Bewertet am 3. Juli 2019
Veröffentlicht von: Süddeutsche Zeitung
Der Artikel aus dem Mai 2017 berichtet verständlich über einen HIV-Heimtest, der in der Folgezeit in Deutschland verfügbar sein soll. Indes fehlen wichtige konkrete Angaben, und für wen der Test geeignet ist. Der Artikel konnte auch unsere Studenten-Teams und den Medizin-Experten nicht vollends überzeugen.

Zusammenfassung

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung im Ressort Politik berichtet in einem recht kurzen Artikel über einen neuen Heimtest auf eine HIV-Infektion, der in Deutschland indes zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels (Mai 2017) noch nicht verfügbar war.
Die Aussagekraft des Tests wird nicht konkret beschrieben, Risiken und Nebenwirkungen werden ausführlicher erklärt. Wie gut der Test in Studien untersucht ist, wie sicher also das Wissen über den Test ist, bleibt völlig offen. Es kommt ein von den Herstellern der Tests unabhängiger Arzt einer Schwerpunktpraxis zu Wort. Es wird deutlich, dass es sich um einen sehr neuen Test handelt, der offiziell in Deutschland noch nicht verfügbar ist. Die Alternativen zum Heimtest werden nicht hinreichend erläutert. Auf das Thema Kosten geht der Text gar nicht ein. Eine HIV-Infektion wird nicht übertrieben dargestellt.
Die bevorstehende Verfügbarkeit eines HIV-Heimtests ist ein relevantes und auch ungewöhnliches Thema. Der Artikel ist zwar bis auf vereinzelte Formulierungen routiniert verfasst, unterlässt jedoch eine sehr wichtige Einordnung und macht eine falsche Angabe zu falsch-negativen Testergebnissen, was zur Abwertung des Sterneergebnisses führt.

Medizin-ExpertIn

Insgesamt wenig gelungene Berichterstattung. … Mehr

StudentInnen-Teams

Es gibt viele Defizite bei konkreten Informationen. … Mehr

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Medizinjournalistische Kriterien

1. Die Aussagekraft/der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Es wird zwar angesprochen, dass der Heimtest helfen könnte, die Zahl der HIV-Tests und damit die Zahl der unentdeckten HIV-Infektionen zu senken. Die Aussagekraft (Sensitivität/Spezifität) wird indes nicht konkret in Zahlen gefasst, damit bleibt unklar, wie gut der Test eigentlich ist, insbesondere bei Gruppen, die ein insgesamt sehr niedriges Risiko haben.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Direkte Risiken durch den Test sind kaum zu erwarten, daher müssen diese auch nicht thematisiert werden. Auf die möglichen Risiken für die Psyche des Patienten wird eingegangen – wie es wohl sei, wenn jemand zu Hause – womöglich allein – den Test durchführt und welche psychischen Auswirkungen das haben kann. Indes scheinen diese laut dem Arzt kaum von Bedeutung. Hier wäre eine Einschätzung eines anderen Experten hilfreich gewesen.

Das der Test auch falsch liegen kann, wird angesprochen. So heißt es: „Ein positives Ergebnis (…) heißt nicht zwangsläufig, dass sich der Anwender infiziert hat.“ Das verdeutlich, dass es auch zu falsch-positiven Ergebnissen kommen kann.

Problematisch finden wir, dass es zum Thema falsch-negativer Ergebnisse heißt: „Ein negativer Befund bedeutet (…) Entwarnung.“ Tatsächlich ist eine solche Aussage in dieser absoluten Form bei einem solchen Test nicht möglich, weil es immer zu irgendwelchen Fehlern kommen kann. Der Text unterstützt damit genau das Problem, dass durch falsch-negative Ergebnisse entsteht: falsche Sicherheit. (da wir diesen Aspekt im Kriterium Fakten als Fehler in die Bewertung einfließen lassen, wird dies hier nicht geltend gemacht).

Das Thema „psychologische Belastung eines Selbsttests“ wird angesprochen.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.

Es wird auf keine Studien zum Test eingegangen, es wird auch nicht deutlich, wie gut die Evidenzlage bei diesen Tests ist.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Es wird ein von den Testherstellern unabhängiger Experten zitiert, der Inhaber einer HIV-Schwerpunktpraxis in München. Indirekt wird noch auf Aussagen der Deutschen Aids-Hilfe eingegangen. Indes kommt niemand zu Wort, der auf die Qualität der Tests oder auf wissenschaftliche Studien eingeht. Dies hätte man ergänzend zu einem Inhaber einer Schwerpunktpraxis, der vor allem aus seinem Praxisalltag berichtet, ergänzen können.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Eine Pressemitteilung haben wir dazu nicht gefunden, haben aber auch keine Anzeichen dafür, dass eine Pressemitteilung die einzige Quelle war.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.

Es wird klar, dass der Test (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung) kurz vor der Zulassung steht, in Deutschland also neu wäre, während er in anderen Ländern bereits zugelassen ist. Es wird auch deutlich, dass es sich um einen Test handelt, der zu Hause durchgeführt werden würde, was ihn von bisherigen Tests unterscheidet.

7. Es werden ALTERNATIVE Tests vorgestellt.

Es wird nicht ausreichend deutlich, ob es sich bei den Heimtests um verschiedene Tests derselben Art oder um verschiedene Ansätze handelt. Lediglich in einem Nebensatz wird angedeutet, dass Tests bei Ärzten oder Gesundheitsämtern genauer ausfallen: „(…) eine endgültige Diagnose zu bekommen, muss er sich beim Arzt einem exakteren Test unterziehen.“ Hier hätten wir insgesamt mehr Informationen zur Vielfalt der Tests für sinnvoll gehalten. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

8. Es wird klar, ob oder wann ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Artikel macht klar, dass der Test noch nicht zugelassen ist (anders als in anderen Ländern), damit in Deutschland offiziell auch noch nicht verfügbar ist, dass er aber offensichtlich über das Internet in anderen Ländern bestellt werden kann. Wo er zu bekommen sein wird, wenn er zugelassen ist, bleibt offen.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Wie viel der Test ungefähr kosten würde, ob diese Kosten möglicherweise von den Krankenkassen übernommen würden, und was solche Tests derzeit im Ausland kosten, erfahren Leser nicht.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

AIDS wird zurückhaltend dargestellt: „Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr. Mit modernen Medikamenten haben die Patienten eine annähernd normale Lebenserwartung.“ Allerdings erwähnt der Text nicht, dass bei heterosexuellen Menschen, das Risiko, eine bisher unbekannte HIV-Infektion zu tragen, mit 0,005 Prozent sehr gering ist. (Quelle: GPSP)

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Ein HIV-Test für zu Hause ist ein ungewöhnliches Thema, auch ist es relevant, weil offensichtlich noch mehr als 12 000 Menschen in Deutschland mit HIV infiziert sind, ohne es zu wissen, mit all seinen Konsequenzen für die Weiterverbreitung des Virus‘ und Lebenserwartung der infizierten Person.

2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist weitgehend verständlich geschrieben und klar strukturiert. Indes sind manche Sätze etwas umständlich formuliert, mache Formulierungen unglücklich gewählt („betreibt“ eine Praxis). Auch dass es möglich sei „in der eigenen Wohnung zu erkunden, ob man sich mit dem Erreger der Immunschwächekrankheit angesteckt hat.“ wirkt unpassend. Von Grund auf problematisch ist die Ausrichtung des Textes: Er bietet keine Orientierung dabei, für wen sich dieser Test eignen könnte. Dabei ist er wegen der Gefahr von falsch-positiven Befunden nur bei Risikogruppen sinnvoll. Nur 2700 heterosexuelle Menschen in Deutschland leben geschätzt unerkannt mit einer HIV-Infektion, würden diese alle getestet, käme man auf 100.000 falsch Positive (Quelle: GPSP). Dies ist eine zwingende Einordnung, weil der Text ansonsten zu vollkommen falschen Schlüssen führt.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt?

Dass es bei HIV-Selbsttests niemals falsch negative Ergebnisse gibt, wie es im Beitrag kategorisch heißt, trifft so allgemein nicht zu. So kann der Text falsch negativ ausfallen bei Menschen, die eine Präexpositionsprophylaxe (PREP) und Postexpositionsprophylaxe (PEP) anwenden (siehe hier und hier).  Auch wenn der Test zu früh durchgeführt wird, kann er falsch negativ ausfallen. Bei der Deutschen Aidshilfe heißt es vorsichtiger, ein guter HIV-Heimtest solle „annähernd 100% sensitiv sein“. In Gebrauchsanweisungen für HIV-Selbsttests wird ausdrücklich auf die Möglichkeit falsch-negativer Ergebnisse hingewiesen, z.B. hier.

Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in den allgemeinjournalistischen Kriterien werten wir um einen Stern ab.

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Zusammenfassung

Der Artikel wird insgesamt als kaum ausreichend gewertet, da zum Beispiel die Angaben zur Aussagekraft viel zu vage ausfallen. Dass nur ein Experte zitiert wird, und auch sonst auf keine Quellen eingegangen wird, wird ebenfalls als problematisch betrachtet. Neben einigen Ungenauigkeiten werden auch die Angaben zur Verfügbarkeit als viel zu vage und unkonkret betrachtet, vor allem fehlen Informationen zu den Tests, die im Ausland verfügbar seien. Der Artikel sei zwar verständlich geschrieben, leidet aber unter dem Mangel an konkreten Informationen zum Test. Durch die Aussagen zum Thema der psychologischen Belastung durch ein negatives Testergebnis, wird auf individuelle und soziale Folgen eingegangen. (Bewertung: 2 Sterne)

Dem Artikel fehlen zu oft konkrete Informationen, etwa zur Aussagekraft oder zur Verfügbarkeit. Das neben dem Arzt auch die Aidshilfe bzw. die WHO zitiert wird, wird positiv vermerkt, wenn auch bemängelt wird, dass nur auf Befürworter verwiesen wird. Es werden zwar Alternativen angesprochen, wie etwa die Tests in Arztpraxen, darüber hinaus sind aber die Informationen dazu zu wenig konkret. Der Text macht klar, dass es sich um einen neuen Test in Deutschland handelt, wann dieser tatsächlich erhältlich ist, erfahren Leser aber nur unzureichend. Insgesamt ist der Artikel verständlich, gut strukturiert, es mangele aber an kritischen Aspekten. Daher nur ein knappes Sterneergebnis. (Einzelwertungen der Teams: 2 Sterne, 3 Sterne, 3 Sterne).

 

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar