Bewertet am 22. März 2020
Veröffentlicht von: FAZ.net

Engpässe bei Desinfektionsmitteln, wie sie zum Teil durch Hamsterkäufe verursacht werden, sind eines von vielen Themen in der aktuellen Corona-Berichterstattung. In Italien betraf dies u.a. das Präparat „Amuchina“, über das die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete. Da der Text im Wirtschaftsressort der Zeitung erschienen ist, wird ausführlich über das dahinterstehende Unternehmen Angelini Pharma berichtet. Es wird dagegen leider versäumt, auf den Nutzen und mögliche Risiken der desinfizierenden Flüssigkeit einzugehen, auch unabhängige Experten werden nicht zitiert.

Zusammenfassung

Neben der Suche nach Impf- und anderen Wirkstoffen sind vorbeugende Maßnahmen gegen das Corona-Virus ein großes Thema in fast allen Medien. In dem uns vorliegenden Beitrag wird ein seit den 1930er Jahren bekanntes Desinfektionsmittel Italiens vorgestellt: Amuchina. Das Vertrauen der Einwohner in das Mittel ist offensichtlich so groß, dass es in den Supermärkten ständig ausverkauft ist. Da wir diesmal einen aktuellen Text aus dem Wirtschaftsressort ausgewählt haben, ist es nachvollziehbar, dass der Schwerpunkt auf ökonomischen Aspekten liegt. Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, auch akkurate Informationen zu Amuchina selbst zu finden. Die Überschrift etwa verspricht zu viel: „Ein altes Mittel soll Corona besiegen.“ Zudem wäre eine Einordnung in den Kontext der aktuellen Situation wünschenswert, zum Beispiel, dass alle Desinfektionsmittel derzeit Mangelware sind – und warum diese so wichtig sind. Ebenso wären weitere Erklärungen dazu wichtig gewesen, etwa, wie Coronaviren abgetötet werden können. Im Text wird zwar erwähnt, dass Amuchina auch gegen Viren wirke, inwiefern das aber wissenschaftlich nachgewiesen wurde oder nur eine Behauptung der Firma ist, erfährt man nicht. Nach der Lektüre weiß man daher einiges über das Unternehmen, seine Positionierung und die Historie des Präparats – aber leider nur wenig über das Mittel selbst, seine Wirksamkeit und seine Nebenwirkungen.

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Neben der Suche nach Impf- und anderen Wirkstoffen sind vorbeugende Maßnahmen gegen das Corona-Virus ein großes Thema in fast allen Medien. In dem uns vorliegenden Beitrag wird ein seit den 1930er Jahren bekanntes Desinfektionsmittel Italiens vorgestellt: Amuchina. Das Vertrauen der Einwohner in das Mittel ist offensichtlich so groß, dass es in den Supermärkten ständig ausverkauft ist. Da wir diesmal einen aktuellen Text aus dem Wirtschaftsressort ausgewählt haben, ist es nachvollziehbar, dass der Schwerpunkt auf ökonomischen Aspekten liegt. Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, auch akkurate Informationen zu Amuchina selbst zu finden. Die Überschrift etwa verspricht zu viel: „Ein altes Mittel soll Corona besiegen.“ Zudem wäre eine Einordnung in den Kontext der aktuellen Situation wünschenswert, zum Beispiel, dass alle Desinfektionsmittel derzeit Mangelware sind – und warum diese so wichtig sind. Ebenso wären weitere Erklärungen dazu wichtig gewesen, etwa, wie Coronaviren abgetötet werden können. Im Text wird zwar erwähnt, dass Amuchina auch gegen Viren wirke, inwiefern das aber wissenschaftlich nachgewiesen wurde oder nur eine Behauptung der Firma ist, erfährt man nicht. Nach der Lektüre weiß man daher einiges über das Unternehmen, seine Positionierung und die Historie des Präparats – aber leider nur wenig über das Mittel selbst, seine Wirksamkeit und seine Nebenwirkungen.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Der Text geht nicht auf Risiken und Nebenwirkungen ein, die aber zum Beispiel in Form von Überempfindlichkeitsreaktionen durchaus vorkommen.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

Studien werden im Beitrag nicht erwähnt, es gibt lediglich die Angabe, Amuchina sei von der US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA zugelassen worden. Wie der Status in Europa ist, wird nicht besprochen. Es wird also nicht ausreichend klar, wie gut die Evidenzlage zur Wirksamkeit des Mittels ist und ob es dazu gute Untersuchungen gibt oder nicht.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Nur der Chef der Herstellerfirma kommt zu Wort, der natürlich einen Interessenskonflikt hat, wenn es um sein Produkt geht. Im Artikel wird leider versäumt, die nötige Distanz zu den Aussagen des Firmenleiters zu nehmen. Unabhängige Experten, die die Wirksamkeit des Desinfektionsmittels hätten einordnen können, werden nicht genannt.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Eine Pressemitteilung dazu haben wir nicht gefunden. Damit wird deutlich, dass es sich bei diesem Artikel sehr wahrscheinlich um eine eigene Rechercheleistung handelt. Daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Im Beitrag wird wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich um ein altes Mittel handelt, das bei bakteriellen Krankheiten (Tuberkulose, Cholera) bereits Mitte des 20. Jahrhunderts eingesetzt wurde. „Auf den Markt gekommen war die erste Form von Amuchina schon 1939“, heißt es zudem gleich zu Beginn des Artikels. Und es wird erklärt, dass es jetzt eine Renaissance erlebt, im Zusammenhang mit dem Coronavirus-Ausbruch.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Leider werden selbst offensichtliche Alternativen wie das Händewaschen nicht thematisiert, ebenso wenig wie das Benutzen von Seife (siehe zum Beispiel: zeit.de/wissen/gesundheit/2020-03). Es wird nur kurz erwähnt, dass es auch andere Handdesinfektionsmittel gibt. Wir halten das gerade in der aktuellen Situation jedoch in jedem Beitrag zu diesem Thema für besonders wichtig, auf diese einfach umzusetzenden Alternativen hinzuweisen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Es wird klar, dass das Produkt in Italien – im Prinzip – verfügbar ist und dort sehr gefragt ist: „Doch bei den Reinigungsmitteln gibt es immer wieder eine Lücke. In Drogeriemärkten und Apotheken sieht es ähnlich aus.“ Von den USA wird berichtet, dort sei es „etwas bekannt“, was leider nur eine sehr vage Vorstellung der dortigen Verfügbarkeit vermittelt. Ob das Produkt in Deutschland verfügbar ist, wird allerdings nicht erwähnt – dabei ist es bei einschlägigen Online-Anbietern zu finden. Da es jedoch im Artikel primär um die Situation in Italien geht und ein möglicher „Run“ auf dieses Produkt in Deutschland vielleicht vermieden werden sollte, werten wir insgesamt dennoch „ERFÜLLT“.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Der Beitrag erwähnt den konkreten Preis von acht Euro pro Liter des Produktes. Allerdings hätte man noch gern gewusst, ob das viel oder wenig ist im Vergleich zu anderen Produkten. Zumal vor allem der Preis des Handgels interessant gewesen wäre, das im Zusammenhang mit Corona besonders gefragt sein soll. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Auf die Corona-Pandemie wird kaum eingegangen und insofern wird hier auch nicht übertrieben. Auch ein früherer Ausbruch von Cholera in Italien und eine Häufung von Tuberkulosefällen werden nur erwähnt, aber nicht näher ausgeführt. Somit sehen wir in diesem Beitrag keine übertriebene Darstellung jedweder Erkrankungen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Das Thema ist aufgrund der Coronakrise aktuell und offenbar für die italienische Bevölkerung relevant. Interessant ist auch, insbesondere im Wirtschaftsressort, dass ein altes Mittel einem Unternehmen plötzlich viel Geld einbringt, während es vielen anderen Firmen wegen der Krise gerade schlecht geht.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

An sich ist der Beitrag verständlich geschrieben, in seinem Aufbau jedoch leider etwas verwirrend. So beginnt er mit der Erwähnung des Desinfektionsmittels, ergänzt dann aber etwas unvermittelt später im Text, dass es aktuell vor allem um das Handgel geht: „Dieses Gel ist es wiederum, hinter dem so viele Italiener her sind.“ Klischeehaft ist zudem folgende Formulierung: „Denn für die italienische Hausfrau, die eine Flasche mit einem Liter Desinfektionsmittel für acht Euro kauft, symbolisiert Amuchina klinische Reinheit.“ Auch ist bei dieser Aussage unklar, inwiefern diese Vorstellung der „italienischen Hausfrau“ tatsächlich richtig ist. An anderer Stelle im Beitrag weiß man nicht, wer in indirekter Rede zitiert wird: „Im Handgel sei aber mehr Alkohol enthalten als anderswo, um den gewünschten Effekt zu garantieren.“ Schließlich werden auch Begriffe wie „Allheilmittel“ und „transparentes Gold“ unkritisch verwendet. Allerdings sollte man insgesamt berücksichtigen, dass es sich um einen Text im Wirtschaftsressort der Zeitung handelt. Das befreit zwar nicht von der journalistischen Sorgfalts- und Informationspflicht zu basalen medizinischen Aspekten, macht aber nachvollziehbar, dass der Schwerpunkt hier auf wirtschaftlichen und unternehmerischen Aspekten und nicht auf der Seuchenausbreitung liegt. Daher werten wir nur knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Die Angaben zu Amuchina sind richtig, etwa, dass das Produkt auf einer Chlorlauge basiert und sowohl zur Oberflächendesinfektion als auch zur Desinfektion von Wunden verwendet wird. Auch sonst haben wir keine Fehler gefunden.

Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar