Bewertet am 2. Mai 2013
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Artikel diskutiert Unsicherheiten von Klimamodellen und fragt nach der Glaubwürdigkeit von Prognosen zur künftigen Entwicklung der Amazonas-Regenwälder. Dabei wird die Problematik solcher Modellierungen dargelegt. Welche Bedeutung aber die Entwicklung dieser Region für die Zukunft des globalen Klimas und seiner Modellierung hat, wird nicht hinreichend deutlich.

Zusammenfassung

Der Beitrag greift anhand eines aktuellen Beispiels die wichtige Frage auf, wie gut immer komplexer werdende Klimamodelle die künftige Entwicklung des Klimas vorhersagen können. Dazu stellt er eine Fachpublikation vor, die bisherige Prognosen zur Entwicklung insbesondere der Amazonas-Regenwälder infrage stellt. Allerdings erweckt der Artikel den Eindruck, damit sei die Aussagekraft von Klimamodellen insgesamt fragwürdig geworden, ohne diese weitreichende Aussage sachlich zu begründen. Dazu trägt auch der Aufbau des Textes bei, der zunächst ausführlich eine allgemeine Kritik an Klimamodellen zitiert, bevor er auf das aktuelle Thema eingeht. Der Beitrag bezieht unterschiedliche Quellen ein und nennt konträre Standpunkte. Allerdings wird versäumt, zu den aktuellen Studien-Ergebnissen auch aktuelle Stellungnahmen der „Gegenseite“ einzuholen, diese kommt nur mit Jahre alten Zitaten zu Wort. Dem – an sich verdienstvollen – Ziel, den Diskurs über die Validität von Klimamodellen zu versachlichen, wird der Beitrag so nicht in allen Punkten gerecht. Wegen der Mängel in der journalistischen Darstellung (verwirrender Aufbau des Textes, unnötig komplizierte und fachsprachliche Formulierungen) werten wir von 4 auf 3 Sterne ab.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag berichtet über Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Arbeit, in der die Auswirkungen des Klimawandels auf die tropischen Regenwälder als deutlich geringer eingeschätzt werden, als einige frühere Analysen vermuten ließen. Im Artikel wird die Aussagekraft von Klimamodellen kritisch hinterfragt, die aufgezeigten Unterschiede zwischen verschiedenen Modellen und deren Ergebnissen werden dabei weder bagatellisiert noch aufgebauscht. Trotz der Beschreibung der wissenschaftlichen Unsicherheiten wird klargestellt, dass es keine grundsätzlichen Zweifel an der Existenz des anthropogenen Klimawandels und der Notwendigkeit politischen Handelns gibt („Der anthropogene Klimawandel ist Realität“).

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die wesentlichen Ergebnisse der angesprochenen Studien werden angemessen wiedergegeben. Dies gilt insbesondere für ihre neuen und im Widerspruch zu früheren Modellen stehenden Ergebnisse über den Erhalt der Tropenwälder. Es wird hinreichend deutlich, dass sowohl frühere Modellierungen als auch die aktuell vorgestellte Studie mit Unsicherheiten behaftet sind – und auch, woran das liegt („wie die Blätter der Bäume ihre Photosynthese und Atmung anpassen, entscheidet darüber, ob die Wälder kollabieren oder nicht. Leider sind die Pflanzenphysiologen in dieser Hinsicht noch nicht zu eindeutigen Antworten gekommen. Auch da Widersprüche, Lücken und offene Fragen.“). Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, zu den Unterschieden auch quantitative Angaben zu machen. Wenn es etwa heißt: „Die Unsicherheitsspannen in den Modellergebnissen werden vermutlich nicht etwa kleiner werden im neuen Weltklimabericht, sondern tendenziell größer“, so wüsste man gerne: Wie weit liegen die Prognosen auseinander? Wie viel größer sind die Abweichungen geworden? Die dargestellten Fakten ergeben so kein klares Gesamtbild der Lage in der Klimamodellierung. Insgesamt werten wir daher nur „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Artikel stützt sich auf mehrere Quellen (aktuelle Studie, frühere Nature-Veröffentlichung, Zitate von Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, NASA-Daten) und benennt diese in nachvollziehbarer Weise. Die Experten und ihre Zugehörigkeiten zu verschiedenen Institutionen werden hinreichend eingeordnet. Da keine Interessenkonflikte bzw. Abhängigkeiten der Autoren der zitierten Studien erkennbar sind, werden sie im Artikel auch nicht thematisiert.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Es wird vor allem der Standpunkt der Kritiker bisheriger Klimamodelle referiert, eine Antwort der Kritisierten – etwa der Autoren des im Text erwähnten „Manifests von 19 renommierten Klimaforscherndarauf wird nicht eingeholt. Insbesondere der Vorwurf des drohenden Glaubwürdigkeitsverlusts wiegt schwer. Zudem warnt der Text generell vor Unsicherheiten der Klimamodelle und deren Folgen für den anstehenden 5. IPCC-Sachstandsbericht (siehe hier), bevor dann aber klar wird, dass sich diese Warnung im konkreten Fall zunächst lediglich auf einen relativ kleinen Teilbereich (die Zukunft der Amazonaswälder) bezieht. Zur Entwicklung der Tropenwälder werden dann zwar kontroverse Einschätzungen genannt, doch ein Pro und Contra findet nur scheinbar statt: Der Artikel nennt mehr als vier Jahre zurück liegende Äußerungen von Hans Joachim Schellnhuber, die einen Kollaps des Amazonasregenwaldes vermuten ließen, und stellt ihm die widersprechenden Ergebnisse der aktuellen Studie gegenüber. Diesen Widerspruch nutzt der Artikel, um die komplexer werdenden Klimamodelle insgesamt in Frage zu stellen. Hier wäre es sehr wünschenswert gewesen, einen aktuellen Kommentar bzw. ein aktuelles Zitat von Schellnhuber oder eines vergleichbaren Klimawissenschaftlers des IPCC einzuholen.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Wie schon unter Punkt 3 angedeutet, geht der Artikel deutlich über die Pressemitteilung hinaus, indem er auch andere Quellen nennt (Zitate Schellnhuber, Nature-Paper von Maslin und Austin) und die Studie vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion um Klimamodelle beleuchtet.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht klar, dass es sich um gerade erst publizierte Ergebnisse handelt, die im Widerspruch zu Berechnungen früherer Klimamodelle und Aussagen von Klimawissenschaftlern stehen. Die neuen Ergebnisse werden in den zeitlichen Kontext der langjährigen Debatte um die Aussagekraft von Klimamodellen eingeordnet, die Unsicherheiten bzgl. der Zukunft des Amazonas werden in einen Zusammenhang mit früheren Berechnungen gestellt.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag beschreibt zunächst eine grundsätzliche wissenschaftliche Diskussion um die Glaubwürdigkeit von Prognosen zu Auswirkungen des Klimawandels. Lösungen oder Handlungsoptionen stehen dabei nicht im Zentrum. Allerdings findet sich in der aktuellen wissenschaftlichen Nature Geoscience-Veröffentlichung, auf die sich der Zeitungsartikel bezieht, eine wichtige Aussage zu Handlungsoptionen, die der journalistische Beitrag vermissen lässt. („Such a result has implications for the United Nation’s Reducing Emissions from Deforestation and Degradation+ scheme, which has previously been questioned owing to concerns over the resilience of the carbon stored in tropical forests“). Damit stellen die Autoren ihre Studie in den Kontext des UN-Programms „Reducing Emissions from Deforestation and Degradation +“ (REDD+). Wenn durch ein sich (ohnehin) wandelndes Klima die tropischen Wälder verschwänden und der darin gebundene Kohlenstoff freigesetzt statt gespeichert würde, würden sich Maßnahmen zu ihrem Erhalt aus klimapolitischer Sicht kaum lohnen. Die positive Botschaft der Studie findet im Artikel aber keine Erwähnung: Die tropischen Wälder sind weniger anfällig für sich ändernde Klimabedingungen, und sie zu schützen ist daher auch im Sinne des Klimaschutzes sinnvoll. Daher: „knapp nicht erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Artikel beschäftigt sich mit Prognosen zur Entwicklung der tropischen Regenwälder, insbesondere mit dem Zustand des Amazonaswaldes in Zeiten des Klimawandels. Insofern ist die räumliche Zuordnung eindeutig. Allerdings erweckt der Beitrag – ohne dafür eine ausreichende Begründung zu liefern – den Eindruck, dass damit die globale Klimaforschung insgesamt an ihre Grenzen stoße. Ob die dargestellten Unsicherheiten in den Prognosen sich nur auf die tropischen Regenwälder beziehen, oder ob sie ein Indiz dafür sind, dass auch die Prognosen zu anderen Regionen unsicherer sind als bisher gedacht, wird nicht eindeutig klar. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass letzteres der Fall ist („Eine ‚Kaskade an Unsicherheiten‘ baue sich auf“). Welche Bedeutung das lokale Phänomen (Entwicklung des Amazonas-Regenwalds) für die Zukunft des globalen Klimas und seiner Modellierung hat, wird nicht angemessen dargestellt.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass Klimaprognosen sich im Laufe der Zeit geändert haben. Auch der Zeithorizont der hier vorgestellten aktuelle Studie („bis zum Jahr 2100“) wird klar, das Kriterium ist damit „erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Die aktuelle Studie wird in den Kontext einer allgemeinen, auch politischen Diskussion um Klimamodelle gestellt. Die in Frage stehende Glaubwürdigkeit der Forschung und die Folgen für die Klimaschutzdebatte werden allerdings nicht ausreichend beleuchtet. Siehe dazu auch die Ausführungen zu Kriterium 4. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Der Beitrag berichtet über eine aktuelle Studie zu einem relevanten Thema. Die Bewertung von Klimamodellen und das kritische Hinterfragen von Simulationen, die die Wirklichkeit stets nur unvollkommen abbilden können, sind in der klimapolitischen Debatte wichtig.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel beginnt mit einer konstruierten Behauptung: Möglicherweise hätten Wissenschaftler einen Artikel in Nature nur ungern zur Kenntnis genommen oder hätten die Fragen nicht so verstanden, wie sie gemeint waren. Denn anders ließe sich nicht erklären, warum die erwarteten heftigen Reaktionen auf den Artikel ausgeblieben sind. Mutmaßungen des Autors ersetzen hier eine schlüssige Argumentation.

Zwar sind die vorliegenden Studien dann ausreichend verständlich dargestellt. Für den nicht vorgebildeten Leser äußerst verwirrend und auch irreführend ist jedoch die Struktur des Artikels, der zunächst über einen älteren Nature-Artikel berichtet, der allgemein vor Unsicherheiten in Klimamodellen gewarnt hat. Erst im vierten von insgesamt fünf Absätzen kommt der Beitrag zu seinem eigentlichen Anlass, einer aktuellen Studie in Nature Geoscience. Die vorausgehenden Ausführungen bewirken, dass diese nun verzerrt als Beispiel für allgemein mangelnde Aussagekraft bisheriger Klimamodelle wahrgenommen wird. Hierfür bleibt der Text aber jeglichen Beleg schuldig. Auch ist der Artikel abstrakt und teilweise fachsprachlich gehalten (zum Beispiel: „…das Hinzufügen von ‚known unknowns“, wie es Maslin und Austin schreiben, also die Berücksichtigung von neuen Kenngrößen, die im Einzelnen oft nur ansatzweise physikalisch verstanden und im grob gerasterten Modell zudem nur rudimentär dargestellt – parametrisiert – werden können…“)

Der Artikel stellt zwar fest, dass trotz der Kritik an Klimamodellen an der Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen nicht zu rütteln sei, erklärt aber nicht warum.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Artikel stellt die Fakten der aktuellen Studie aus Nature Geoscience richtig dar und gibt auch ansonsten die Diskussion korrekt wieder.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen deutlicher Mängel in der journalistischen Darstellung werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar