Bewertet am 19. Mai 2015
Veröffentlicht von: stern.de

Wölfe vermehren sich in Deutschland und wandern in immer mehr Regionen ein. Der Beitrag auf stern.de greift die damit aufkommenden Ängste und Konflikte auf. Er nennt Argumente pro und contra, leistet aber keine tiefergehende Analyse.

Zusammenfassung

Stern.de nimmt den „Tag des Wolfes“ zum Anlass, sich mit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland zu beschäftigen. Der Beitrag beschreibt einerseits die Probleme, die auftreten können, andererseits zitiert er Experten, die der Rückkehr des Wolfes überwiegend positiv gegenüberstehen. Die möglichen Gefahren für den Menschen werden in Form von eher anekdotischen Begebenheiten dargestellt, die Experten argumentieren dagegen, dass die Gefahren gering und beherrschbar seien. Insgesamt streift der Text ein buntes Spektrum an Aspekten rund um den Wolf. Gelungen ist dabei eine Infografik, die Einwanderung und Ausbreitung der Tiere darstellt. Ansonsten bietet der Beitrag relativ wenige Fakten und Hintergründe bzw. belegt diese nicht mit nachprüfbaren Quellen. Problematisch finden wir, dass der Beitrag vor allem die (seltenen) Begegnungen zwischen Menschen und Wölfen in den Vordergrund stellt, während die realen Probleme der Schäfer und Landwirte nur kurz erwähnt werden. Lösungsansätze für Konflikte zwischen Mensch und Wolf werden nur sehr kursorisch genannt. Wer sich eine Meinung zum Thema bilden möchte, findet kaum konkrete Angaben, etwa zu den Gefahren für Nutztiere und den möglichen wirtschaftlichen Schäden, oder aber zum ökologischen Nutzen des Beutegreifers. Insgesamt ist der Beitrag eine nette Lesegeschichte, die einen Überblick über das Thema bietet, zweifelnden, unentschlossenen Leserinnen und Lesern aber letztlich wenig Orientierungshilfe gibt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Online-Beitrag stellt anhand von Beispielen dar, wie Wölfe und Menschen aufeinandertreffen, seit die Tiere hierzulande wieder heimisch werden. Einerseits werden Situationen geschildert, in denen Menschen „unheimliche Begegnungen“ mit Wölfen hatten, andererseits Experten zitiert, die vor übertriebenen Ängsten warnen. Nicht ganz angemessen finden wir die Gewichtung der Probleme: Der Artikel rückt die Begegnungen zwischen Mensch und Wolf als potenziell bedrohlich in den Vordergrund etwa mit den „Tipps für Rotkäppchen“, während die Probleme von Landwirten und Schäfern eher zu kurz kommen. Hier wäre der Verweis auf eine Studie angebracht gewesen, die ergab, dass Wölfe nur extrem selten Menschen angreifen, und dass es sich in diesen Fällen meist um Tiere handelte, die an Tollwut erkrankt waren.
Der Artikel verweist gleichzeitig darauf, dass Wölfe helfen können, zu hohe Wildbestände zu reduzieren. Insgesamt beschreibt er vor allem den Diskussionsstand, ohne selbst eine eindeutige Bewertung vorzunehmen. Etwas unangemessen finden wir den Begriff „Blutbäder“ wenn es um von Wölfen gerissene Schafe geht.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Faktenangaben beschränken sich vor allem darauf, die Einwanderung und Ausbreitung des Wolfes in Deutschland zu beschreiben. Wie diese Erkenntnisse gewonnen wurden, und wie gut sie belegt sind, bleibt offen. Interessant wären Statistiken aus Regionen gewesen, wo der Wolf lebt: Wie hoch sind die nachgewiesenen Schäden an Nutztieren? Wie oft kommt es vor, dass Wölfe sich Spaziergängern nähern? Wie wirksam sind die vorgeschlagenen Verhaltensweisen bei Wolfbegegnungen? Hier beschränkt sich der Beitrag auf anekdotische Schilderungen. Äußerungen wie die des Experten Günther Bloch („Ich erkenne sie an ihrem superschlauen Blick, der zugleich verrät, dass sie so gar keinen Plan haben.“) werden nicht eingeordnet (siehe auch Kriterium 3). Ob solche Typisierungen eine wissenschaftliche Grundlage haben, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Offen bleibt auch, woher die Angabe stammt, dass „die Mehrheit der Deutschen“ zum Zusammenleben mit dem Wolf bereit sei.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Hintergrund der zitierten Personen wird nicht in allen Fällen ausreichend beschrieben. So wird der Wolfs- und Hundeexperte Günther Bloch als „Verhaltensforscher“ eingeführt. Bloch ist Gründer der „Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V.”, Autor zahlreicher Bücher, und arbeitet als Verhaltensbeobachter freilebender Wölfe im Yellowstone Nationalpark, doch ist er von seinem Werdegang her kein Wissenschaftler. Vom FDP-Politiker Gero Hocker, der für seine klimaskeptische Positionen (siehe hier) kritisiert wird, hätte man gerne gewusst, was genau ihn zu einem Umweltexperten macht.
Außerdem wird der Zoodirektor Michael Böer als Experte zitiert, doch ohne seine Profession als Veterinärmediziner zu nennen und ohne Bezug auf konkrete Forschungsarbeiten. Insgesamt  sind die Aussagen des Beitrags zu wenig durch nachprüfbare Quellen gestützt.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag lässt einerseits Experten zu Wort kommen, die die Rückkehr des Wolfes befürworten; er stellt andererseits Einzelfälle vor, in denen es zu Komplikationen kam. Insofern sind beide Seiten der Diskussion um die Rückkehr des Wolfes vertreten. Auch die Diskussion um das Jagdrecht wird zumindest kurz erwähnt. Aber am Ende bleiben Leserinnen und Leser doch ratlos, da beide Positionen nebeneinander stehen und keines der Argumente pro oder contra wirklich hinterfragt und analysiert wird. Interessant wäre es gewesen, einen Wolfsgegner und einen Befürworter aufeinander treffen zu lassen, bzw. diese mit den Argumenten der jeweils anderen Position direkt zu konfrontieren. Wer sich anhand von Fakten eine eigene Meinung bilden will, erhält dafür in diesem Beitrag zu wenig Informationen. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Zum Anlass des Artikels, dem „Tag des Wolfes“ liegt eine Pressemitteilung des Naturschutzbunds (Nabu) vor. Der Beitrag geht weit darüber hinaus, greift Fallbeispiele von Begegnungen zwischen Mensch und Wolf auf und zitiert mehrere Experten.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht gleich zu Beginn klar, dass der alljährlich stattfindende „Tag des Wolfes“ der Anlass für den Beitrag ist. Aus diesem Grund wird der Stand der Dinge zusammengefasst, wobei deutlich wird, dass es sich um eine schon länger andauernde Diskussion handelt.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Für ein allgemein akzeptiertes Zusammenleben von Mensch und Wolf sind Lösungen für Wolf-Mensch-Konflikte von entscheidender Bedeutung. Gemessen daran kommt dieser Punkt im Beitrag zu kurz. „Zuschüsse für Schutzzäune, Herdenschutzhunde und Entschädigung für gerissene Tiere“ werden zwar kurz aufgelistet, doch wird nicht erläutert, wo welche Maßnahmen eingesetzt werden, und was sie jeweils bewirken können. Auch was es mit dem Vorschlag einer „bezuschussten Versicherung gegen Wolfsschäden“ auf sich hat, erklärt der Beitrag nicht. Die Diskussion darüber, was der Wolf für die Landwirtschaft bedeutet, wird im Beitrag gar zu knapp angesprochen: Man müsse „Schutzmaßnahmen ergreifen für das Weidevieh auf den Almwiesen“ heißt es, aber es bleibt offen, wie diese aussehen sollen. Dürftig sind auch die Tipps für Verhaltensweisen bei Wolfsbegegnungen (den Anführern „fest in die Augen schauen“). Es fehlen Informationen über das Wolfsmanagement und die Aufklärungsarbeit der Naturschutzverbände.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag zeigt anhand einer gut verständlichen Infografik, woher der Wolf nach Deutschland eingewandert und wo er bereits wieder zuhause ist. Es wird dargestellt, in welche Richtung der Wolf sich derzeit ausbreitet, und welche Gebiete in Deutschland er prinzipiell besiedeln könnte. Zusätzlich interessant wäre gewesen, wie andere Länder, die größere Wolfspopulationen besitzen, mit diesem Thema umgehen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag beschreibt, wie die ersten Wölfe Ende der 90er Jahre in der Lausitz gesichtet wurden und sich seither vermehren und ausbreiten. Allerdings fehlen Prognosen über die Bestandsentwicklung, die hier wichtig gewesen wären, zumal die Warnung eines FDP-Politikers zitiert wird, der Wolf dürfe sich nicht „explosionsartig ausbreiten“. Ist eine solch dramatische Ausbreitung tatsächlich zu erwarten, oder gibt es ein natürliches Regulativ? Zusätzlich interessant wären Informationen zur historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Debatte gewesen: Wie hat man das Aussterben des Wolfes in Deutschland vor 150 Jahren wahrgenommen? Seit wann empfinden viele Menschen die Rückkehr des Wolfes wieder als Gewinn? Wir werten insgesamt „knapp nicht erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag bezieht sich auf soziale und ökologische Fragen, ohne dazu konkrete Daten und Informationen zu liefern, etwa zu den Folgen für die Landwirtschaft: Wie hoch sind die bislang tatsächlich eingetretenen Schäden, und welche Entwicklung wäre bei weiterer Ausbreitung des Wolfs zu erwarten? Unter welchen Bedingungen werden Entschädigungen gezahlt? Welche ökologischen Vorteile hat andererseits die Rückkehr des Wolfs, etwa für die Stabilisierung der Wildbestände? Die Diskussion um eine Aufweichung des Jagdverbots, die in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen geführt wird, reißt der Beitrag ohne weitere Erläuterung nur an.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist relevant, es wird in vielen Regionen in Deutschland diskutiert und nimmt an Bedeutung zu, da sich die Wölfe weiter ausbreiten. Zudem gibt es mit dem „Tag des Wolfes“ am Datum der Veröffentlichung einen aktuellen Anlass.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Die Sprache ist zumeist klar und verständlich. Missglückt scheint uns allerdings die Formulierung „Schar der Immigranten aus dem Osten“, die an die Zuwanderung von Menschen erinnert, ohne dass hier tatsächlich eine Parallele zu ziehen wäre. Außerdem ist das nur bedingt zutreffend, da die Wölfe nicht scharenweise einwandern, sondern sich vor allem hierzulande vermehren.

Durch eine Mischung aus Episoden von Betroffenen, Experten und politischen Akteuren werden unterschiedliche Betrachtungsweisen des Themas vorgestellt. Somit ist der Artikel leicht lesbar, wenn auch passagenweise eher eine Aneinanderreihung von Aspekten, bei der der rote Faden nicht immer erkennbar ist. An einigen Stellen verliert sich der Text in Anekdoten, die dann nicht durch entsprechende Analysen erläutert werden. Ein ärgerlicher Rechtschreibfehler im Teaser („Tolleranz“) wurde inzwischen korrigiert.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar