Bewertet am 25. Juli 2014
Veröffentlicht von: taz - die tageszeitung

Ein Artikel in der taz stellt anlässlich des jüngsten Berichts der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC fest, dass die Emissionen von Treibhausgasen in den letzten Jahren dramatisch zugenommen haben. Er konstatiert, dass eine Vielzahl von möglichen Gegenmaßnahmen ergriffen werden müsse, um die zusätzliche Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Dabei fehlt es jedoch an Informationen, wie schnell und zu welchen Kosten diese Schritte umgesetzt werden könnten. Die Überschrift suggeriert irreführend, der Weltklimarat fordere einen Sofortausstieg aus der Kohle.

Zusammenfassung

Der Beitrag befasst sich mit Handlungsmöglichkeiten, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und betont hier vor allem den notwendigen Ausstieg aus der Kohle. Er begreift den Klimaschutz dabei auch als einen gesellschaftlichen Wandel, der den Alltag verändern wird („Raum für Fußgänger schaffen, für kurze Wege in den Städten sorgen…“), statt ihn nur aus technischer Sicht zu sehen. Dabei werden allerdings viele interessante Punkte nur kurz angesprochen, keiner wird so mit Zahlen und Belegen untermauert, dass er für Leserinnen und Leser nachvollziehbar wäre. Welchen Beitrag die verschiedenen Handlungsansätze jeweils zum Klimaschutz leisten könnten, erläutert der Beitrag nicht. In welchen Zeiträumen Maßnahmen wie der Kohleausstieg realisiert werden könnten, bleibt offen. Auch wird nicht immer deutlich, wo der Beitrag sich auf die Situation in Deutschland, wo auf den globalen Klimaschutz bezieht. Es werden mehrere Experten zitiert, die die Situation in Deutschland kommentieren. Als Manko betrachten wir es, dass alle Befragten aus dem Umweltsektor stammen und keine andere Stimme präsentiert wird.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger der Arbeitsgruppe III des IPCC legt dar, dass eine „Entkarbonisierung“ der Energieproduktion dringend nötig ist. Laut IPCC soll die Energieproduktion aus Kohle bis zur Mitte des Jahrhunderts in etwa halbiert und bis Ende dieses Jahrhunderts auf null heruntergefahren werden, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen Darüber geht die Überschrift des Artikel „Forderung des Weltklimarates: Sofort raus aus der Kohle“ deutlich hinaus. Sie suggeriert, es werde ein sofortiges Ende der Kohleverstromung gefordert. Erst die Unterzeile „Jetzt muss der Ausstieg aus der Kohle beginnen“ beschreibt das Problem angemessen – gemeint ist demnach der rasche Beginn des Ausstiegs. Da im weiteren Verlauf des Textes der Ton sachlich bleibt und die Klimaschutzprobleme weder dramatisiert noch verharmlost werden, werten wir „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Text nennt wenige Zahlen, er beschränkt er sich dabei im Wesentlichen darauf, die Entwicklung der globalen CO2-Emissionen darzustellen. Die Zahlen sind, soweit für uns überprüfbar, korrekt. Allerdings wird nicht angemessen erläutert, wie die Aussagen des IPCC zustande kamen. Der Satz: „Fünf Jahre lang hat ein Team um den deutschen Klimaforscher Ottmar Edenhofer erarbeitet, welche Maßnahmen helfen können, die Erderwärmung zu bremsen.“ ist so nicht korrekt. Edenhofer ist nicht der einzige Leiter der Arbeitsgruppe III des IPCC (sondern einer von drei gleichberechtigen „Co-Chairs“), und es hat auch nicht ein Team um ihn herum den Bericht erarbeitet, sondern es haben hunderte Autoren weltweit mitgewirkt und Szenarien und Studien zusammengetragen.

Zahlen für die weltweite und nationale Bedeutung der Kohle an der Stromproduktion und der Treibhausgasemissionen werden nicht genannt, was bei der Schwerpunktsetzung des Artikels wichtig gewesen wäre.

Bei den vorgeschlagenen Handlungsoptionen – von der Umgestaltung der Städte bis zum Kohleausstieg – fehlt es an (wenigstens exemplarischen) Informationen dazu, welchen Beitrag die einzelnen Maßnahmen in etwa leisten könnten.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Beitrag bezieht sich auf Angaben des IPCC-Berichts und zitiert mehrere Expertinnen und Experten. Diese werden jeweils kurz den Institutionen zugeordnet, die sie hier vertreten. Dabei stehen die meisten Zitatgeber für bekannte Parteien und Organisationen, so dass sich aus ihrer Funktion heraus ergibt, für wen sie sprechen. Etwas nähere Informationen hätten wir uns zum Direktor der Denkfabrik Agora-Energiewende, Patrick Graichen, gewünscht. Diese Einrichtung, die die energiepolitischen Weichen­stellungen beeinflussen will, dürfte nicht allen Leserinnen und Lesern bekannt sein, sodass hier eine Erklärung hilfreich gewesen wäre.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Bei einem Beitrag, der sich so stark auf die Einschränkung der Kohleverfeuerung konzentriert, wäre es nötig gewesen, auch abseits der Klimaexperten, Umweltverbände und -politiker zumindest eine Stimme zu zitieren, die den Abschied von der Kohle kritisch sieht. Hier wäre es z.B. interessant gewesen, kritisch zu hinterfragen, wie rasch der Ausstieg tatsächlich möglich ist. Da der Text völlig auf solche Gegenpositionen verzichtet und auch durch missverständliche Formulierungen wie „Experten sind sich einig“, kann der – unzutreffende – Eindruck entstehen, alle seien gegen jegliche Nutzung der Kohle, und ein Kohleausstieg sei ohne Widerstände von Interessengruppen möglich.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag geht erheblich über die Darstellung in der Pressemitteilung des IPCC zum 3. Teil des Aktuellen Weltklimaberichts hinaus. Er benennt mehrere andere Experten und interpretiert den IPCC-Bericht; damit erbringt er deutlich eine eigenständige journalistische Leistung.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Vorschlag, weg von Kohle und Öl zu kommen, ist nicht neu. Deshalb wäre es interessant gewesen, zu erfahren, seit wann die „Entkarbonisierung“ Thema der politischen Debatte ist, und ob der aktuelle IPCC Bericht dazu neue Erkenntnisse liefert.

Es wird im Artikel jedoch nicht deutlich, ob es sich bei den Darstellungen des aktuellen IPCC-Berichts im Bereich der Klimaschutzmaßnahmen und Kohleverstromung um neue Empfehlungen / Akzente oder nur um die Fortschreibung bereits bekannter, älterer Veröffentlichungen des Weltklimarats handelt. Wo etwa finden sich im Maßnahmenkatalog des IPCC neue Vorschläge, gibt es Änderungen bei der Einschätzung des Potenzials zum Klimaschutz in bestimmten Sektoren?

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag legt einen Schwerpunkt auf mögliche Lösungen und Handlungsoptionen im Klimaschutz. Er macht dabei Aussagen zu Maßnahmen auch über die Forderung nach dem Umbau des Energiesystems hinaus (z.B. Umgestaltung des Verkehrs, kurze Wege in den Städten, Alternativen zum Zement und langlebige Güter). Damit werden Themen angesprochen, die in vielen Beiträgen zum Klimaschutz untergehen.

Allerdings fehlt es hierzu an quantitativen Informationen. Was weiß man über den Anteil, den die verschiedenen Optionen zum Klimaschutz leisten können (siehe auch Kriterium 2 Belege)? Der Beitrag geht nicht auf die detaillierten Szenarien des IPCC zur Reduzierung von Treibhausgasen im Laufe dieses Jahrhunderts ein. Die Maßnahmen werden in den Raum gestellt, ohne sie wenigstens zum Teil zu gewichten bzw. ihr jeweiliges Potenzial zu nennen. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Am Anfang des Textes geht es darum, dass weltweit die Kohle unter der Erde bleiben muss, dann verengt sich die Betrachtung rasch auf die Kohleproblematik in Deutschland. Der Beitrag versucht zwar die Kurve zu kriegen, indem die Bedeutung Deutschlands als Vorbild hervorgehoben wird, doch das reicht aus unserer Sicht nicht aus. Gerade angesichts der zunehmenden internationalen Bedeutung des Einsatzes von Kohle wäre eine Erläuterung der Situation des Kohleeinsatzes in Entwicklungs- und Schwellenländern wichtig gewesen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Da der Beitrag sich stark auf das Thema Kohlekraftwerke in Deutschland konzentriert, wäre es nötig gewesen, zumindest kurz ein Szenario aufzuzeigen, in welcher Frist ein Rückzug aus der Kohle in Deutschland möglich ist. Wie viele Kohlekraftwerke ließen sich schon relativ bald abschalten? Welche Zeiträume braucht man bis zum Ende der Kohlekraft?

Die verschiedenen Szenarien, die dem IPCC-Bericht zugrunde liegen, mit ihren unterschiedlichen Zeithorizonten für die Reduzierung bzw. den Ersatz von Kohle in der Energieerzeugung werden nicht erwähnt; bis wann für die Treibhausgase welche Reduktionsziele erreicht werden müssten, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, berichtet der Artikel nicht. Stattdessen wird anfänglich der falsche Eindruck erweckt, der IPCC fordere einen Sofortausstieg aus der Kohle.

Über welche Zeithorizonte die vielen im Artikel zitierten Experten aus Deutschland reden, bleibt ebenfalls weitgehend unklar. Lediglich an einer Stelle wird von einem anstehenden deutschen „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020″ gesprochen, ohne auf dessen Inhalte einzugehen.

10. Der politische/wirtschaftliche/soziale/kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Anders als viele andere Beiträge, die Klimaschutz nur rein technisch betrachten (etwa nach dem Motto „Solarstrom statt Kohle“), erwähnt dieser Beitrag auch andere Veränderungen, die mit Klimaschutzmaßnahmen einhergehen müssten. Er spricht an, dass eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise nicht alleine das Ersetzen von fossilen Kraftwerken durch CO2-freie Kraftwerke bedeutet, sondern z.B. auch die Infrastruktur in den Städten verändert werden müsste.

Politische Kontroversen, die es bei der Formulierung der Zusammenfassung für Entscheidungsträger gab, werden kurz erwähnt („der Vergleich von Staaten ist politisch heikel“). Die politische Dimension des Ausstiegs aus der Kohleverstromung wird durch das Zitieren mehrere Experten einbezogen.

Allerdings fehlt jede Information über die damit verbundenen Kosten, die möglichen Alternativen und die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die der Abschied von der Kohle mit sich bringt. Angesichts des differenzierten IPCC-Berichts hätten wir eine zumindest etwas genauere Darstellung des Kontextes solcher Forderungen erwartet. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist durch den kurz zuvor erschienenen IPCC-Bericht aktuell und dauerhaft relevant. Zudem bemüht er sich, Aspekte einzubeziehen, die noch nicht in jedem anderen Beitrag zum Thema berichtet wurden.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist verständlich geschrieben und vermeidet Fachvokabular. Die Überschrift vermag nicht zu überzeugen (siehe Kriterium 1). Auch der Einstieg mit dem Bezug auf die Atomenergie ist etwas missverständlich – es könnte beim flüchtigen Lesern der Eindruck entstehen, der Weltklimarat habe zunächst den Atomausstieg und jetzt auch den Ausstieg aus der Kohle gefordert. (Tatsächlich bezieht der IPCC die Atomenergie in Überlegungen zur Dekarbonisierung ein). Gelungener ist der Schluss des Textes: Während nachrichtlich gehaltene Beiträge sonst oft irgendwie auslaufen, endet dieser mit einer kleinen Pointe.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar