Zusammenfassung
Der Zeitungsartikel greift eine aktuelle Studie auf, die untersucht, über welche Entfernungen problematische gebietsfremde Arten als Zierpflanzen vertrieben werden. Im Zentrum steht dabei der zunehmende Einfluss des Internethandels. Der Artikel ist leicht zu lesen und stellt die Problematik der invasiven Neophyten anhand von anschaulichen Beispielen dar.
Die Ergebnisse der Studie, die in Polen durchgeführt wurde, werden jedoch missverständlich dargestellt, sodass der Eindruck entsteht, die Wissenschaftler hätten die tatsächliche Verbreitung gebietsfremder Pflanzen in der Natur und den Einfluss des Internethandels darauf untersucht. Tatsächlich wurde nur ermittelt, dass diese Pflanzen und insbesondere deren Samen im Internethandel im Schnitt deutlich weiter transportiert werden als nach direktem Einkauf im Gartencenter. Die Wissenschaftler vermuten zwar Konsequenzen für die Ausbreitung von Neophyten in der Natur, untersucht und belegt haben sie diese aber nicht.
Konkrete Zahlen zur zeitlichen und räumlichen Entwicklung des Problems schädlicher nichtheimischer Pflanzenarten nennt der Beitrag nicht. Lösungswege, wie Handelsbeschränkungen, werden nur sehr knapp angedeutet. Die erheblichen Kosten, die die Ausbreitung einiger invasiver Arten mit sich bringt, sind im Artikel nicht erwähnt.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Artikel berichtet in sachlichem Ton über die Verbreitung nichtheimischer invasiver Pflanzenarten (Neophyten). In dem Text werden diese Arten als problematisch beschrieben und neue Risiken durch den Internethandel aufgezeigt, ohne jedoch das Thema übertrieben aufzubauschen. So heißt es, dass „der Internethandel Mitschuld an der Verbreitung trägt” und die Pflanzen „vom Internethandel profitieren”. Aufgrund fehlender Zahlen und Erläuterungen (siehe Kriterium 2) ist es für den Leser allerdings schwer einzuordnen, wie groß das Problem genau ist. Fragwürdig finden wir die Formulierung: „aus den Gärten entwischen sie früher oder später in die freie Natur“, denn die meisten der genannten Arten sind in Polen schon längst in freier Natur zu finden (Link nicht mehr verfügbar).
Wir werten daher „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Weder der Fachartikel noch der hier begutachtete Beitrag können daher konkrete Angaben zu den Konsequenzen des Internethandels für die Ausbreitung der Neophyten machen. Diese sehr begrenzte Aussagekraft der Studie wird im journalistischen Beitrag nicht angesprochen.
3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Der Fachartikel, auf dem der Beitrag beruht, wird korrekt zitiert, seine Hauptautoren sind genannt und in der Online-Version wird auf das PloS ONE-Paper verlinkt. Als weitere Informationsquelle nennt der Zeitungsartikel das Bundesamt für Naturschutz (BfN) bzw. dessen Internetseite www.neobiota.de. Außerdem ist vage von „Förstern“ die Rede, die weder näher zugeordnet noch direkt zitiert werden. Interessenkonflikte sind keine ersichtlich.
4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Zum Thema „Verbreitung nichtheimischer Pflanzenarten durch den Internethandel” gibt es unseres Wissens keine Kontroverse, die dargestellt werden müsste. Der Text erwähnt zwar Vorschriften zur „Einschränkung des Internethandels“ mit invasiven Arten in Polen und anderen Ländern – hier könnten kommerzielle Interessen berührt sein. Doch sind uns dazu keine Stellungnahmen bekannt, die zu berücksichtigen wären. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.
Eine Pressemitteilung, auf die sich der Text direkt beziehen könnte, liegt uns nicht vor. Neben dem Fachartikel wird Hintergrundwissen über invasive Arten einbezogen; das Bundesamt für Naturschutz wird als Quelle für weiterführende Informationen genannt.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Es wird nicht deutlich, dass die Ausbreitung invasiver Arten insgesamt kein neues Problem darstellt. Laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) wurden die beiden im Artikel als Beispiele vorgestellten Pflanzenarten – die Spätblühende Traubenkirsche und der Staudenknöterich, schon Mitte des 17. bzw. 19. Jahrhunderts nach Europa eingeschleppt. Die Ausbreitung der Spätblühenden Traubenkirsche wird nach den Angaben des BfN schon seit über 30 Jahren bekämpft. Da jeder Hinweis auf diese Zusammenhänge fehlt, kann der falsche Eindruck entstehen, diese Arten würden sich erst jetzt und vor allem über den Internethandel ausbreiten.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
Mögliche Lösungswege und Probleme bei deren Umsetzung werden im Artikel nur knapp angerissen. Es wird lediglich erwähnt, dass einige Länder, darunter auch Polen, den Internethandel mit invasiven Neophyten eingeschränkt hätten, und die Händler versuchten, diese Vorschriften zu umgehen. Worin die Beschränkungen bestehen, wird jedoch nicht deutlich. Der Beitrag vermutet zudem, dass die Kunden über das Problem der Neophyten zu schlecht informiert sind, („Potentielle Käufer sollten wissen, was sie sich einhandeln“); Aufklärungsmaßnahmen, wie sie der Fachartikel vorschlägt, werden nicht angesprochen.
Weitere Handlungsoptionen, die die Forscher auflisten – z.B. die Handelseinschränkungen stärker zu kontrollieren und auch mittels finanzieller Sanktionen durchzusetzen – kommen im Zeitungsartikel nicht vor. Die naheliegende Frage, warum es in Deutschland Frühwarnungen des BfN für invasive Arten gibt, gleichzeitig aber solche Pflanzen weiter im Gartenhandel verkauft werden dürfen, wird nicht angesprochen.
Hinweise auf internationale Abkommen wie die „Konvention über die Biologische Vielfalt“, die auch die Bekämpfung invasiver Arten als Ziel nennt oder die „European strategy on invasive alien species“ (Berner Convention) fehlen ebenfalls.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
„Wahrscheinlich immer schneller“ würden sich durch den zunehmenden Internethandel gebietsfremde, aber durchsetzungsstarke Gewächse ausbreiten, heißt es im Beitrag. Dazu fehlt es jedoch an konkreten Informationen. Da der Beitrag keine Zahlen dazu nennt, wie sich das Problem entwickelt hat, ist es nicht möglich, die zeitliche Dimension des Themas einzuordnen. Im Fachartikel geben die Forscher an, dass sie von 2006 bis 2011 den Handel mit den untersuchten invasiven Pflanzen in einem Internetauktionsportal beobachtet haben, um die Zunahme dieses Vertriebsweges zu quantifizieren. In dieser Zeit habe sich der Verkauf der Problem-Arten über diesen Vertriebsweg verhundertfacht. Der Zeitungsartikel erwähnt diese Informationen nicht.
Ob und wie stark das Problem der invasiven Pflanzenarten insgesamt zugenommen hat, und ob das Internet dabei heute schon eine signifikante Rolle spielt, erfahren Leserinnen und Leser nicht, ebenso wenig, wie die Experten die zukünftige Entwicklung einschätzen.
10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Die wirtschaftliche Dimension des Problems der invasiven Arten fehlt im Artikel fast völlig. Allenfalls wird sie angedeutet, wenn es heißt, dass der Staudenknöterich an „Flüssen und Bächen […] auch die Uferbefestigung lockern und die Steine regelrecht herausheben [kann].” Die im Beitrag angegebene Internetseite www.neobiota.de nennt dazu konkrete Zahlen: „In den Jahren 1991 und 1992 entstand z.B. an mit Staudenknöterich bewachsenen Deichen in Baden-Württemberg, im Bereich der Gewässerdirektion West-Südwest, ein einmaliger Schaden von über 20 Millionen DM. Für ganz Deutschland ist im Schnitt für die Beseitigung von Uferabbrüchen durch Fallopia mit ca. 7 Mio. jährlich zu rechnen.” Zur Bekämpfung des Knöterichs durch Abmähen heißt es: „Die Kosten dafür wurden in Südwestdeutschland mit 2.800 Euro pro Hektar ermittelt.”
Welche wirtschaftliche Bedeutung der Internethandel mit invasiven Arten hat, lässt der Artikel offen. So bleibt unklar, warum der Verkauf der genannten Pflanzenarten nicht vollständig verboten wird und warum Händler offenbar ein Interesse haben, Handelseinschränkungen aktiv zu umgehen.
Als Hinweis auf politisches Handeln in Polen wird eine Verordnung von 2012 genannt, deren Inhalte der Beitrag aber nicht erläutert (ebenso wenig wie einschlägige internationale Abkommen, siehe Kriterium 7, Handlungsoptionen). Laut BfN wird derzeit von der EU-Kommission ein Rechtsinstrument zum Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten entwickelt – auch dies wäre eine interessante Information gewesen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Das Thema der invasiven, nichtheimischen Pflanzen und Tiere ist ein dauerhaft relevantes Thema, das vom Bundesamt für Naturschutz „weltweit nach der Habitatzerstörung als die zweitgrößte Gefährdung der Biologischen Vielfalt” bezeichnet wird. Durch die Veröffentlichung der im Artikel genannten Studie besteht auch ein aktueller Anlass darüber zu berichten. Die Informationen aus der kleinen und auf die Verhältnisse in Polen beschränkten Studie hätten allerdings der Ergänzung durch weitere Recherchen bedurft. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Artikel ist in leicht verständlicher Sprache und flüssigem Stil geschrieben. Indes vermittelt er nicht deutlich genug, was in der vorgestellten Studie tatsächlich untersucht wurde. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.