da der Artikel online nicht frei verfügbar ist, zitieren wir ausführlicher als sonst aus dem Beitrag  (Zitate kursiv).

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Das Umweltproblem, um das es geht, der Klimawandel, wird nur am Rande thematisiert. Im Zentrum steht mit der Energiespeicherung die Lösung eines Umweltproblems. Der Artikel berichtet über die Möglichkeit, Energie, z.B. aus Wind- oder Solarkraftwerken, für die elektrolytische Gewinnung von Wasserstoff zu nutzen und diesen in flüssigen organischen Trägermaterialien zu speichern. Hierbei werden ausschließlich Vorteile genannt (siehe auch Kriterium 7).
Jede kritische Nachfrage zum als „Revolution in der Speichertechnik“ vorgestellten Verfahren unterbleibt; mögliche schädliche Umweltfolgen der LOHC werden im Artikel nicht thematisiert. Wie steht es z.B. um die Toxizität des Trägermaterials? Damit werden die Chancen des Verfahrens u.E. übertrieben positiv dargestellt.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Artikel enthält keinerlei nachvollziehbaren Zahlen oder Fakten, die erklären, wie der Wasserstoff in den Chemikalien gebunden wird, und um was für eine Substanz es sich dabei handelt. Man erfährt lediglich, dass es eine „dieselartige Flüssigkeit” sei, „die den Wasserstoff chemisch speichert und dann bei Bedarf wieder abgeben kann.“ Ob bei der Ein- und Ausspeicherung Wärme anfällt bzw. benötigt wird (was in der Tat der Fall ist), erfahren Leserinnen und Leser nicht. Angaben zum Wirkungsgrad fehlen ebenso wie ein Vergleich mit anderen Speichertechnologien. Es wird am Schluss des Artikels zwar ein Anwendungsbeispiel vorgestellt, („Teichmann und Kollegen nutzen ihre Erfindung schon jetzt, indem sie ihr eigenes Produktionsgebäude über ihren Energiespeicher ganzjährig mit Energie versorgen können. Daneben beheizen sie auch noch ein im gleichen Gebäude befindliches Schwimmbad“); doch auch hier werden keine konkreten Angaben zur produzierten Energiemenge, zur Größe des Speichers usw. gemacht. Welche weiteren Erfahrungen mit der Technologie vorliegen, und ggf. publiziert wurden, wird nicht berichtet.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es entsteht zunächst den Eindruck, der Beitrag stütze sich auf mehrere voneinander unabhängige Experten, neben dem Geschäftsführer des Start-up-Unternehmens „Hydrogenious Technologies“ auch auf drei Professoren der Universität Erlangen-Nürnberg. Erst in der zweiten Hälfte des Artikels wird klar, dass alle drei eng zusammenarbeiten („Wasserscheid hat die Ausgründung des Unternehmens Hydrogenious Technologies gemeinsam mit seinen beiden Erlanger Kollegen Wolfgang Arlt und Eberhard Schlücker aus der Friedrich- Alexander-Universität begleitet.“). Nicht erwähnt wird, dass der Geschäftsführer Daniel Teichmann Doktorand bei Arlt und Wasserscheid war. Eine unabhängige Einschätzung durch Experten, die nicht an dem Projekt beteiligt sind, fehlt.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es kommt im Artikel nur die Sichtweise der Gründer, Gesellschafter und Mitarbeiter von „Hydrogenious Technologies“ zur Sprache, die ihr eigenes Verfahren in ein rundum positives Licht setzen. (‚Ein 40-Tonnen-LKW kann aufgrund der schweren Drucktanks lediglich zirka 400 Kilogramm normalen Wasserstoff transportieren, mit der LOHC-Technologie ist er hingegen in der Lage, bis zu 1800 Kilogramm Wasserstoff zu transportieren. Ein gigantischer Unterschied, der einen problemlosen Transport großer Mengen des Energieträgers zu den Tankstellen ermöglicht‘, erklärt Wasserscheid. Oder  „‚…Diesel brennt nicht so schnell weil es aus längerkettigen, schwereren Kohlenwasserstoffen besteht. […]Und so ist das bei den LOHCs auch, sie haben sogar noch eine niedrigere Entflammbarkeit als Diesel.“) Es wird somit klar, welche Vorzüge die neue Technik hat. Was fehlt ist eine Darstellung der noch ausstehenden Schwierigkeiten, sowie der Stärken und Schwächen im Vergleich zu anderen Lösungen.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Weder von dem Unternehmen noch von der Universität Erlangen-Nürnberg liegt eine Pressemitteilung vor, die als alleinige Quelle gedient haben könnte.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird deutlich, dass es um eine noch relativ junge Technologie geht, doch fehlen alle Angaben dazu, seit wann daran gearbeitet wird. Wenn es im Artikel heißt, die Forscher hätten jetzt ein Verfahren entwickelt, das den Wasserstoff in flüssigen organischen Wasserstoffträgermaterialien bindet. Auch das von ihnen entdeckte Trägermaterial ist neu“, lässt das vermuten, die Entwicklung sei gerade erst bekannt geworden. Tatsächlich wird an LOHC jedoch schon länger geforscht , eine Publikation dazu erschien bereits 2011; 2012 wurde das Verfahren z.B. vom Verband EUROSOLAR beschrieben (Link nicht mehr verfügbar). Auch die Presse berichtete schon vor Jahren, z.B. hier und hier. Welche Neuerungen es seitdem gegeben hat, erläutert der Artikel nicht.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag dreht sich darum, wie unstetig produzierter regenerativer Strom mittels Umwandlung in Wasserstoff dauerhaft in Form von LOHC gespeichert werden kann („Dabei sind die Hauptkandidaten für die Erzeugung von Strom Photovoltaik und Windenergie. Beide Energieformen sind jedoch nicht kontinuierlich verfügbar und bedürfen daher erheblicher Speicherkapazitäten.“). In der Tat stellt die Speicherung von regenerativen Energien bei der Durchsetzung der Energiewende eine zentrale Frage dar, für die hier ein technischer Lösungsvorschlag präsentiert wird. Als alternative Möglichkeiten der Wasserstoffspeicherung werden Verflüssigung und Drucktanks genannt. Eine vergleichende Bewertung unterschiedlicher Lösungskonzepte für die Energiespeicherung fehlt allerdings. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag macht klar, dass bestehende Infrastruktur genutzt werden könnte, obwohl anzunehmen ist, dass Umbaumaßnahmen notwendig wären. Zu der Frage, über welche Strecken der mit Wasserstoff aufgeladene Träger transportiert werden kann, heißt es im Beitrag „von Nord- oder Ostsee problemlos per Bahn, Pipeline oder Tanklaster in die Industriegebiete in Bayern oder dem Ruhrgebiet“. Ob das nun die maximale Strecke ist, oder z.B. auch längere grenzüberschreitende Pipelines möglich wären, bleibt offen. Auch zu der Frage, in welchen Anlagen und in welchen Regionen die Nutzung von Wasserstoff aus LOHC technisch am besten bzw. wirtschaftlich am sinnvollsten ist, hätten wir uns nähere Angaben gewünscht. Über die Darstellung eines regionalen Anwendungsbeispiels hinaus werden räumliche Aspekte nicht konkret beschrieben. Eine andere Publikation wies beispielsweise darauf hin, dass ein wichtiger Einsatzbereich der LOHC-Technologie die Stromerzeugung in Gebieten ohne Netzanschluss sein könne, etwa bei Solaranlagen in Afrika oder Windparks in China. Wir werten „knapp nicht erfüllt“.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Wann das vorgestellte Verfahren für Energiespeicherung und -transport am Markt konkurrenzfähig sein könnte, oder wie ausgereift es im Vergleich zu anderen neuen Formen der Speicherung (z.B. verschiedenen Batterietechniken) ist, wird nicht beschrieben. Wann es in großem Maßstab zur Nutzung bereit stehen könnte, wird nur  vage angedeutet („Wasserscheid […]sieht in den nächsten Jahren gerade bei Tankstellen für Wasserstoffautos ein riesiges Anwendungspotenzial für den neuen Energieträger.“).
Der Beitrag informiert auch nicht darüber, ob die LOHC-Speicherstoffe recycelbar sind, ob und wie sie also in einen Kreislauf eingebunden werden könnten. Leserinnen und Leser können sich daher kein Bild darüber machen, wie nachhaltig das Verfahren wäre, wenn es in großem Stil zur Anwendung käme.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Zwar wird die Speichertechnologie im ersten Absatz in den politischen Kontext der Energiewende gestellt („Die Energiewende führt dazu, dass bereits heute regenerative Energie nicht immer dort bereitgestellt wird, wo und wann sie gebraucht wird.“), aber über die wichtige Frage, welche Kosten die Speicherung in LOHC verursacht, fehlt jede Information. Wie teuer die Substanz selbst, deren „Aufladen“ mit Wasserstoff, der Transport und die „Entladung“ wären, ebenso der Auf-/Umbau der entsprechenden Infrastruktur, spricht der Beitrag nicht an. Auch wird nicht ausreichend deutlich, ob die LOHC vorrangig als Treibstoff für Autos, mobile oder stationäre Anlagen, zur Heizung von Wohnungen oder für industrielle Anwendungen in Frage kämen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema Energiespeicherung ist relevant und aufgrund der anhaltenden Diskussion über die Energiewende auch dauerhaft aktuell. Auch die vorgestellte Technologie klingt prinzipiell interessant, wenn auch ein konkreter Anlass für die Berichterstattung nicht erkennbar ist. Originell ist das Thema angesichts der wiederholten Berichterstattung in den vergangenen Jahren nicht.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Die ersten drei Absätze führen sehr langatmig ins Thema ein, die Kernbotschaft – es wurde eine neue Technologie für die Energiespeicherung entwickelt – kommt erst im vierten Absatz und damit viel zu spät. Der Aufbau des Textes wirkt umständlich und z.T. langweilig. Der Beitrag erklärt nicht, wie die vorgestellte Technologie funktioniert, und welchen Stellenwert sie hat. Die Fragen, die sich aufdrängen: „Was passiert da genau?“, und „Wie realistisch ist dieser Lösungsvorschlag?“ werden nicht eindeutig beantwortet. Insgesamt liest sich der Beitrag eher wie ein werblicher Text für das betreffende Unternehmen.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Faktenfehler haben wir nicht gefunden.

Umweltjournalistische Kriterien: 2 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar