Bewertet am 6. Oktober 2015
Veröffentlicht von: Stuttgarter Zeitung

In einem Abschnitt des Neckars gebe es nach einem Renaturierungsprojekt wieder mehr Fische, berichtet die Stuttgarter Zeitung. Wie viele es genau sind, solle künftig mit einem elektronischen Gerät gemessen werden. Vorliegende und frei verfügbare Veröffentlichungen zur Bestandsentwicklung und zur Zuverlässigkeit des vorgestellten Geräts bezieht der Beitrag dabei nicht ein.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der Stuttgarter Zeitung nimmt eine regionale Veranstaltung – den „Neckartag“ – zum Anlass, das Thema Renaturierung von Gewässern aufzugreifen. Speziell wird über ein Gerät zum Zählen von Fischen berichtet, das bei dieser Gelegenheit vorgestellt wurde. Der Artikel lässt verschiedene Beteiligte zu Wort kommen, vom Vorsitzenden des württembergischen Anglervereins über einen Fischereibiologen bis zu Vertretern der Herstellerfirma und der Stadt Ludwigsburg. Über die vorliegenden Pressemitteilungen geht er damit deutlich hinaus.

Allerdings werden viele Dinge im Artikel nur angerissen, ohne sie näher auszuführen: Welche Vor- und Nachteile das vorgestellte Gerät hat, erfährt man nicht, obwohl dazu eine aktuelle Veröffentlichung der Bundesanstalt für Gewässerkunde vorliegt. Unklar bleibt auch die Situation, in der es eingesetzt werden soll: Wie stark die Zahl der Fische vor der Renaturierung zurückgegangen ist, und welche Anhaltspunkte es dafür gibt, dass sie wieder steigt, berichtet der Beitrag nicht; eine vorliegende Bestandsaufnahme bleibt unerwähnt. Auch der politische Kontext – etwa die Wasserrahmenrichtlinie der EU – wird nur angedeutet und bleibt daher wohl unverständlich für Leserinnen und Leser ohne spezielle Vorkenntnisse. Die Kosten des Geräts für das Fischmonitoring werden genannt, allerdings nicht in Beziehung gesetzt zu den Gesamtkosten der Renaturierung dieses Flussabschnitts.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag berichtet, dass in einem bestimmten Abschnitt des Neckars neben einer Schleuse ein tunnelförmiges Gerät installiert wurde, das berührungsfrei die hindurch schwimmenden Fische erfasst. Die Tiere werden gezählt und auf Video aufgezeichnet, sodass auch die Fischgrößen und -arten bestimmt werden können. Die Funktionsweise des digitalen Geräts, das eine isländische Firma entwickelt hat, wird knapp beschrieben. Im Beitrag wird ferner erwähnt, dass die Fischbestände am mittleren Neckar sich offenbar stark erholt haben, genaue Zahlen aber mit diesem Gerät erst erhoben werden sollen. Somit wird der Erfolg der Renaturierung zwar positiv (z.B. auch mit der Überschrift) aber nicht übertrieben euphorisch dargestellt; auch sonst die ist die Wortwahl sachlich.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

„Dass die Fischbestände gewachsen sind, seit es diese sogenannte Umgehungsgerinne gibt, ist bekannt“, heißt es im Beitrag. Worauf sich diese Aussage stützt, bleibt offen. Liegen ihr Beobachtungen des Anglervereins zugrunde? Wurde mit herkömmlichen Methoden (Reuse) gezählt? Geschätzt? Von wem? Die Pressemittelung macht dazu etwas genauere Angaben („Sowohl die Artenanzahl als auch die Individuendichte hat deutlich zugenommen. Während es vor dem Bau nur elf heimische Arten waren, ist die Anzahl auf 23 angestiegen.“). Aber auch damit bleibt offen, wie die Zahlen ermittelt wurden.
Dass vor dem Renaturierungsprojekt 2012 eine Bestandsaufnahme durchgeführt wurde, die einen Vergleich zulässt, kommt im Text nicht vor. Auch zur Qualität des Fischzählgeräts fehlen jegliche Daten. Laut einem aktuellen Bericht der Bundesanstalt für Gewässerkunde erkennt das Gerät nur größere Fische, kleine Exemplare entgehen ihm häufig. Da es aber alles in allem billiger und für die Fische schonender ist, sie mit dem Gerät zu überwachen, als sie etwa zum Zählen in Reusen zu fangen, hat das Bundesamt diese Nachteile in Kauf genommen – das wären interessante Informationen gewesen.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Quellen für die meisten Aussagen im Text werden benannt: Der Vorsitzende des Anglervereins, der Fischereibiologie Ralf Haberbosch, der im Auftrag der Stadt Ludwigsburg tätig ist, ein Vertreter der Firma, die das Gerät zum Zählen der Fische herstellt und ein Beschäftigter der Stadt. Die jeweiligen Interessenlagen müssen dazu nicht weiter erläutert werden, besondere Interessenkonflikte sind für uns nicht zu erkennen. Etwas diffus bleibt, wie die verschiedenen Akteure zusammenwirken: Der Anglerverein hat offenbar über das Gerät entschieden, das dann aus öffentlichen Mitteln bezahlt wird – das hätte etwas genauer erläutert werden können. Auch nennt der Text keine Quelle für die Aussage, dass sich die Fischbestände erholt hätten (siehe Kriterium 2). Außerdem hätten wir uns gewünscht, dass die o.g. Studie zur Bestandsanalyse vor der Renaturierung erwähnt worden wäre, die der Fischereibiologie Haberbosch gemeinsam mit Kollegen im Auftrag des Verbands für Fischerei und Gewässerschutz in Baden-Württemberg erstellt hatte. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Im Wesentlichen geht es um den Einsatz eines Fischzählgerätes – hier fehlen zwar Angaben zu den methodischen Grenzen (siehe Kriterium 2, Belege), doch scheint es keine grundsätzliche Kontroverse zum Verfahren zu geben. Die übergeordnete Frage, ob es sinnvoll ist, ein Gewässer zu renaturieren, wird im Text nicht angesprochen und hätte hier auch zu weit geführt. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Offenbar wurde der „Neckartag“ mit der Vorführung des Fischzählgerätes besucht und dort mit verschiedenen Experten gesprochen. Die vorliegenden Pressemitteilungen (Links nicht mehr verfügbar) sind offensichtlich nicht die Hauptquellen für den Beitrag.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird zwar deutlich, dass künftig ein Gerät eingesetzt werden soll, das die – vermutlich gestiegene – Zahl der Fische in dem untersuchten Abschnitt des Neckars bestimmen soll. Ab wann das allerdings geschehen soll, erfährt man nicht. Auch bleibt offen, ob es sich um ein grundsätzlich neues Gerät handelt, oder ob es anderswo bereits eingesetzt wird (nach Firmenangaben in Deutschland seit 2006). Es fehlt auch jeder Bezug darauf, was über den Zustand des Flusses vor der Renaturierung bekannt ist (Zustandsbericht von 2012).

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Es wird ein Gerät vorgestellt, das zur Erfolgskontrolle eines Renaturierungsprojekts eingesetzt werden soll. Das kann man als Teil eines Lösungsansatzes sehen. Auch heißt es, die Renaturierung solle bei positivem Ergebnis des Zählprojektes an „anderer Stelle fortgesetzt werden.“ Über die Renaturierung selbst, die ja mehr umfasst als die Umgehung einer Schleuse, erfährt man indes wenig; wie es beispielsweise dazu kam, dass sich auch Vögel und Pflanzen vermehrt haben – wie am Ende erwähnt – wird im Text nicht erklärt. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass es um eine Renaturierung am mittleren Neckar („Ludwigsburger Zugwiesen“) geht. Auch wird erwähnt, dass die Lösungsansätze auf andere Flussabschnitte übertragen werden könnten. Kurz – wenn auch weitgehend unverständlich, (siehe Kriterium 10, Kontext) – nimmt der Text auf EU-Regelungen Bezug, die dem ökologischen Umbau zugrunde liegen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Zeitrahmen bleibt an vielen Stellen unklar. Es soll „mindestens fünf Jahre lang“ ein neues Fischzählgerät eingesetzt werden – aber ab wann genau, erfährt man nicht. Es wurde eine Umgehung für die Schleuse gebaut, doch bleibt offen, wann das war. Die Fischbestände sind erst zurückgegangen (wie stark in welcher Zeitspanne?), dann sind sie wieder gewachsen – doch seit wann, erklärt der Text nicht. Über welchen Zeitraum das Renaturierungsprojekt insgesamt stattgefunden hat, bleibt unklar, ebenso wie die Frage, wie weit der bis 2025 geplante ökologische Umbau der Neckarufer insgesamt bereits gediehen ist.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Text nennt gleich zweimal die Kosten für das vorgestellte Fischzählgerät von 58.000 Euro. Doch fehlt jede Einordnung in die Gesamtkosten des Renaturierungsprojekts „Zugwiesen“, die laut Angaben der Stadt Ludwigsburg schon bis 2012 rund 8 Mio. Euro betrugen.
Es fehlt der Hintergrund, warum die Fischbestände im Neckar so stark zurückgegangen waren (Stichworte Kanalisierung, Flussbegradigung …). Dass die Angler sich 2012 über Fangrückgänge beklagt haben, was das für die Region, das Vereinsleben, den Fluss bedeutet – solch ein größerer thematischer Radius wird nicht einbezogen.

Der politische Rahmen, in dem das Projekt stattfindet, ist im Beitrag nur vage angedeutet. So fehlt die Hintergrundinformation, dass aufgrund der europäischen Wasserrahmenrichtlinie ein politischer Handlungsbedarf zur Renaturierung besteht. Der vorhanden Hinweis auf die EU ist ohne Vorwissen nicht verständlich („Da das Regierungspräsidium Stuttgart per EU-Beschluss dafür sorgen muss, dass die Ufer des Neckars in seinem Bereich bis 2025 ökologisch umgebaut werden….“). Wir werten „knapp nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Es gibt mit dem „Neckartag“ einen aktuellen regionalen Anlass. Das Thema Gewässerrenaturierung ist zudem langfristig aktuell.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist routiniert geschrieben und flüssig zu lesen. Er stellt ein Gerät zum Fisch-Monitoring in den Mittelpunkt, das den meisten Leserinnen und Lesern unbekannt sein dürfte, und nimmt dessen Vorstellung zum Anlass, das Thema Gewässerrenaturierung aufzugreifen. Dabei werden allerdings die übergreifenden Umweltzusammenhänge nur angerissen und nicht immer verständlich dargestellt. Einige sprachliche Mängel sind anzumerken: So fehlt ein Wort im Satz „Ist das Renaturierungsprojekt bei den Zugwiesen erfolgreich, kann es anderer Stelle fortgesetzt werden.“ Unschön ist die Wortwiederholung „auf wenige eng begrenzte Flussabschnitte begrenzt“; „Und zwar so …“ ist kein gelungener Satzanfang. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Beitrag enthält eine kleine Ungenauigkeit: Erwähnt werden „Meeresforellen“, die Fischart heißt aber „Meerforelle“. Ansonsten sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar