Bewertet am 12. Juni 2013
Veröffentlicht von: Rhein-Zeitung

Der in der Rhein-Zeitung erschienene Artikel befasst sich mit dem Kraftstoffverbrauch von Neuwagen, der oft über den Herstellerangaben liegt. Er beschreibt das Messverfahren, das diesen geschönten Angaben zugrunde liegt, doch andere, realistischere Tests werden nur unzureichend erklärt.

Zusammenfassung

Der Artikel greift ein Problem auf, das viele Menschen interessieren dürfte: Nicht selten liegt der Kraftstoffverbrauch von Neuwagen in der Praxis über den Herstellerangaben. Da diese Diskrepanz auch bei Fahrzeugen mit Hybridantrieb (Elektro- und Verbrennungsmotor) auftritt, wird deren Kraftstoffverbrauch zum Anlass der Berichterstattung genommen. Eine überzeugende Begründung für diesen Anlass bleibt der Beitrag indes schuldig: Es fehlen Daten, die zeigen könnten, dass der Mehrverbrauch bei Hybridautos besonders gravierend ist. Auch andere Aussagen werden unzureichend belegt. Die Unterschiede in den Messverfahren zum Spritverbrauch, die hier von zentraler Bedeutung sind, erklärt der Beitrag nicht; auch Lösungsansätze oder Ausführungen zur internationalen Dimension des Problems fehlen.

Es handelt sich bei diesem Beitrag ursprünglich um einen Text des dpa-Themendienstes, der jedoch stark gekürzt wurde. Dies hat sich negativ auf die Qualität des Beitrags ausgewirkt, der sonst mehr Kriterien erfüllt hätte (siehe dazu beispielsweise Kriterium 7 “Lösungshorizonte”).

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag greift das altbekannte Problem auf, dass der Kraftstoffverbrauch bei Autos oft höher ausfällt, als die Herstellerangaben versprechen. Sowohl durch die Überschrift als auch durch den Einstieg („Die Verbrauchsangaben bei Neuwagen sind häufig verlockend niedrig – vor allem bei Hybridmodellen“) wird dabei der Eindruck erweckt, dass dieses Problem bei Hybridfahrzeugen besonders gravierend sei, ohne dies zu belegen (siehe dazu Kriterium 2). Auch die Aussage, speziell Hybridmodelle, die als Anlass für den Artikel dienen, seien für „viele Pkw-Käufer interessant“, ist irreführend. Sie vermittelt den Eindruck, dass das Problem der falschen Verbrauchsangaben hier besonders bedeutsam sei. Tatsächlich liegt der Anteil der Hybrid-Autos in Deutschland derzeit bei ca. 0,2 Prozent (Link nicht mehr verfügbar).

Auch wo im weiteren Verlauf des Beitrags andere Antriebsarten betrachtet werden, erscheinen die Aussagen dramatisiert. Statt der wenig aufschlussreichen Angabe eines Maximalwerts: „Abweichungen gegenüber dem tatsächlichen Verbrauch von bis zu 30 Prozent“ (bei einem Test mit 8 Fahrzeugen) wäre es für Leserinnen und Leser nützlicher gewesen, beispielsweise zu erfahren, wie häufig derartig hohe Abweichungen auftreten, und wie hoch sie im Durchschnitt für verschiedene Fahrzeugklassen und Antriebsarten sind.

Eine Aufstellung der im Beitrag genannten Deutschen Umwelthilfe (DUH) (Link nicht mehr verfügbar) auf der Basis des ADAC EcoTest zeigt, dass von 144 Pkw-Modellen 20 die Herstellerangaben zum Verbrauch um mehr als 20 Prozent überschritten, aber auch, dass die Abweichungen bei etwa der Hälfte der Modelle 10 Prozent und weniger betrug. Im Artikel fehlt hier jede Differenzierung. Insgesamt ist die Darstellung verzerrt und das Kriterium daher „nicht erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt eine Vielzahl von Daten und Fakten, doch wird oft nicht klar, wie die einzelnen Angaben erhoben wurden. Mal ist von einem „aktuellen ADAC-Autotest“ die Rede, dann vom „ADAC Eco-Test 2012“. Worin sich diese Tests von dem ausführlicher beschriebenen „Messzyklus NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus)“ unterscheiden, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Es wird daher auch nicht deutlich, wie die Abweichungen ermittelt wurden bzw. auf welchen Unterschieden im Messverfahren sie beruhen. Der Hinweis auf „eine Studie des ‚Center Automotive Research‘ der Universität Duisburg-Essen“ ist ebenfalls wenig hilfreich –  jedenfalls bleibt offen, wie, wo und wann diese Ergebnisse erhoben worden sind. Auch nennt der Beitrag keinerlei Belege für die zumindest suggerierte Aussage, dass Abweichungen beim Kraftstoffverbrauch gerade bei Hybridfahrzeuge besonders gravierend seien. Daher werten wir „nicht erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die allgemeinen Quellen für Tatsachenbehauptungen werden benannt, die Interessenlagen liegen bei beiden Kronzeugen – ADAC (incl. Eco-Test als Service für Kauf-Interessenten von Pkws) und DUH – auf der Hand.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Den Autoherstellern wird im Beitrag vorgeworfen, Autokäufer „in die Irre“ zu führen, ohne dass eine Gegenposition zu Wort kommt. Hier wäre es notwendig gewesen, eine Stellungnahme von Autoherstellern bzw. deren Verbänden einzuholen. Daher werten wir „nicht erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung, auf die sich der Beitrag direkt beziehen könnte, haben wir nicht gefunden. Eine inhaltlich passende Presseerklärung der Deutschen Umwelthilfe erschien am 13.5.2013,  damit erst nach einer dpa-Meldung, die bereits am 9.4. verbreitet wurde (z.B. hier), und die dem Artikel offensichtlich zugrunde liegt. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Das prinzipielle Problem, dass die Verbrauchsangaben bei Neuwagen oft unter dem faktischen Verbrauch liegen, ist seit vielen Jahren bekannt. Wie alt die Kritik am Messverfahren des „Neuen“ Europäischen Fahrzyklus ist, wird im Beitrag nicht deutlich.

Für Leserinnen und Leser wäre auch der Hinweis interessant gewesen, dass die Kriterien für den ADAC-Eco-Test nicht neu sind, sondern schon im vergangenen Jahr verschärft wurden.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Text verharrt in der Anklage und zeigt keine Handlungsmöglichkeiten auf. Dagegen wurde in der dpa-Meldung, die diesem Text offenbar zugrunde lag (siehe Kriterium 5), ein Lösungshorizont ins Auge gefasst:

„…. Doch es tut sich etwas an der Testfront: 2014 sollen laut Knöfel die Bedingungen für ein realitätsnäheres Verfahren feststehen. Und ab 2017 sollen alle neuen Pkw-Modelle am Markt das «Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure» (WLTP) absolviert haben, das die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) ausarbeitet – inklusive eigener Regeln für alternative Antriebe. «Ein weltweit gültiges Verfahren einzuführen, gleicht einem Spagat, denn der neue Zyklus muss unterschiedliches Fahrverhalten in unterschiedlichen Ländern berücksichtigen», schildert Knöfel die Schwierigkeiten. Das neue Verfahren werde die Verbrauchswerte aber deutlich realitätsnäher abbilden, ist der Experte sicher. …“

Da diese Passage der Agenturmeldung nicht in den veröffentlichten Artikel aufgenommen wurde, ist das Kriterium seitens der Redaktion nicht erfüllt.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Ganz offensichtlich handelt es sich um ein internationales Problem, doch spricht der Beitrag diese Dimension nicht an. Die bloße Angabe, dass auch auf „ein schwedisches Modell“ kein Verlass gewesen sei, reicht nicht aus, um die räumliche Reichweite des Problems zu erfassen.

So erfahren Leserinnen und Leser nichts über die Diskussion zu international unterschiedlichen Messverfahren. Dieses wäre aber von wesentlicher Bedeutung, u.a. weil sich darin sogar ein Lösungshorizont eröffnen könnte. So werden in den USA andere, offenbar realistischere Verfahren zur Messung des Kraftstoffverbrauchs eingesetzt, die beispielsweise den morgendlichen Berufsverkehr von Los Angeles simulieren (Infos dazu z.B. hier). Da solche Informationen fehlen, werten wir „nicht erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Text vermittelt zwar im Prinzip, dass es sich nicht nur um ein momentanes, sondern um ein langandauerndes Problem handelt, dem etablierte Testverfahren (Messzyklus NEFZ) Vorschub leisten. Allerdings wird nicht deutlich, dass es sich auch beim NEFZ nicht um ein festgezimmertes Regelwerk handelt, dieses auch schon modifiziert wurde, damit der Modifizierung und Revision offensteht. Die Änderung  des ADAC EcoTest 2012 wird ebenfalls nicht erwähnt (siehe Kriterium 6). Auch erfasst der Beitrag nicht die in der Presseerklärung der DUH vom 13.5. angesprochene Kritik, dass der Normverbrauch von Autos sich in den letzten Jahren „immer stärker von der Realität entfernt“ habe. Es wäre wichtig gewesen zu prüfen, ob ein solcher Trend tatsächlich von anderer Seite bestätigt wurde.

Dass bestimmte Tests als „aktuell“ bezeichnet oder Ergebnisse als „zuletzt“ erhoben dargestellt und insofern in einen längerfristigen Zusammenhang eingeordnet werden, genügt hier nicht.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Die wirtschaftliche Dimension des teilweise geschönten Kraftstoffverbrauchs wird nicht angesprochen. Weder macht der Artikel deutlich, welche Mehrkosten für den Verbraucher entstehen, noch spricht er das Problem denkbarer Wettbewerbsverzerrungen an, wenn einige Hersteller erheblich zu niedrige Verbrauchsangaben machen, andere aber nicht. Auch dass Steuern verloren gehen, weil die Emissionen gleich mit geschönt werden, wird nicht erwähnt.

Die Problematik des offiziellen Messverfahrens wird auf rein technischer Ebene abgehandelt. Es fehlt jegliche Information darüber, wie ein solcher Standard zustande kommt. Hilfreich wäre auch ein Hinweis darauf gewesen, dass über den Kraftstoffverbrauch nicht nur technische Faktoren entscheiden, sondern ganz wesentlich auch persönliche Fahrstile und Fahrtbedingungen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Ein aktueller Anlass für den Bericht ist nicht ersichtlich. Nur bei einem der konkret benannten und auch einem „aktuellen ADAC-Autotest“ zugeordneten Fahrzeug („BMW ActiveHybrid 3 Sport Line Automatic“) stammt der Test aus dem Jahre 2013 (siehe: ADAC EcoTest – dort ‚Suche‘). Schon der direkt danach genannte Test eines Audi A6 stammt von Mitte 2012. In weiteren Fällen, etwa dem „schwedischen Modell“ wird nicht klar, von wann der Test stammt. Der Kraftstoffverbrauch von Autos mit Hybrid-Antrieben als Anlass der Berichterstattung erscheint konstruiert. Da jedoch der Kraftstoffverbrauch von Autos ein dauerhaft relevantes Thema ist, das viele Leserinnen und Leser interessiert, werten wir „knapp erfüllt“.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag ist zwar anfangs verständlich geschrieben, verwendet dann allerdings zunehmend technische Fachbegriffe, unter denen sich nicht jeder Leser etwas vorstellen kann. Was sind „Reibbeiwerte“? Was ist der „Motorwiderstand“? Warum senkt eine randvoll geladene Batterie den Treibstoffverbrauch? Das mag sich für Fachleute von selbst erklären, einem allgemeinen Publikum erschließt es sich nicht automatisch. Die Tauglichkeit unterschiedlicher Messverfahren zur Ermittlung eines realistischen Kraftstoffverbrauchs wird trotz (oder wegen) diverser technischer Einzelinformationen nicht verständlich beschrieben. Da dies ein zentraler Punkt in diesem Beitrag ist, werten wir „nicht erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Mangels genauer Quellenangaben ließen sich nicht alle im Beitrag wesentlichen Fakten überprüfen. Mit dieser Einschränkung: Faktenfehler sind uns keine aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 1 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar