Bewertet am 3. November 2015
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau

Die Frankfurter Rundschau berichtet über eine aktuelle Studie zum Thema Bodenverluste in Europa und greift dabei auch globale Aspekte auf. Es wird klar, dass es sich um eine Studie im Auftrag der Grünen handelt; weitere Quellen werden nicht herangezogen.

Zusammenfassung

​Der Beitrag stellt die Ergebnisse der Studie „Down to Earth – Der Boden, von dem wir leben: Zum Zustand der Böden in Europas Landwirtschaft“ vor, die im Auftrag des agrarpolitischen Sprechers der Grünen im Europaparlament erstellt wurde. Der Artikel, der in der Frankfurter Rundschau (und unter dem Titel „Wenn die Erde sich vom Acker macht“ auch in der Berliner Zeitung) erschienen ist, stellt das Problem der Bodenverluste ohne Übertreibung oder Verharmlosung dar. Er lehnt sich stark an die Pressemitteilung an und bezieht neben der vorgestellten Studie keine weiteren Quellen ein. Der Artikel nimmt keinen Bezug auf die langjährige politische und gesellschaftliche Debatte zum Thema Flächenverbrauch. Kontroversen um unterschiedliche Formen der Bodennutzung – etwa ökologischer versus konventioneller Landbau – werden nicht angesprochen. Während in der Überschrift noch allein von Bodenerosion die Rede ist, vermengt der Text dann Themen wie Erosion, Zersiedelung und Überdüngung. Der Beitrag enthält Informationen zu europäischen und globalen Entwicklungen, die jedoch nicht immer gut vergleichbar dargestellt sind. Zudem werden an einer Stelle Angaben zur globalen Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutzfläche fälschlich als EU-Zahlen präsentiert. Konkrete Verursacher der Probleme benennt der Beitrag nicht; wirtschaftliche Aspekte, zu denen aktuelle Veröffentlichungen vorliegen, werden nicht einbezogen. Auch sprachlich ist der Text, der etliche Schreibfehler enthält, mitunter weniger gelungen.

Wir verlinken den fast gleichlautenden Text der Berliner Zeitung, da der FR-Beitrag, der unserem Gutachten zugrunde liegt, nicht frei online zugänglich ist.

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Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Verlust fruchtbarer Böden ist ein schwerwiegendes Umweltproblem. Das wird in dem Artikel weder dramatisiert noch heruntergespielt. Insgesamt bleibt der Text recht diffus bezüglich der konkreten Konsequenzen des Bodenverlusts für die Menschen in Europa, daher ist weder Verharmlosung noch übertriebener Alarmismus zu erkennen.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

In dem Text werden Daten genannt, die der Pressemitteilung des grünen Europaabgeordneten Martin Häusling und der von ihm bei der Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste in Auftrag gegebenen Studie entnommen sind. Allerdings haben die einzelnen Angaben ganz unterschiedliche Bezugspunkte: Mal ist von der Menge des Boden die Rede, mal von der Fläche. Eingangs wird die Bodenmenge genannt, die laut Studie jährlich in Europa verloren geht – 970 Mio. Tonnen. Doch wie sich diese Zahl zu den globalen Flächenangaben später im Artikel verhält, bleibt offen. Sinnvoller wäre ein Vergleich mit der Bodenmenge weltweit gewesen: Laut Studie (S. 7) gehen jährlich 24 Milliarden Tonnen Boden durch Erosion verloren. Bei der Aussage, es gingen „jährlich bis zu einem halben Prozent der nutzbaren Böden“ verloren, sollte die Schwankungsbreite bzw. das Ausmaß der Unsicherheit genannt werden (laut Studie 0,3 bis 0,5 Prozent). Hier ist wiederum die Fläche gemeint, was der Studie zu entnehmen ist, nicht aber dem journalistischen Beitrag.
Auch die Zeiträume für die Bildung eines Meters Boden werden nicht verständlich vermittelt: Einerseits soll Boden dreißig bis vierzig Mal schneller schrumpfen als er entsteht, andererseits wird für die Entstehung ein Faktor zehn (zwischen 20.000 und 200.000 Jahre für einen Meter Bodenschicht) als Spanne genannt. Wie beides zusammengeht, erschließt sich aus dem Artikel nicht.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Text stellt klar, dass die wesentlichen Aussagen einer Studie entnommen sind, die im Auftrag der Grünen erstellt wurde. Damit ist auch klar, was die Studie bewirken soll, nämlich den Fokus der öffentlichen Diskussion auf eben dieses Thema zu richten. Die Autorin, die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste, wird genannt, jedoch nicht weiter vorgestellt. Dass sie Leiterin des Büros für Bodenschutz & Ökologische Agrarkultur ist, das solche Expertisen als Dienstleistung anbietet, erfährt man nicht.
Es scheint zunächst, als ob der Text als weitere Quelle die EU-Generaldirektion Umwelt anführt, doch handelt es sich dabei um ein Zitat aus der Beste-Studie, was der Artikel nicht deutlich macht. Eine zweite, unabhängige Quelle wurde also nicht herangezogen.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag fasst lediglich die Inhalte der vorgestellten Studie zusammen. Welche Kontroversen es um das Thema Landnutzung und Bodenverbrauch gibt, wird dabei nicht deutlich. Es fehlt das Pro und Contra zur intensiven oder ökologischen Landwirtschaft; es fehlt die Kontroverse um den Flächenverbrauch durch Siedlung und Verkehr; es fehlen Hinweise auf nationale und internationale Landnutzungskonflikte oder „Land Grabbing“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag stützt sich weitgehend auf Informationen aus der Pressemitteilung. Einige Informationen sind auch der Studie selbst entnommen (etwa die Veranschaulichung der Menge von 970 Mio. Tonnen: „Diese Menge reichte aus, um Berlin um einen Meter anzuheben.“ oder die Angaben zum globalen Bodenverlust). In einigen Punkte ist die Pressemitteilung informativer als der Zeitungsartikel, etwa mit dem Verweis auf Lösungsansätze (siehe Kriterium 7). Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird zwar erkennbar, dass das Problem des Bodenverlusts schon länger besteht, etwa durch die recht allgemeine Formulierung, dass „Bodenverluste schon seit Jahrzehnten anhalten“. Doch seit wann das so ist, und was es dazu jetzt Neues zu berichten gibt – warum z.B. die Studie in Auftrag gegeben wurde – erfährt man nicht.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Text beschränkt sich darauf, eine Problembeschreibung zu referieren und nennt keine Lösungsansätze. Da der Text nicht auf Ursachen der Bodenverluste eingeht (siehe Kriterium 10), können auch kaum konkrete Handlungsoptionen benannt werden. Weder die in der Pressemitteilung kurz angesprochenen Ansätze („EU-Bodenschutzrichtlinie, eine deutlich ressourcenschonendere Agrarpolitik sowie die Förderung von agrarökologischen Ausbildungs- und Beratungsprogrammen“) greift der Beitrag auf, noch andere Handlungsoptionen, die derzeit diskutiert werden (z.B. ein aktuelles Projekt des Umweltbundesamtes zu handelbaren Flächenzertifikaten, die Positionierung des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) zu einer Grundsteuerreform, die den Flächenfraß mindern könnte, oder ein Positionspapier der Grünen, das viele weitere Aspekte auflistet.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Der Schwerpunkt der Studie wie des journalistischen Textes bezieht sich auf die EU. Außerdem werden auch Daten zu den Bodenverlusten weltweit angeführt. Es fehlt allerdings an einer verständlichen Einordnung. Leserinnen und Leser erfahren nichts über die unterschiedliche Betroffenheit verschiedener Länder und Regionen. Wenn zum Beispiel von Hochwassergefahren oder von der Trinkwassergefährdung die Rede ist, wären regionale Beispiele schön gewesen, denn schon innerhalb Deutschlands ist das Thema je nach Region in unterschiedlichem Maße relevant. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Im Beitrag wird angedeutet, dass Probleme mit der Bodenfruchtbarkeit weiter zunehmen werden. Doch konkrete Angaben zur Dynamik der Entwicklung fehlen weitgehend. Wie haben sich der Flächenverbrauch und der Verlust von fruchtbaren Böden in Deutschland und in anderen Ländern den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt? Wie stark hat die Intensivierung der Landwirtschaft zugenommen? Angaben dazu wären zum einen in der Studie zu finden gewesen (z.B. Steigerung der Hektarerträge), zum anderen in leicht zugänglichen aktuellen Quellen wie z.B. dem kürzlich erschienenen Bodenatlas, und den Webseiten des Umweltbundesamts.
Offen bleibt auch, in welchem Maße sich Böden regenerieren können. Interessanter als die eher akademische Angabe, dass die Bildung eines Meters Boden 20.000 bis 200.000 Jahre brauche, wären Informationen zu praktischen Aspekten, etwa: Wie rasch regenerieren sich Böden bei Umstellung auf biologischen Landbau?
Auch der zeitliche Verlauf der Debatte kommt im Beitrag nicht vor. Dass das Thema Landschaftsversiegelung und Flächenfraß schon seit Jahrzehnten diskutiert wird, erfährt man nicht.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Text erweckt häufig den Eindruck, als passiere hier etwas, das keine greifbaren Verursacher hat, etwa mit Satzkonstruktionen, wie: „EU-weit verwandeln sich jedes Jahr land- und forstwirtschaftliche Flächen von der Größe Berlins in städtische Siedlungsräume.“ Hier wäre aus journalistischer Sicht eine Aktivkonstruktion nötig, denn die Menschen verwandeln etwas, Landschaft verwandelt sich nicht von selbst. Die politische Dimension wird damit tendenziell ausgeblendet.
Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Bodenverlusts werden lediglich in sehr allgemeinen Formulierungen angerissen („mehr Landflucht und Hungernde“) und nicht einmal exemplarisch ausgeführt. Dabei ist erst im September 2015 der Bericht über die Ökonomie der Bodendegradation „The Value of Land“ erschienen, auf den die Studie von Andrea Beste auch Bezug nimmt. Er enthält umfangreiche Abschätzungen über ökonomische Verluste durch Bodendegradation, sowie Angaben zu den sozialen Folgen von Bodenverlust und Wüstenbildung. Die Beste-Studie enthält außerdem Hinweise auf die ökologischen Folgen des Bodenverlusts, die im Artikel ebenfalls unberücksichtigt bleiben.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema Bodenverluste ist latent aktuell, zumal im zu Ende gehenden „UN-Jahr des Bodens“. Die Veröffentlichung der Bodenstudie bietet einen tagesaktuellen Anlass. Das Thema ist zudem dauerhaft relevant.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text wirkt in mancher Hinsicht unstrukturiert. So springt er von der Darstellung der Verhältnisse in der EU zu globalen Angaben und wieder zurück nach Europa. Die dabei gewählten Zahlenbeispiele sind untereinander nicht vergleichbar (siehe auch umweltjournalistisches Kriterium 2), so dass die verschiedenen Angaben eher verwirren. Auch thematisch fehlt ein roter Faden: In der Unterzeile ist von Bodenerosion die Rede. Im Text geht es aber dann häufig weniger um Erosion als um Zersiedelung der Flächen, Versiegelung, Überdüngung, Pestizide u.a.m. Insgesamt vermischt der Beitrag viele Themen, die jedes für sich interessant sind, denen aber ein Text dieser Länge nicht allen gerecht werden kann.
Etliche Formulierungen erscheinen wenig gelungen, etwa „Anders als die wachsende Weltbevölkerung schrumpft die landwirtschaftlich nutzbare Fläche …“. Hinzu kommen Allgemeinplätze wie: „Fruchtbares Land ist im wörtlichen Sinne Grundlage für die Ernährung der Menschen“ und diverse Schreibfehler (z.B. „die grüne Europaangeorndete Martin Häusler“).

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Aussagen der EU Generaldirektion Umwelt zur Abnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind falsch wiedergegeben. Zum einen beziehen sie sich laut Studie auf den ganzen Erdball, und nicht auf Europa, wie es im Artikel fälschlich heißt. Zum zweiten sind die 1000 Quadratmeter pro Person nicht heute schon erreicht, sondern werden für 2050 befürchtet. (Siehe S. 13 der Studie).

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Abwertung wegen zwei nicht erfüllter allgemeinjournalistischer Kriterien.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar