Bewertet am 29. März 2021
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau (online)

Neben der Diskussion um Impfstoffbeschaffungen reißt die Berichterstattung über mögliche Wirkstoffe gegen das neue Coronavirus nicht ab. In einem Artikel der Frankfurter Rundschau (online) geht es diesmal um Aspirin, das einer aktuellen Studie zufolge das Risiko für eine Infektion mit Sars-CoV-2 reduzieren soll. Dabei wird allerdings nicht deutlich genug gemacht, wie wenig aussagekräftig die Studienergebnisse sind. Auch mögliche Risiken einer dauerhaften Aspirin-Einnahme werden nur kurz thematisiert.

Zusammenfassung

Wer regelmäßig Aspirin nimmt, besitzt ein niedrigeres Risiko, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren. So fasst ein journalistischer Beitrag in der Frankfurter Rundschau (online) die Ergebnisse einer israelischen Studie zusammen. Es wird zwar erklärt, dass die Daten nur retrospektiv ausgewertet wurden, von mehr als zehntausend Personen die sich im ersten Halbjahr 2020 in Israel auf das Corona-Virus testen ließen. Auf die eingeschränkte Aussagekraft dieser Art von Erhebungen wird dagegen nicht ausreichend eingegangen. Auch dürfte die Aussage, dass Patienten mit Aspirin ein um 29 Prozent niedrigeres Risiko einer Ansteckung hatten, eher zu große Hoffnungen bei den LeserInnen wecken. Kritische Stimmen kommen im Artikel nicht zu Wort, die Ergebnisse werden nicht von unabhängigen Experten eingeordnet. Die Risiken der langfristigen Aspirin-Einnahme werden nur am Ende des Artikels kurz erwähnt, so dass der Beitrag viele LeserInnen ratlos zurücklassen dürfte.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Eine zentrale Aussage des Beitrages ist: „Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass gesunde Menschen, die Aspirin zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen (also regelmäßig, aber in niedriger Dosis) einnehmen, ein um 29 Prozent niedrigeres Risiko haben, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.“ Wie kommt dieser Wert zustande? In der Studie haben die ForscherInnen retrospektiv Daten von 10 477 Personen ausgewertet, die sich im ersten Halbjahr 2020 in Israel auf den Corona-Virus testen ließen. Von diesen 10 477 Personen nahmen 1621 Aspirin, etwa zur Prophylaxe von Herz-Kreislauf-Krankheiten. Von diesen 1621 Personen wurden 73 positiv auf Corona getestet, das sind rund 4,5 Prozent. Von den 8 856 Personen, die kein Aspirin nahmen, wurden 662 positiv auf Corona getestet, das sind rund 6,5 Prozent. Und damit gab es ein knappes Drittel weniger positive Testergebnisse in der Aspirin-Gruppe. Über das generelle Ansteckungsrisiko im Alltag erlauben die Zahlen der Studie schon von ihrem Design her keine Aussage. Außerdem nahmen die Patienten, die Aspirin bekamen, auch deutlich häufiger ACE-Inhibitoren oder Statine ein. Das heißt, der beobachtete Effekt könnte auch auf diese Wirkstoffe zurückzuführen sein. Dies wird jedoch im Text nicht erläutert, daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Eine der wichtigsten und gefährlichsten Nebenwirkungen von Aspirin wird genannt: „Es kann vor allem bei regelmäßiger Einnahme die Schleimhaut von Magen und Darm schädigen und dort Blutungen verursachen.“ Andere Nebenwirkungen wie zum Beispiel Nierenschäden, Übelkeit, Erbrechen und Sodbrennen hätte man zusätzlich nennen können.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass Aspirin ein frei verfügbares Medikament ist, dürfte den LeserInnen bekannt sein.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Zu anderen Möglichkeiten, das Risiko einer Infektion oder von schweren Verläufen zu reduzieren, erfährt man in dem vorliegenden Beitrag leider nichts. Dabei gibt es mittlerweile Dutzende Wirkstoffe die auf ihren möglichen Effekt hin untersucht werden, vom Diabetesmedikament Metformin bis hin zu monoklonalen Antikörpern und auch Mittel, die nachweislich wirken, wie etwa Dexamethason. Und zur Vorbeugung einer Infektion wäre ein Verweis auf die AHA-Regeln angemessen gewesen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten von Aspirin werden nicht genannt. Doch dürfte den LeserInnen bekannt sein, dass es sich um ein preisgünstiges Medikament handelt.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Wir haben keine Anzeichen von Krankheitserfindungen oder -übertreibungen gefunden.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Man erfährt zur als erstes beschriebenen, aktuellen Studie, dass die Ergebnisse vorläufig sind und in weiteren Studien noch überprüft werden müssen: „Die Beobachtung der möglichen positiven Wirkung von niedrig dosiertem Aspirin auf die Corona-Infektion sei vorläufig“. Weiter heißt es, dass die Studienergebnisse nun in einer größeren Kohorte von Menschen zu untersuchen seien und dabei auch Patientinnen und Patienten aus anderen Kliniken und anderen Ländern miteinschließen müssten. Hier hätte man jedoch noch deutlicher auf die Grenzen von Beobachtungsstudien eingehen können. Besonders wichtig zu erwähnen wäre gewesen, dass man bei solchen Studien nicht ausschließen kann, dass auch andere Faktoren für den beobachteten Effekt verantwortlich sein könnten.
Auch frühere Studien zu Aspirin werden nicht ausreichend eingeordnet: „Es ist nicht die erste positive Meldung zu Aspirin im Zusammenhang mit dem Coronavirus: Bereits im vergangenen Herbst hatte ein US-Forschungsteam der Universität Maryland in Baltimore in der Fachzeitschrift „Anesthesia & Analgesia“ eine Studie veröffentlicht, wonach sich die Einnahme von Aspirin positiv auf den Verlauf von Covid-19 auswirkt.“ Zwar wird dazu erläutert, dass es sich nicht um eine „reguläre, klinische Studie“, sondern um eine retrospektive Untersuchung handelt. Was dies für die Aussagekraft der Studie bedeutet, wird allerdings nicht erklärt. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Neben dem Leiter der Studie kommt Eugene Merzon von den Leumit Health Services, einem wichtigen Gesundheitsdienstleister in Israel kurz zu Wort, der allerdings auch zu den Studienautoren gehört. Beide Zitate stammen zudem aus der zur Studie veröffentlichten Pressemitteilung. Im journalistischen Beitrag werden zwar zwei andere Studien zu Aspirin erwähnt. Doch findet an keiner Stelle im Beitrag eine kritische Einordnung der Studienergebnisse statt, unabhängige Experten kommen nicht zu Wort. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, wir haben auch keine Hinweise darauf gefunden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag macht deutlich, dass es schon vorher Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Aspirin und dem Schutz vor Covid-19 gab. Gleichzeitig erfährt man, dass es sich bislang aber um vorläufige Ergebnisse handelt und es noch keine klinischen Studien dazu gab. Momentan werden allerdings sehr viele Wirkstoffe und Ansätze auch auf einen möglichen Schutz gegen Covid-19 oder einen schweren Verlauf der Erkrankung hin untersucht. Daher wäre es wünschenswert gewesen zu erwähnen, was diesen Wirkstoff von anderen Kandidaten unterscheidet. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Uns sind folgende Ungenauigkeiten aufgefallen. So heißt es im journalistischen Beitrag: „Aspirin soll laut der Studie auch schwere Verläufe von Corona verhindern können.“ Zwar waren unter den Überlebenden tatsächlich mehr Patienten aus der Aspirin-Gruppe. Doch beschreiben die Forscher selbst den Unterschied als nicht signifikant. Auch soll die Krankheitsdauer von Covid-19 mit Aspirin um zwei bis drei Tage verkürzt werden. Gemessen wurde dagegen die Zeit zwischen einem positiven und erstmals wieder negativen PCR-Test. Aus diesen Daten lässt sich aber nicht automatisch auf die Krankheitsdauer schließen.
Zudem heißt es, dass zu Zeiten der Spanischen Grippe Aspirin „sehr populär“ gewesen sei. Dieses Beispiel ist jedoch irreführend. Nur weil dieses Medikament eingesetzt wurde, sagt das nichts über seine Wirkung aus. Im Gegenteil: Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die unsachgemäße Einnahme von Aspirin während der Spanischen Grippe zu zusätzlichen Todesfällen führte (siehe auch: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov). Und schließlich wird im journalistischen Beitrag erwähnt, dass bei einem Workshop des Deutschen Krebsforschungszentrums im Januar ein Experte sogar die vorbeugende Einnahme von Aspirin empfohlen habe. Diese Aussage ist zumindest verwirrend, weil nicht klar wird, ob es sich dabei um eine Einzelmeinung handelt. Tatsächlich heißt es auf der Seite des Deutschen Krebsforschungszentrums zur dauerhaften Einnahme von Aspirin: „Die Risiken könnten den Nutzen von ASS und Verwandten – zumindest in Bezug auf Krebs – wieder aufheben. Daher raten Experten von einer dauerhaften Einnahme zur Krebsvorbeugung ab.“ Da sich in der Summe also einige Ungenauigkeiten und irreführende Aussagen im Beitrag finden, werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Die meisten Informationen und auch die Zitate zur maßgeblichen Studie stammen aus einer Pressemitteilung. Da jedoch auch andere Studien zum Thema beschrieben werden und die Geschichte des Wirkstoffs skizziert wird, geht der Artikel insgesamt über die Pressemitteilung hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Positiv fällt auf, dass die wichtigsten Ergebnisse der Studie zu Beginn des Textes kurz und knapp aufgelistet werden. Das kommt sicher jenen LeserInnen entgegen, die sich einen schnellen Überblick zum Thema verschaffen möchten. Der Text ist insgesamt in einem angemessenen, nachrichtlichen Stil geschrieben.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Einige Sätze im Beitrag sind leider für Laien schwer verständlich, zum Beispiel: „Der Anteil der Menschen unter den Corona-positiv Getesteten sei „signifikant niedriger“ gewesen als unter den negativ Getesteten, heißt es in einer Mitteilung der Bar-Ilan-Universität.“ Auch heißt es an anderer Stelle: „Andere Studien belegen laut einem Artikel im „medicalxpress“ zudem, dass Aspirin in vitro gegen RNA-Viren (Sars-CoV-2 gehört zu dieser Gruppe) wirkt und dem adaptiven Immunsystem bei der Abwehr von Virusinfektionen hilft.“ An dieser Stelle wird jedoch weder erklärt, was „in vitro“ bedeutet (Versuche in Zellkulturen) noch, was das adaptive Immunsystem ist – nämlich jener Teil des Körperabwehr, der in der Lage ist, sich neuen Krankheitserregern anzupassen und diese abzuwehren. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist relativ aktuell, wobei die Studie einen Monat und die Pressemitteilung zwei Wochen vor Erscheinen des journalistischen Artikels publiziert wurden. Auch ist die Forschung um mögliche präventive Wirkstoffe gegen Sars-CoV-2 relevant. Allerdings gibt es aktuell viele Wirkstoffe die dahingehend untersucht werden. Da die Aussagekraft der beschriebenen Studie gering ist und die dauerhafte Einnahme des leicht verfügbaren Medikaments Aspirin große Risiken birgt, hätte man in diesem Fall von einer Berichterstattung absehen können.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Wir werten den journalistischen Artikel um einen Stern ab (von 3 auf 2 Sterne), weil die begrenzte Aussagefähigkeit der aktuellen Studie nicht deutlich genug wird und keine unabhängigen Experten zu Wort kommen.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar