Bewertet am 15. November 2016
Veröffentlicht von: FAZ.net

Eine Stammzelltherapie könnte nach den Ergebnissen einer kleinen Studie Menschen mit einer schweren Multiplen Sklerose möglicherweise helfen, berichtet die F.A.Z. Leserinnen und Leser bekommen die meisten notwendigen Informationen – insbesondere wird darauf hingewiesen, wie vorsichtig man diese Ergebnisse betrachten muss. Die Pressemitteilung des Fachmagazins informiert ingesamt ebenso gut.

Zusammenfassung

Die F.A.Z. berichtet über die Ergebnisse einer Studie im Fachmagazin The Lancet. Danach könnte eine Stammzelltherapie bei Menschen mit einem schweren Verlauf der Multiplen Sklerose erfolgreich sein.

Der mögliche Nutzen wird ausreichend konkret beschrieben, Risiken und Nebenwirkungen werden noch ausreichend angesprochen. Es wird deutlich, dass die Ergebnisse dieser und auch anderer Studien noch sehr vorläufig und nicht geeignet sind, die Therapie abschließend zu bewerten. Ein nicht an der Studie beteiligter Mediziner ordnet die Ergebnisse ein. Der Text geht über die Pressemitteilung des Fachmagazins hinaus. Es wird ausreichend deutlich, dass es sich um ein recht neues Verfahren handelt, und dass es auch nur eingesetzt wird, wenn andere Therapiemöglichkeiten nicht mehr weiterhelfen. Der Text erklärt auch, dass das Verfahren nur im Rahmen einer Studie verfügbar ist. Auf den Kostenaspekt geht der Text indes nicht ein. Multiple Sklerose wird in diesem, nicht mehr ganz aktuellen, aber insgesamt verständlichen Text, als Krankheit angemessen dargestellt.

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Artikel erklärt den möglichen Nutzen ausführlich und in konkreten Zahlen. Man erfährt, wie viele, wie und in welchem Umfang die Patienten von der Therapie profitiert haben. Der Autor macht jedoch auch deutlich, dass eine Therapie wie diese nur unter ganz bestimmten Umständen und auch nur in Therapiestudien eingesetzt werden sollte. Außerdem brauche es noch weitere Studien, um den Nutzen der Behandlung wirklich bewerten zu können.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Auf die Risiken der Behandlung wird eindringlich hingewiesen: „Selbst in den Händen erfahrener Ärzte birgt die Stammzelltransplantation erhebliche Risiken. Das führen die Resultate der vorliegenden Studie einmal mehr vor Augen. So erlitt ein erheblicher Anteil der daran beteiligten MS-Kranken ernste Komplikationen, die in einem Fall sogar tödlich endeten.“ Welche Nebenwirkungen konkret vorlagen, erklärt der Text indes nicht. Da aber so energisch darauf hingewiesen wird, werten wir wenn auch nur knapp „erfüllt“.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.

Die Ergebnisse der Studie werden als „Hoffnungsschimmer“ bezeichnet. Der Neurologe ordnet die Ergebnisse ein: „Um den Nutzen der autologen Stammzelltransplantation bei Patienten mit MS angemessen beurteilen zu können, reichen so kleine Projekte wie dieses nicht aus. Hierzu bedarf es vielmehr Untersuchungen mit weitaus größeren Teilnehmerzahlen.“ Wichtig wäre ein Hinweis gewesen, dass es in der Studie keine Vergleichsgruppe gab, wodurch die Interpretation der Ergebnisse zusätzlich zur geringen Teilnehmerzahl erschwert wird.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Der Neurologe Jan Dörr wird nicht nur als Verfasser eines Kommentars im Lancet zitiert, sondern kommt mit für den Artikel separat eingeholten Informationen zu Wort und lieferte wichtige Details, die die Ergebnisse einzuschätzen helfen. Wer die Studie finanziert hat, erfährt man nicht.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Vor allem durch die Nachfragen bei dem Deutschen Experten und die ausführlichen Erklärungen zur Krankheit und die Therapie der MS hebt sich der Artikel von der Pressemitteilung ab.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.

Es wird deutlich, dass es bereits vorher Versuche gab, Multiple Sklerose mit der Transplantation von körpereigenen Blutstammzellen zu behandeln: „ (…) eine Vorgabe, die im Übrigen auch die anderen Studien, in denen das besagte Verfahren bei MS-Kranken getestet wurde, nicht erfüllen“.

Es fehlt indes der Hinweis darauf, was bei dem hier beschriebenen Ansatz gegenüber früheren Studien neu ist: Es wurde erstmals das Immunsystem der Patienten vollständig zerstört. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird deutlich, dass diese Therapie erst zum Einsatz kommt, wenn es keine Alternativen mehr gibt. Die ausgewählten Probanden hätten „auf die herkömmlichen Mittel nicht mehr angesprochen“, heißt es zu Beginn des Textes. An anderer Stelle wird der Neurologe mit der Aussage zitiert, „die krankhaften Entzündungen [ließen sich] mittlerweile gut kontrollieren, nicht jedoch die neurodegenerativen Prozesse“. Das Dilemma bei so riskanten Therapien wie der Stammzelltransplantation sei, dass sie nur angewandt werden dürften, wenn alle anderen Behandlungsoptionen versagt hätten. Worin diese anderen Behandlungsoptionen bestehen, erklärt der Text allerdings nicht.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

An einem Zitat des deutschen Experten wird deutlich, dass es sich noch um ein experimentelles Verfahren handelt, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen verfügbar ist: „Diese Therapie sollte aber nur unter ganz bestimmten Umständen vorgenommen werden, und das ausschließlich an Kliniken, die über entsprechende Experten und die notwendige Infrastruktur verfügen. Auch sollte sie nur im Rahmen von Therapiestudien erfolgen. Sonst sind die Gefahren unvertretbar groß.“ Dass die Therapie erst eingesetzt werden kann, wenn alle anderen Optionen nicht mehr helfen, wird ebenfalls deutlich.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Der Kostenaspekt einer solchen Therapie wird nicht angesprochen, obwohl von der Leukämie-Behandlung Erfahrungswerte vorliegen dürften. Auch ein Hinweis, dass innerhalb von Studien die Kosten für Patienten übernommen werden, wäre für manche Leser vielleicht hilfreich, weil man nicht davon ausgehen kann, dass dies jeder weiß.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Multiple Sklerose wird nicht übertrieben dargestellt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Das Thema ist aktuell, da eine neue Studie zur Behandlung von Multipler Sklerose im Fachmagazin Lancet erschienen ist, wenn auch recht spät berichtet wird (über zwei Monate nach Erscheinen der Studie) daher werten wir nur knapp „erfüllt“. Es ist auch relevant, da die Medizin insbesondere bei schwerem Verlauf der Erkrankung noch machtlos ist und der neue Behandlungsansatz hoffnungsvoll erscheint.

2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Trotz des nicht einfachen Themas, ist der Text weitgehend gut lesbar. Seine Sprache ist im großen und ganzen verständlich, Krankheitsbild und Therapie erklärt der Text bis auf ein paar Ausnahmen (z.B. „neurodegenerativen Prozesse“) anschaulich.

Gleich zu Anfang hätte man den Lesern den Fachausdruck „autologe(n) hämatopoetische(n) Stammzelltransplantation“ ersparen können. Etwas sperrig sind die Formulierungen „(…) nahmen die Studienärzte bei allen Probanden eine Stammzellmobilisation vor“ oder „Durch die Anwendung einer speziellen Selektionsprozedur“. Alles in allem handelt es sich aber um einen interessanten und verständlichen Text.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt?

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar