Bewertet am 11. September 2014
Veröffentlicht von: Sächsische Zeitung

Die Sächsische Zeitung berichtet über Folgen des Klimawandels und beleuchtet viele Facetten des Themas, vor allem bezogen auf die Region östliches Erzgebirge und Sächsische Schweiz. Die regional differenzierten Daten werden auf dem Portal KlimafolgenOnline.com vom Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) bereitgestellt. Die journalistische Umsetzung weicht von dieser Quelle allerdings mehrfach ab und enthält eine Reihe von fehlerhaften oder übertriebenen Angaben.

Zusammenfassung

Der Beitrag aus der Sächsischen Zeitung wertet ein Internetportal des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) aus und entnimmt diesem Prognosen zu verschiedenen Folgen des Klimawandels für die Region Sächsische Schweiz / Osterzgebirge. Für eine Regionalzeitung ist dies ein prinzipiell guter Ansatz, ein globales Thema für Leserinnen und Leser interessant zu machen und diesen die konkreten Auswirkungen der Erderwärmung vor Augen zu führen. Doch gelingt das hier nur unvollkommen. Zum einen wird das Klimathema im Einstieg mit anderen Problemen (Erdbeben, Tsunamis) unzulässig vermengt. Zum anderen weichen einige im Artikel genannte Zahlen von der Quelle erheblich ab. Vor allem die Grafik zur steigenden Zahl der Sommertage übertreibt die vom PIK zur Verfügung gestellten Angaben grob.

Positiv ist uns aufgefallen, dass im Artikel verschiedene Lösungs-/Anpassungsstrategien angesprochen werden – vor allem der Aspekt der Stadtbegrünung, der in der Klimadebatte aus lokaler Sicht oft wenig Beachtung findet. Die genannten Anpassungen in der Landwirtschaft hätten dagegen genauer hinterfragt werden müssen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag bezieht sich auf ein Portal des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) , das nüchtern in verschiedenen Szenarien die Folgen des Klimawandels für einzelne Regionen darstellt. Die journalistische Auswertung dramatisiert dagegen in vielen Punkten. Der Beitrag stellt dabei übertriebene bzw. falsche Behauptungen auf. So sind die Angaben zum massiven Anstieg der Sommertage im Osterzgebirge, die der Zeitungsartikel mit Überschrift und beigefügter Grafik ins Zentrum stellt, weit höher angegeben, als es den PIK-Webseiten zu entnehmen ist (siehe dazu allgemeinjournalistisches Kriterium 3 „Faktentreue“). Eine Rückfrage des Medien-Doktors UMWELT bei dem im Beitrag zitierten Wissenschaftler Thomas Nocke bestätigte, dass die im Beitrag genannten höheren Zahlen aus den PIK-Szenarien nicht abzuleiten sind.

Auch erweckt der Text den Eindruck, Tsunamis und Erdbeben seien Folge menschlichen Handelns. Zwar wird vom Weltklimarat diskutiert, ob abschmelzende Eisschilde künftig auch zu Bewegungen der Erdkruste führen könnten (siehe z.B. Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaptation, Special Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, 2012, S. 200). Dies jedoch für die Gegenwart als feststehende Tatsache hinzustellen, ist eine drastische Übertreibung.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag bezieht sich auf das Portal KlimafolgenOnline.com (wenn dessen Angaben auch z.T. falsch wiedergegeben werden, siehe oben). Dabei wird zwar deutlich, dass die Angaben des PIK auf unterschiedlichen Szenarien beruhen, die entweder einen guten Klimaschutz (Temperaturanstieg um bis zu 2 Grad) zugrunde legen, oder aber eine ungünstigere Entwicklung (Temperaturanstieg um bis zu 4 Grad). Bei den Zahlen im Artikel (z.B. zu landwirtschaftlichen Erträgen oder zur Sonneneinstrahlung) ist aber nicht immer ersichtlich, welches Szenario jeweils gemeint ist.

Darüberhinaus stellt der Zeitungsartikel eine Reihe unbelegter Behauptungen auf. So wird nicht klar, auf welcher Grundlage Erdbeben und Tsunamis zu den menschengemachten Katastrophen gezählt werden, oder woher die Erkenntnis stammen soll, dass „die meisten“ wetterbedingten Katastrophen menschengemacht seien.

Als Beleg für die Zunahme von Extremereignissen heißt es lediglich: „…berichten die Medien in immer kürzeren Abständen“. Das aber ist höchst fragwürdig: Wenn zum Beispiel die Berichterstattung über Schäden durch Überschwemmungen zunimmt, kann das auch den Grund haben, dass immer mehr in gefährdeten Flussgebieten gebaut wird, oder dass allgemein die Aufmerksamkeit für solche Ereignisse gestiegen ist. Hier wäre eine Differenzierung nötig gewesen.

Auch bei den Lösungsvorschlägen bleibt zum Teil unklar, woher diese stammen. (siehe Kriterium 6. Lösungsvorschläge).

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Beitrag nennt das PIK als Quelle für das Portal „KlimafolgenOnline”. Außerdem werden zwei Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungseinrichtungen befragt. Die Gesprächspartner Thomas Nocke vom PIK und Stefanie Rößler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung werden dabei korrekt vorgestellt. Besondere Interessenkonflikte sind bei den beiden öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen nicht ersichtlich.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es gibt zu den hier dargestellten Forschungen des PIK zu Klimafolgen für Deutschland unseres Wissens derzeit keine wissenschaftlich begründete Gegenposition. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Eine aktuelle Pressemitteilung zu den hier vorgestellten regionalen Daten haben wir nicht gefunden. Über die Nutzung des Datenportals hinaus kommen zwei Experten zu Wort. Auch verweist der Beitrag auf ein lokales Projekt in Pirna.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Mit dem Satz „Das haben Wissenschaftler jetzt erstmals in Langzeitmodellen für einzelne Regionen Deutschlands erfasst und auch für Laien anschaulich dargestellt“ erweckt der Beitrag den Eindruck, als ob das Portal KlimafolgenOnline gerade erst entstanden sei. Tatsächlich wurde das Projekt vor zwei Jahren bei einem großen Kongress in Berlin (Link nihct mehr verfügbar) der Öffentlichkeit vorgestellt, es ist seit Dezember 2012 online zugänglich.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Im Gespräch mit den beiden Wissenschaftlern spricht der Beitrag mögliche Anpassungsstrategien an den Klimawandel an. Allerdings sind diese nicht immer ganz nachvollziehbar, so etwa wenn aus sinkenden Erträgen beim Winterroggen gefolgert wird, künftig sei u.a. Reis anzubauen: Im gleichen Absatz ist vom zu erwartenden Wassermangel die Rede. Damit erscheint es eher zweifelhaft, ob Reis eines Tages zu den sächsischen Erzeugnissen gehören wird. Woher diese Idee stammt (ob beispielsweise vom zuvor zitierten Wissenschaftler), bleibt offen.

Gelungen finden wir den Absatz über die Begrünung der Stadt, da hiermit konkrete Handlungsoptionen vor Ort aufgezeigt werden. Auch der Bezug auf ein lokales Projekt ist eine sinnvolle Ergänzung.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag bemüht sich, die Folgen des Klimawandels in vielen Aspekten (Sommerhitze, Landwirtschaft, Waldbrandrisiko, Fotovoltaik, Schneesicherheit) für die Region zu konkretisieren, in der die Zeitung erscheint. Er macht so deutlich, wie sich das globale Problem regional auswirken könnte.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag beschreibt die prognostizierte Entwicklung des Klimas und dessen Auswirkungen über die kommenden Jahrzehnte und vergleicht diese mit dem gegenwärtigen Zustand. Es wird deutlich, dass sich die genannten Vorhersagen auf die Jahre 2050 bzw. 2100 beziehen.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Bei Folgen der prognostizierten Klimaveränderungen werden zwar an manchen Stellen (z. B. Ernteeinbußen) wirtschaftliche Konsequenzen angesprochen. Doch nennt der Beitrag zu den Kosten der Klimaanpassung keinerlei Zahlen: Wie wichtig etwa ist Winterroggen für die sächsische Landwirtschaft, wie teuer wäre die Umstellung auf andere Ackerfrüchte? Könnten die Verluste durch veränderte Sorten langfristig aufgefangen werden? Auch andere gesellschaftlich relevante Fragestellungen werden zu wenig beachtet – etwa: wirtschaftliche Schäden durch höheres Waldbrandrisiko oder die Bedeutung von Trockenheit für die Wasserversorgung der Region.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema Klimafolgen ist relevant. Dieses auf eine Region herunterzubrechen ist ein Ansatz, der es für Leserinnen und Leser interessant machen kann. Einen aktuellen Anlass können wir allerdings nicht erkennen.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text liest sich einigermaßen flüssig und enthält keinen Fachjargon. Dennoch sind einige Sätze missverständlich, so etwa wenn es heißt: „Laut Klimamodell wird der Ertrag von Winterroggen im Jahresdurchschnitt von heute etwa 5,4 Tonnen pro Hektar zwischen 2050 und 2060 um zehn Prozent sinken.“ Dies klingt, als ob der Ertrag bis 2050 stabil bleiben und dann in einem Jahrzehnt um 10 Prozent zurückgehen würde. Die Darstellung im Internetportal zeigt dagegen eine kontinuierliche Abnahme der Erträge. Unverständlich bleibt auch der Satz: „Außerdem könne das Stadtgrün durch eher wachsende Pflanzen und Trockenheit in seiner die Temperatur senkenden Funktion beeinträchtigt werden.“ Vom substantivierenden Einstiegssatz bis zum abrupten Schluss wirkt manche Passage etwas unbeholfen formuliert („Nach dem schlechteren Szenario laut Internetportal…“). Sprachlich wirkt der Beitrag zudem gelegentlich etwas monoton, etwa wenn zwei Absätze fast gleich beginnen („Durch auf lange Sicht mehr Hitzetage und weniger Niederschlag wird das Waldbrandrisiko deutlich steigen. (…) Durch mehr Hitzetage wird die Überwärmung und Feinstaubbelastung im Sommer in Städten steigen…“).

Hinzu kommt die die fehlerhafte Grafik (siehe allgemeinjournalistisches Kriterium 3), so dass wir die Darstellung insgesamt nicht sehr gelungen finden. Auch wenn man die Maßstäbe eines konventionellen Berichts anlegt, werten wir daher nur „knapp erfüllt“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Wenn die Idee auch interessant ist, die Daten des PIK mit Bezug auf die eigene Region auszuwerten, scheitert der Beitrag doch an der korrekten Darstellung der Zahlen. Besonders deutlich wird dies in der Grafik zur Anzahl der Sommertage: Für das Jahrzehnt 2040 bis 2050 werden demnach für die Region Erzgebirge Ost 72 Sommertage vorausgesagt, für 2090 bis 2100 sollen es 105 Sommertage sein. Auf der Webseite KlimafolgenOnline.com wären jedoch beim ungünstigsten Szenario für 2040 bis 2050 etwa 52, für 2090 bis 2100 etwa 85 Sommertage zu erwarten. Laut Angaben des PIK, das als Quelle genannt ist, sind die in der Grafik genannten Angaben nicht nachvollziehbar.

Auch die Aussage zum steigenden Ertrag der Fotovoltaikanlagen ist so nicht korrekt: Angegeben sind die physikalischen Einstrahlungswerte, der Ertrag der Anlagen ist niedriger und hängt vom jeweiligen Wirkungsgrad ab.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen der fehlerhaften Darstellung der Fakten werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar