Bewertet am 30. September 2019
Veröffentlicht von: t-online.de
Genuss und Gesundheitsprävention lässt sich auf einfache Weise kombinieren, suggeriert ein Bericht auf der Internetseite von t-online: Der Konsum von Käse soll demnach angeblich dabei helfen, die Nachteile einer salzreichen Ernährung zu neutralisieren. Untersuchungen der Blutgefäße, Blutdruckmessungen und Urinproben hätten gezeigt, dass dies möglich sei. Der Beitrag ordnet die Studienergebnisse jedoch zu wenig ein, etwa wie klein die Aussagekraft einer so kleinen und kurzen Ernährungsstudie hat; es waren insgesamt nur elf Probanden.

Zusammenfassung

Kann Käsekonsum vor möglichen Gesundheitsschäden durch salzreiche Kost schützen? Wenn man sich den vorliegenden journalistischen Beitrag ansieht, scheinen die Forscher einer aktuell veröffentlichten Studie dies in einem ersten Ansatz zu zeigen. Was dabei leider nur am Rande – am Ende des Textes – erwähnt wird, ist die Anzahl der Probanden der Studie. Es waren insgesamt nur elf Testpersonen, noch dazu mit einer lediglich acht Tage andauernden Testphase unterschiedlichen Salz- und Käsekonsums, was die Aussagekraft der Arbeit verschwindend klein machen dürfte. Dies wird zwar angedeutet, aber nicht wirklich eingeordnet. Stattdessen wird Vermutungen der beteiligten Wissenschaftler viel Platz eingeräumt; Aussagen, die offensichtlich der Pressemitteilung zur Studie entnommen wurden. Unabhängige Experten kommen nicht zu Wort und das Sponsoring des Artikels wird nur in einer beigestellten Anzeige transparent.

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der postulierte Nutzen einer käsereichen Kost wird im Beitrag nicht klar dargestellt. Die entsprechende Diät (die selbst nicht genau definiert wird) soll die Gefäße „schonen“, das „Risiko für Blutdruck senken“ (gemeint ist für erhöhten Blutdruck) – und vor „gefährlichen Herzkrankheiten“ bewahren. Das ist äußerst vage. Weder wird klar, in welchem Ausmaß der Schutz wirken soll, noch erfährt man, wie lange der Effekt des Käsekonsums anhalten soll. Die im Text wiedergegebenen Vermutungen der Wissenschaftler sind nur Hypothesen („Moleküle“, die vom Salz erzeugt, aber von Käse neutralisiert werden; Käse als Schutz vor freien Radikalen). Auch die dargestellte Studienanordnung zur Messung des Nutzens wird kaum deutlich: Nicht näher erklärte „Werte“ waren „unspezifisch“, „Funktionsstörungen“, die es ohne Käsekonsum gab, zeigten sich unter der Einnahme von Käse nicht. Dies genügt nicht, um den Lesern eine nachvollziehbare und nützliche Einordnung darüber zu geben, ob und welche Auswirkungen der Käsekonsum auf die Blutgefäße haben könnte.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Über die – zumindest für einige Personengruppen möglichen – negativen Effekte von Käse und anderen Milchprodukten gibt es bereits Fachpublikationen. In ihnen diskutieren die Studienautoren zum Beispiel, ob die gesättigten Fettsäuen im Käse vielleicht das kardiovaskuläre Risiko erhöhen könnten (z.B. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25400508). Darauf geht der journalistische Beitrag jedoch nicht ein, ebenso wenig wie auf andere mögliche Risiken. Zudem wird der Käsekonsum nicht ausreichend definiert – schließlich existieren unzählige Käsesorten mit unterschiedlichem Fett- und Proteingehalt.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

Erst am Ende des journalistischen Beitrags wird die geringe Aussagekraft der Ergebnisse erwähnt: „Allerdings seien weitere Studien notwendig, um den gesundheitsfördernden Effekt von Molkereiprodukten genauer zu erforschen. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die Studie mit nur elf Probanden relativ klein angelegt ist. Somit lässt sie nur in begrenztem Maße Schlüsse zu und kann keine allgemeinen Ernährungsempfehlungen aussprechen.“ Das reicht aus unserer Sicht nicht aus, denn zuvor werden im Text (und im Titel!) vielen Vermutungen der Forscher zu den möglichen schützenden Wirkmechanismen des Käse Raum geboten (z.B. „Die Integration von Milchprodukten wie Käse könnte eine alternative Strategie sein, um das Herz-Kreislauf-Risiko zu reduzieren und die Gefäßgesundheit zu verbessern“). Auf diese Weise könnten schmackhafte Lebensmittel mit höherem Salzgehalt ohne negative gesundheitlichen Auswirkungen konsumiert werden. Demgegenüber hätte die Einordnung der Ergebnisse mehr Platz benötigt. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Interessenkonflikte der Autoren sind in der Pressemitteilung wie auch in der Originalpublikation im Journal of Nutrition zumindest teilweise offengelegt: Die Studie wurde vom National Dairy Council gesponsert, der Interessenvertretung der Milchprodukte-Industrie. Allerdings wurde die Studie laut Studienregister (clinicaltrials.gov/ct2/show) nicht nur vom National Dairy Council finanziert, diese ist dort auch als „Collaborator“ genannt. Zudem werden außer der Studienleiterin keine weiteren Experten herangezogen, die die Studienergebnisse und die vermuteten Wirkmechanismen bewerten und einordnen. Wie die Pressemitteilung andeutet, ist die Studie im Rahmen der Doktorarbeit der Erstautorin entstanden. Laut unserer Recherche hat sie damit im Jahr 2018 im Fachbereich „Kinesiology“ einen Doktor der Philosophie der Penn State University erlangt (etda.libraries.psu.edu/files); drei bereits erschienene Fachartikel, die sich meistenteils ebenfalls mit den Wirkungen von Käse und anderen Milchprodukten befassen, sind ebenfalls Teil der Doktorarbeit. Wie dort (S. 86) angegeben ist, wurde nicht nur die einzelne Studie, sondern auch die Doktorarbeit insgesamt vom National Dairy Council gefördert. Schon via Google lassen sich (z.B. allein durch Suche nach dem Namen der Betreuerin der Doktorarbeit bzw. Mitautorin der Studie und „National Dairy Council“) eine Reihe weiterer Verbindungen zeigen: naartery.org/resources/Documents Dort heißt es z.B. auf Seite 18: „Dr. Alexander has maintained a record of extramural funding with grants from the National Institutes of Health (NIH), the National Dairy Management Inc., and other industry sponsors“. Unsere schnelle zusätzliche Recherche mag illustrieren, warum Hinweise auf Industrieförderungen – wie hier sogar schon ohne jede Recherche anhand der Pressemitteilung ersichtlich – Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten werden sollten.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Der journalistische Beitrag wurde jenseits der Pressemitteilung minimal um die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ergänzt: nicht mehr als sechs Gramm Salz am Tag. Was nicht gesagt wird: Das ist mehr, als die WHO empfiehlt. Zudem entsprächen die sechs Gramm interessanterweise fast der salzreichen Diät in der Studie, da lag der Salzgehalt bei 5500 Milligramm. Dies wird jedoch im journalistischen Beitrag nicht erwähnt. Da die Ergänzung kaum über die Pressemitteilung hinaus geht, werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“. Erwähnenswert ist noch, dass der Titel der Pressemitteilung zurückhaltender formuliert ist („may“) als im journalistischen Beitrag und dort die Förderung transparent gemacht wird.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Die Debatte um mögliche positive Einflüsse von Käse und anderen Milchprodukten auf die Steifheit von Gefäßen ist nicht neu. In den vergangenen Jahren wurden etliche Publikationen zu diesem Thema mit unterschiedlichen Fragestellungen veröffentlicht, selbst Übersichtsarbeiten, die mehrere Studien zu diesem Thema auswerten, sind bereits publiziert (z.B.: ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30934969). Der Artikel tut indes so, als sei dies eine neue Entdeckung: „Gute Nachrichten für Käseliebhaber…“, das suggeriert nicht nur eine (noch fehlende) endgültige Antwort, sondern auch einen Neuigkeitswert, der nicht gegeben ist.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Nur im allerletzten Satz des Artikels werden sehr kurz zwei Alternativen zum Käsekonsum genannt: „(…) sich salzarm zu ernähren und auf Fast Food und Fertiggerichte möglichst zu verzichten.“ Dabei gibt es viele Möglichkeiten, die Steifigkeit von Blutgefäßen positiv zu beeinflussen, von Sport bis hin zu spezifischen, gefäßschützenden Ernährungsformen (wie etwa die Mittelmehr-Diät). Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Käse ist als gängiges Nahrungsmittel natürlich verfügbar, das dürfte für den Lesern klar sein. Daher ist es angemessen, dass dies im Beitrag nicht explizit erklärt wurde. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Es wäre absurd, die Kosten verschiedener Käsesorten im Beitrag aufzuführen. Dies nicht zu tun, ist also angemessen, daher werten wir „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Dass zu viel Salz im Speiseplan den Blutgefäßen schaden kann, wird seit Jahren in Fachkreisen diskutiert. Insofern findet an dieser Stelle keine Übertreibung statt. Allerdings heißt es im Text auch noch, dass hoher Salzkonsum „(…) sogar zu Demenz führen“ kann. Hier wird ein Zusammenhang also durchaus übertrieben dargestellt.
Problematisch ist allerdings eine andere Tatsache, die durchaus in den Bereich von Disease Mongering fällt: Ein Anlass für den Beitrag ist offenbar eine Awareness-Kampagne der Firma Amgen, wie in eine in den Text eingeklinkte „Anzeige“ offenbart: (Anm: Der Hinweis ist inzwischen online nicht mehr zu finden)

„Die Themenfelder Cholesterin und Herz-Kreislauf-Gesundheit werden in Kooperation mit der Amgen GmbH (Riesstraße 24, 80992 München) präsentiert. Die Amgen GmbH hat keinen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung, diese liegt ausschließlich bei der Redaktion von t-online.de.“
„Wichtiger Hinweis: Die Informationen ersetzen auf keinen Fall eine professionelle Beratung oder Behandlung durch ausgebildete und anerkannte Ärzte. Die Inhalte von t-online.de können und dürfen nicht verwendet werden, um eigenständig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.“

 

Ziel solcher Kampagnen ist es oft, dass ein bestimmtes Themenfeld von Erkrankungen, für das die betreffenden Unternehmen Therapien anbieten, stärker von den Medien in den Mittelpunkt gerückt wird – um so indirekt die firmeneigenen Produkte zu fördern. Ein solches Koppelgeschäft ist schon generell nicht unproblematisch, mindestens aber gehört eine solche Information unserer Ansicht nach direkt als Disclaimer in den Beitragstext und nicht nur in einen Anzeigenblock – jedenfalls dann, wenn man den Inhalt von t-online.de (laut Webseite „ein Angebot der Ströer Content Group“) überhaupt als originär journalistischen Inhalt betrachten möchte. Wir werten daher „NICHT ERFÜLLT“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Das generelle Thema ist angesichts der hohen Erkrankungszahlen in vielen Ländern relevant (Bluthochdruck, kardiovaskuläre Risiken, Schlaganfall und Herzinfarkt gehören noch stets zu Haupttodesursachen). Eine einfache diätetische Maßnahme wie die Ergänzung der Ernährung um Käseprodukte wäre an sich auch interessant. Angesichts der geringen Probandenzahl muss man sich allerdings schon fragen, ob eine Berichterstattung anlässlich dieser industriegeförderten Studie mit 11 Probanden über 8 Tage gerechtfertigt ist. Hinzu kommt, dass es – wie oben dargelegt – bereits mehrfach ähnliche Studien gab, so dass der Ansatz nicht mehr sonderlich originell ist. Die Studie selbst, Auszug aus einer Doktorarbeit aus dem Jahr 2018 und in Teilen offenbar schon auf einer Tagung 2018 (fasebj.org/doi/abs/10.1096) vorgestellt, wurde bereits Ende August 2019 publiziert; für eine tagesaktuelle Online-Seite ist eine Veröffentlichung fast einen Monat später nicht mehr als aktuell anzusehen. Der „aktuelle Anlass“ dürfte daher eher mit dem Sponsoring der gesamten Artikelreihe durch die Firma Amgen zusammenhängen (siehe Kriterium 10).

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

Im Beitrag wird zwar der Studienaufbau geschildert, aber das Erklärungsmodell dafür, wie Käse die Gefäße schützen soll, bleibt vage; außerdem wird nicht deutlich, dass ein einwöchiger Versuch im Grunde kaum Aussagen über Langzeiteffekte einer Diät liefern kann. Auch bleibt unverständlich, was die Forscher eigentlich gemessen haben. Was soll ein „Check“ der Blutgefäße sein? Wozu die Urinproben? (Hier zeigt sich, dass der Studienaufbau nicht vollständig verstanden wurde – dienten die Urinproben doch nur der Überprüfung des Salzgehalts im Urin). Über den Zustand der Blutgefäße sagen Messungen in Urinproben nichts aus. Die beiden Absätze über Antioxidantien, Peptide und freie Radikale verwirren die Leser eher als dass sie Zusammenhänge erklären.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Die Überschrift: „Käse schützt die Gefäße vor Schäden durch zu viel Salz“ ist definitiv nicht durch den Inhalt der Studie (und auch nicht der Pressemitteilung; siehe oben) gedeckt. Ein Fehler im Artikel: In der Studie ging es nicht um die Frage, ob sich der Blutdruck erhöht, und es wurden auch keine signifikanten Veränderungen mitgeteilt. Stattdessen ging es darum, ob sich die Steifigkeit der Blutgefäße veränderte.

Medizinjournalistische Kriterien: 2 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 0 von 3 erfüllt

Wir werten den journalistischen Artikel um einen Stern aufgrund erheblicher Mängel in den allgemeinjournalistischen Kriterien ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar