Bewertet am 31. März 2015
Veröffentlicht von: Nürnberger Nachrichten

Die Nürnberger Nachrichten greifen eine Studie auf, die bei Handwerksbetrieben deren Beurteilung der Energiewende abgefragt hat. Der Artikel übernimmt weitgehend die Sichtweise der Handwerkskammer als Auftraggeber der Studie, eine kritische externe Einschätzung der Ergebnisse fehlt.

Zusammenfassung

Der Artikel in den Nürnberger Nachrichten beschäftigt sich in sachlichem Ton mit einer Studie der Technischen Hochschule Nürnberg und der Energieagentur Nordbayern im Auftrag der Handwerkskammer für Mittelfranken, in der die Einschätzung des Handwerks zur Energiewende in der Region untersucht wird. Er macht deutlich, dass es zu dem Thema – je nach Branche – unterschiedliche Einschätzungen gibt.

Als gravierenden Mangel werten wir, dass der Artikel die Aussagekraft der Umfrage-Ergebnisse nicht hinterfragt. So wird nicht berichtet, dass nur etwa ein Drittel der Handwerksbetriebe in der Region überhaupt angefragt wurde; die geringe Rücklaufquote von 13 Prozent erwähnt der Beitrag zwar am Rande, macht aber nicht deutlich, wie sehr diese die Aussagekraft der vorgestellten Ergebnisse einschränkt. Ein Vergleich der Studie mit anderen regional und überregional vorliegenden Untersuchungen fehlt. Ebenso wenig erfahren wir etwas über eine zeitliche Entwicklung des Sachverhalts.

Insgesamt übernimmt der Artikel weitgehend die Perspektive des Auftraggebers der Studie, externe Einschätzungen fehlen. Wir hätten uns eine tiefergehende Analyse der Studienergebnisse und eine kritische Beurteilung der Methoden gewünscht. Unklar ist, ob beim Verfassen des Artikels die Originalstudie überhaupt herangezogen wurde – öffentlich zugänglich ist diese jedenfalls nicht. Auch auf Anfrage wurde dem Medien-Doktor die Studie nicht zur Verfügung gestellt, da die Handwerkskammer „grundsätzlich entschieden“ habe, „auf eine solche Herausgabe zu verzichten“. Äußerst kritisch sehen wir es, über interessengeleitete Auftragsforschung an einer öffentlich finanzierten Hochschule zu berichten, ohne die mangelnde Transparenz bei der Veröffentlichung der Ergebnisse anzusprechen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Artikel berichtet in sachlichem Ton über eine Studie der Technischen Hochschule Nürnberg und der Energieagentur Nordbayern im Auftrag der Handwerkskammer für Mittelfranken zur Auswirkung der Energiewende auf die Handwerksbetriebe der Region. Er referiert dabei zwar die überwiegend negative Einschätzung des Auftraggebers zur Energiewende, vor allem die hohen Kosten für bestimmte Betriebe, spricht aber auch positiven Auswirkungen auf Handwerksbetriebe an, die „Produkte und Dienstleistungen rund ums Energiesparen“ anbieten.

Unangemessen finden wir die Überschrift: „Heißes Thema für Handwerksbetriebe“. Angesichts dessen, dass sich nur 13 Prozent der angefragten Betriebe überhaupt an der Umfrage beteiligten haben, könnte man genauso gut titeln: „Kaum Interesse am Thema Energiewende.“ Auch die Aussage „Das Thema Energiepreise brennt vielen Handwerkern auf den Nägeln“ scheint angesichts der geringen Rücklaufquote zumindest fragwürdig. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Dem Artikel liegt eine Studie zugrunde, bei der 7200 Handwerksbetriebe angefragt wurden. Eine fett gedruckte Zwischenüberschrift erweckt den Eindruck, dass sich die Ergebnisse auf diese Zahl von Betrieben beziehen. Erst einem Nebensatz im letzten Drittel des Beitrags ist zu entnehmen, dass die Rücklaufquote nur 13 Prozent betrug, d.h. die Basis sind lediglich 936 Betriebe. Laut öffentlich zugänglicher Zusammenfassung der Studie (die Langfassung ist nicht öffentlich und wurde auch auf Anfrage nicht zur Verfügung gestellt) gibt es in der Region aber über 22.000 Handwerksbetriebe. Leserinnen und Leser erfahren weder, dass überhaupt nur etwa ein Drittel davon angefragt, noch nach welchen Kriterien diese ausgewählt wurden. Ob die wenigen antwortenden Handwerker repräsentativ für die Region sind (etwa was den Anteil energieintensiver Betriebe betrifft, und den Anteil von Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten) bleibt unklar.

Wenn z.B. 60 Prozent der antwortenden Unternehmen mehr Risiken als Chancen in der Energiewende sehen, wie es im Beitrag heißt, stecken dahinter lediglich 562 Betriebe. Auf die Gesamtzahl der angefragten Unternehmen bezogen, hätten nur 7,8 Prozent diese Ansicht geäußert. Insgesamt haben die vorgestellten prozentualen Werte eine weit geringere Aussagekraft, als der journalistische Beitrag suggeriert. Hier hätten unseres Erachtens die absoluten Zahlen und deren Relation zur Gesamtzahl der Handwerksbetriebe in der Region genannt werden müssen.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Artikel berichtet über eine Studie, die im Auftrag der Handwerkskammer für Mittelfranken von der TH Nürnberg und der Energieagentur Nordbayern durchgeführt wurde. Diese entscheidenden Player sind korrekt genannt. Dass die Handwerkskammer ein Eigeninteresse am Thema hat, erschließt sich unmittelbar. Bei der Energieagentur Nordbayern fehlt indes der Hinweis, dass die Energieagentur u.a. den Auftrag hat, die Energiewende zu fördern.

Vier Personen in dem Artikel werden namentlich erwähnt, alle gehören zu einer der drei oben erwähnten Organisationen. Allerdings wird das nicht immer deutlich: Michael Fraas z.B. wird als „Wirtschaftsreferent und Vorsitzender der Kompetenzinitiative Energieregion Nürnberg“ zitiert, ist aber gleichzeitig auch Beiratsvorsitzender der Energieagentur Nordbayern, die die Studie mit durchgeführt hat. Auch Wilhelm Scheuerlein, zitiert als Energieexperte, ist kein unabhängiger Fachmann, sondern Angestellter der Handwerkskammer Mittelfranken, die die Studie in Auftrag gegeben hat. Im Artikel kommt somit kein unabhängiger Experte vor; für Leserinnen und Leser ist das nicht ersichtlich.

Offenbar hat die Handwerkskammer eine Studie in Auftrag gegeben und nutzt deren Ergebnisse dazu, die eigenen Anliegen zu befördern: „Senkung der Steuer- und Abgabenlast“ sowie ein „technologieoffenes Förderprogramm“. Aus Sicht der Kammer ist das völlig legitim; Aufgabe eines journalistischen Beitrags wäre es jedoch gewesen, diese Zusammenhänge klar zu machen und auch andere Perspektiven einzubeziehen. Die mangelnde Quellentransparenz (sprich: das unter Verschluss halten der Originalstudie) durch die Auftraggeber lässt die Ergebnisse bereits in einem fragwürdigen Licht erscheinen.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

„Was bedeutet die Energiewende fürs regionale Handwerk?“, fragt der Artikel im Teaser, und diese Frage wird von verschiedenen Seiten beleuchtet. Zum einen thematisiert der Artikel die Probleme von energieintensiven Betrieben (z.B. Bäckereien), zum anderen nennt er die Chancen für Hersteller von Produkten und Dienstleistungen rund ums Energiesparen. Dies wird auch in den angeführten Zahlen deutlich. So nennen 58,7 Prozent der befragten mittelfränkischen Betriebe die Senkung der Steuer und Abgabenlast „als zentrale Maßnahme künftiger Energiepolitik. Zugleich bejahen 54,7 Prozent den Ausbau erneuerbarer Energie, lediglich 4,8 Prozent plädieren für mehr konventionelle Kraftwerke.“ Auch wenn die gestiegenen Energiekosten betont werden, macht der Beitrag klar, dass „das Handwerk“ keine einheitliche Position zum Thema hat – abgesehen vom Wunsch nach mehr Beratung.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Artikel gibt im Wesentlichen den Inhalt einer Pressemitteilung der Handwerkskammer für Mittelfranken wieder, geht allerdings in einigen Punkten darüber hinaus. Insbesondere erwähnt er die Zahl der angefragten Betriebe und – wenn auch ohne entsprechende Einordnung der Ergebnisse – die Rücklaufquote. Diese Zahlen wurden offenbar direkt bei den Verantwortlichen angefragt, denn sie fehlen in der Zusammenfassung der Studie.
Das Gespräch mit der Autorin Birgit Eitel von der Technischen Hochschule Nürnberg, hätte allerdings unserer Meinung nach besser genutzt werden können, um die Studie kritisch zu hinterfragen.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Dass die Energiewende ein schon länger laufender Prozess ist, um den immer wieder diskutiert wird, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Hier wird anhand einer offenbar neueren Studie die Sicht von Handwerksbetrieben ins Zentrum gerückt. Ob es vergleichbare Untersuchungen schon gab – (siehe z.B. hier) – bzw. wie sich die hier vorgestellte Studie möglicherweise von früheren Untersuchungen unterscheidet, erläutert der Beitrag nicht. Eine Stellungnahme des Zentralverbands des Deutschen Handwerks zur Energiewende aus dem Februar 2014 (Link nicht mehr verfügbar) wird nicht erwähnt. Man erfährt auch nicht, wann die hier vorgestellte Studie durchgeführt, abgeschlossen und wann sie der Öffentlichkeit vorgestellt wurde; der Neuigkeitswert bleibt insgesamt unklar.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag nennt einige Lösungsmöglichkeiten für die Probleme des Handwerks, zum Beispiel die Forderung nach einer Senkung der Steuer- und Abgabenlast. In den betreffenden Absätzen wird auch die Forderung der Kammer transportiert, Handwerksbetriebe von der Ökostromumlage zu befreien. Zum anderen wird der Bedarf der Betriebe an Weiterbildungsangeboten thematisiert, etwa zu den Themen energetische Gebäudesanierung, erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Ein Sprecher der Handwerkskammer wird mit der Aussage zitiert, dass es Pläne gebe, entsprechende Schulungsangebote auszuarbeiten. Etwas zusammenhanglos werden auch Stromtrassen zur Sicherung der Versorgungssicherheit genannt. Diese Beispiele sind nicht weiter ausgeführt und lesen sich eher wie eine Wunschliste des Handwerks; dennoch werten wir „erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Es wird klar, dass sich die Studie auf Handwerksbetriebe in Mittelfranken bezieht. Allerdings erfahren Leserinnen und Leser nicht, ob diese Region durch ihre spezifische Zusammensetzung der Gewerke repräsentativ für Bayern oder gar Deutschland ist. Eine Häufung energieintensiver Betriebe würde vermutlich die durchschnittliche Bewertung der Energiewende verschlechtern, während eine Ballung energie- und umwelttechnischer Firmen den gegenteiligen Effekt hätte. Jeder Verweis auf Umfragen in anderen Regionen fehlt (siehe z.B. hier).

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag nennt zwei zeitliche Angaben, nämlich den Vergleich der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2006 und 2014 sowie die Information, dass die Umfrage unter Handwerksbetrieben sich auf deren Einschätzung der Energiepolitik der letzten zwei Jahre bezog.

Ansonsten aber fehlen wichtige zeitliche Angaben. So wird der Untersuchungszeitraum nicht genannt (Oktober 2013 bis August 2014 laut Angaben der TH Nürnberg, Link nicht mehr verfügbar). Das liegt zwar noch nicht allzu weit zurück, wäre aber u.a. wegen der schwankenden Strompreise eine wichtige Information gewesen.

Weder die Studie (jedenfalls laut ihrer zugänglichen Kurzfassung) noch deren journalistische Aufarbeitung gehen darauf ein, ob sich das Stimmungsbild zur Energiewende, die Eigenerzeugung von Energie, die Zahl und Menge von Produkten und Dienstleistungen in der Energie oder die Energieeffizienz in den Unternehmen in den vergangenen Jahren verändert haben. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer wird zwar mit der Aussage zitiert, dass sich die Ökostromumlage in den vergangenen Jahren erhöht hat. Diese Aussage wird aber im Artikel nicht eingeordnet, und jeder Ausblick auf zukünftige Entwicklungen fehlt – etwa ein Verweis darauf, dass der Anstieg der Umlage in den kommenden Jahren voraussichtlich wesentlich geringer sein wird als in der Zeit seit 2006, da die Einspeisevergütung für Fotovoltaikanlagen gekappt wurde.

10 Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag referiert Zahlen aus der Studie und beschreibt die Position der Handwerkskammer als Auftraggeber, ohne die Daten und deren Interpretation in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Zwar werden Einschätzungen zu wirtschaftlichen Folgen der Energiewende genannt, doch eine tiefergehende Analyse oder gar eine Gegenüberstellung finanzieller Vor- und Nachteile der Energiewende für die Handwerksbetriebe findet nicht statt; Zahlen dazu nennt der Beitrag nicht.

Interessant wäre in dem Zusammenhang beispielsweise gewesen, warum die EEG-Umlage so exorbitant steigt (u.a., weil so viele große Industrieunternehmen von der Umlage befreit sind). Auch die politischen Debatten zum Thema Energiewende spielen hier eine Rolle und hätten erwähnt werden sollen.

Offenbar das Handwerk eine Studie in Auftrag gegeben und veröffentlicht, die vor allem dazu dient, die eigenen Interessen zu befördern: „Senkung der Steuer- und Abgabenlast“ sowie ein „technologieoffenes Förderprogramm“. Aus Sicht der Handwerkskammer ist das legitim, aus Sicht der Wissenschaft ist es bereits fragwürdig. Aufgabe eines journalistischen Beitrags wäre es, diese Zusammenhänge klar zu machen und andere Perspektiven einzubeziehen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Der Beitrag beschäftigt sich mit einem viel diskutierten Thema, der Energiewende, und blickt dabei auf eine spezielle Branche, das Handwerk. Die Situation der regionalen Handwerksbetriebe ist ein relevantes Thema für eine Regionalzeitung. Die Veröffentlichung der Studie bietet einen aktuellen Anlass, wenn auch die Aktualität im Betrag nicht ausreichend deutlich wird.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist bis auf den etwas deplatziert wirkenden Absatz zum Bau von Stromtrassen klar strukturiert und sprachlich lebendig und verständlich. Wir hätten uns eine tiefergehende Analyse der Studienergebnisse und eine kritische Beurteilung der Methoden gewünscht, werten das Kriterium aber dennoch als erfüllt.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen. Ein Vergleich mit der Langfassung der Studie ist allerdings nicht möglich, da uns diese auch auf Nachfrage bei der TH Nürnberg nicht zugänglich gemacht wurde.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar