Bewertet am 10. September 2020
Veröffentlicht von: WDR
Selbst genäht und gut geschützt? Worauf es bei Schutzmasken ankommt und welchen Schutz Visiere gegen eine Infektion gegen das neue Coronavirus bieten, wird derzeit intensiv diskutiert. Da ist es positiv zu werten, dass sich ein Fernsehbeitrag des WDR der Thematik annimmt und versucht, verlässliche Antworten zu geben. Anschaulich und lebendig werden Zusammenhänge erklärt sowie der Aufbau einer aktuellen Studie dargestellt. Dabei wird allerdings leider versäumt, die sehr eingeschränkte Aussagekraft dieser noch unveröffentlichten Untersuchung zu thematisieren.

Zusammenfassung

Gerade am Beispiel der Schutzmasken entfachen sich derzeit viele Diskussionen über den Sinn oder Unsinn von Schutzmaßnahmen. Die wechselnden Empfehlungen der Politik und Wissenschaft zum Mund-Nasen-Schutz haben viele Menschen verunsichert. Umso lobenswerter ist es, dass der aktuelle Fernsehbeitrag der Frage nachgeht, wie wirksam die verschiedenen Schutzmaskentypen sind. Das Thema ist sehr verständlich und anschaulich umgesetzt. Leider wird im Beitrag nur eine einzige wissenschaftliche Studie erwähnt, in der lediglich 16 verschiedene Stoff-Masken miteinander in ihrer Schutzwirkung verglichen wurden. Angesichts der seit Monaten andauernden, weltweiten Debatte über den Forschungsstand und die Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse zum Mund-Nasen-Schutz erscheint dies zu wenig; eine unabhängige Einordnung der aktuellen Untersuchung in die bisherige Datenlage wäre hier nötig und wünschenswert gewesen.

Hinweis: Der Fernsehbeitrag ist online leider nicht mehr verfügbar. 

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der journalistische Beitrag berichtet von einer Studie des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft und der Universität Marburg. An 16 frei verkäuflichen Community-Masken wurde die Filterleistung von Baumwollstoffen untersucht. Dünne Masken mit 80 Fäden pro Inch (2,54 cm) erreichten eine Filterleistung von etwa 16 Prozent, dicke Masken mit 600 Fäden pro Inch hingegen eine Filterleistung „Richtung 80 / 90 Prozent“. Gemessen wurde dies mit Hilfe von radioaktiven Partikeln, die durch einen Schlauch auf die Masken geleitet wurden und die Aerosole simulierten. Im vorliegenden Beitrag erfahren die Zuschauer somit, dass schon einlagige Baumwollmasken „fast so gut filtern wie eine medizinische Maske“, wenn der Stoff dicht gewebt ist. Doch was der deutliche Unterschied zwischen den dicht und weniger dicht gewebten Stoffen für das Ansteckungsrisiko bedeutet, erfahren die Zuschauer nicht. Angenommen, Masken senken das relative Infektionsrisiko um etwa 80 Prozent, was bedeutet das konkret? Ein kurzes Beispiel hätte diese Frage beantworten können. So verringert sich das Ansteckungsrisiko von etwa 50 Prozent bei Chorproben mit einer dicht gewebten Maske dann auf zehn Prozent. Diese Erläuterung hätte den Nutzen für den Maskenträger noch sehr viel deutlicher gemacht. Die Aussage, dass die Masken unsere stärkste Waffe seien, wird im Beitrag einfach nur behauptet, ohne dies durch Daten nachvollziehbar zu belegen. Auch deshalb werten wir das Kriterium nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Als mögliche Nebenwirkung des längeren Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes wird in den sozialen Netzwerken vor allem die sogenannte CO2-Rückatmung (vermehrtes Einatmen von CO2) und ein möglicher Sauerstoffmangel diskutiert. Ob das Atmen durch normale Alltags- oder Community-Masken ungesund ist, ist allerdings wissenschaftlich nicht gut untersucht. Abgesehen von dieser Debatte sind – je nach Bundesland – Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen wie etwa Asthma von der Maskenpflicht befreit, ebenso wie Schwerhörige oder gehörlose Menschen. Auch hätte erwähnt werden müssen, dass die Schutzmasken nach mehrstündigem Tragen desinfizierend gereinigt werden müssen. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Stoffmasken als Mund-Nasen-Schutz sind derzeit weit verbreitet. Manche Menschen nähen sie selbst, andere kaufen sie lieber ein. Waren zu Beginn der Pandemie die Masken noch knapp, sind sie heute in vielen Geschäften problemlos zu finden. Dies wird im Beitrag zumindest indirekt deutlich und darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im vorliegenden Fernsehbeitrag werden diverse Alternativen zu den Stoffmasken erwähnt, zum Beispiel FFP-2-Masken und OP-Masken. Zudem wird darauf hingewiesen, dass solche Masken im Gegensatz zu Community-Masken nach einer DIN-Norm getestet sind. „Eine Filterleistung von 80 bis über 90 Prozent ist garantiert.“ Auch feine Strumpfhosen und dünne Schals werden als Alternativen angesprochen, und die Schutzleistung von Visieren wird thematisiert. Gar nicht erklärt wird hingegen, dass Masken nur eine von mehreren Möglichkeiten sind, das Infektionsrisiko zu senken, worauf indes in der öffentlichen Debatte immer wieder hingewiesen wird: Abstand halten und Hygienemaßnahmen. Stattdessen werden die Masken als „stärkste Waffe“ beschrieben, was den Eindruck erweckt, es wäre die einzige, auf die es ankommt. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten der Stoffmasken werden im Beitrag nicht thematisiert. Als gravierend werten wir dies allerdings nicht, da ein Großteil der Bevölkerung aufgrund der Maskenpflicht mit den – geringen – Kosten der Schutzmasken vertraut sein dürfte. Doch hätte es kurz erwähnt werden können.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Weder das Infektionsrisiko mit dem SARS-CoV-2-Virus noch die durch den Erreger ausgelöste Erkrankung Covid-19 wird übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Studienaufbau mit Schlauch und Filter („Sie haben praktisch eine künstliche Lunge gebaut“) ist fotogen und gut für einen Fernsehbeitrag geeignet. Doch genügt dies nicht, um die Qualität der Untersuchung beurteilen zu können. Leider bleibt unerwähnt, dass die Experimente an nur 16 Schutzmasken eine sehr geringe Anzahl für eine Studie darstellen, auch sind die Studienergebnisse bislang offensichtlich nicht veröffentlicht worden. Auch wird nicht erklärt, nach welchen Kriterien die Masken ausgewählt wurden. All das schränkt die Aussagekraft der Studie stark ein, was im journalistischen Beitrag jedoch leider nicht thematisiert wird. Das Fazit des Films, die Maske sei „die beste Waffe im Kampf gegen die Pandemie“, ist somit nicht belegbar (siehe auch cebm.net/covid-19 oder medscape.com oder ganz aktuell, nach Erscheinen des WDR-Beitrags: nejm.org). Deshalb werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es wird lediglich eine weitere Expertin im Zusammenhang einer Reha zitiert, die aber die Studienlage nur sehr allgemein einordnet („Im Alltag haben wir gute Daten dafür, dass der medizinische Mund-Nasen-Schutz gut schützt“). Inwiefern die Wissenschaftlerin in diesem Forschungsgebiet kundig ist oder nicht, wird leider auch nicht ersichtlich. Es fehlt somit leider eine solide, unabhängige Einordnung der vorgestellten Studie. Darum werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Mögliche Interessenkonflikte des Studienleiters werden im journalistischen Beitrag nicht angesprochen. Wir konnten allerdings auch keine Hinweise darauf finden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Was genau an der im Beitrag vorgestellten Studie neu ist und welche vorherigen physikalischen Messungen es bereits zu Masken gibt, wird nicht klar gemacht. Vor allem aber wird keine einzige andere Studie aus der großen Menge der internationalen Masken-Forschung zitiert (siehe zum Beispiel hier: insider.com). Somit fehlt auch ein Hinweis auf die derzeitige wissenschaftliche Debatte zur Gesamtbewertung bisher vorliegenden Studien. Das ist auch deshalb wichtig, weil es nicht nur um die Frage geht, welche Maske am besten schützt. Vielmehr wird in der Forschung auch diskutiert, welche Rolle die Aerosole bei der Ansteckung tatsächlich spielen. Gerade haben US-Mediziner im Fachblatt JAMA dargelegt, dass die Evidenz gegen eine Ansteckung über die Luft spreche. Allein der Umstand, dass das Virus in der Luft nachweisbar ist, sei kein Beweis dafür, dass es zu Infektionen über Aerosole komme (siehe auch jamanetwork.com/journals). Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Da die Studie noch nicht veröffentlicht wurde und auch keine Pressemitteilung vorliegt, können wir die im Film angegebenen Studienergebnisse nicht überprüfen. Daher bewerten wir dieses Kriterium als „NICHT ANWENDBAR“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir konnten zwar keine Pressemitteilung finden, doch kommen im journalistischen Beitrag mehrere Menschen zu Wort: eine Ärztin, ein paar Reha-Patienten und einige Schutzmasken-Träger. Daher können wir davon ausgehen, dass hier eine journalistische Rechercheleistung vorliegt.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Vor allem optisch ist der Beitrag gut umgesetzt. Es kommen Masken in verschiedenen Farben und Formen vor, es dampft im Labor, Reha-Patienten machen Kniebeugen. Auch werden mehrfach Visualisierungen gezeigt, wie sich nämlich die Atemluft mit Maske, ohne Maske oder mit Visier im Raum verteilt.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Das Thema hat einen klaren Alltagsbezug und wird sehr konkret dargestellt. Die Sprache ist gut verständlich, Fachbegriffe werden erklärt, die Bilder passen gut zum Text. Der alleinige Verweis auf die Reha-Patienten mit Vorerkrankungen ohne weitere Erläuterungen könnte für Laien allerdings verwirrend sein. Dass die getesteten Community-Masken vor allem andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln in der Ausatemluft schützen und nicht so sehr die Träger selbst, wird eher umständlich vermittelt. Eindeutiger wäre es gewesen, Menschen zu zeigen, die sich mit FFP2- oder FFP3-Masken persönlich schützen.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ist es aktuell Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Und viele Menschen nutzen dafür Stoffmasken. Deshalb ist die Frage, worauf man dabei achten sollte, sehr relevant und aktuell.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 14 erfüllt

Abwertung um einen Stern, wegen fehlender Einordnung der Studie in Gesamtkontext der Datenlage

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar